Wie grün ist grün im Ländle?

2. März 2021 Aus Von mvp-web

Stand: 02.03.2021 16:39 Uhr

Seit zehn Jahren regiert mit Kretschmann ein pragmatischer Grünen-Realo in Baden-Württemberg. Aber wie viele grüne Ideen der Öko-Partei hat er wirklich umgesetzt? Was sagen Umweltschützer, was die Auto-Industrie?

Von Thomas Denzel, SWR

Ganz schön groß muss Guido Mennickens Enttäuschung über die Grünen sein: 15.000 Flugblätter will er noch verteilen vor der Landtagswahl, damit in Baden-Württemberg endlich die Politik gemacht wird, die er von einer grünen Partei erwartet. „Beim Klimaschutz ist Geschwindigkeit angesagt, die Grünen sind da zu mutlos“, sagt der 48 Jahre alte Biologe. In Studienzeiten war er selbst einmal Mitglied der Grünen. Jetzt macht er Wahlkampf für die „Klimaliste“, eine neu gegründete Öko-Partei, und kandidiert selbst für den Landtag.

Mennicken fordert zum Beispiel Verbote für kurze Inlandsflüge. Doch solche Politik sei von den Grünen in Baden-Württemberg nicht zu erwarten. „Ein paar E-Autos, der Rest wird sich schon finden“, sei dort die weitverbreitete Haltung. Weil jetzt auch Konservative Grün wählen und man die nicht abschrecken wolle, vermutet Mennicken.

Der „Chef-Pragmatiker“ überzeugt selbst Konservative

Einen „Chef-Pragmatiker“ hat man den Spitzenkandidaten der Grünen und amtierenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann genannt. Kaum ein anderer Grünen-Politiker hat es so gut geschafft, gleichzeitig für innovative Ideen wie für Traditionen zu stehen. Der 72 Jahre alte Kretschmann kommt vom Land, gilt als bodenständig, er ist gläubiger Christ und Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Auch das macht ihn offenbar wählbar in einem einst besonders konservativen Bundesland. Kretschmann regiert seit 2011, zuvor hatte es in Baden-Württemberg jahrzehntelang nur Ministerpräsidenten der CDU gegeben. Am 14. März stellt er sich zur Wiederwahl.

An der Grünen-Basis eckt Kretschmann immer wieder an – mit Aussagen, die manchen als zu wirtschaftsfreundlich gelten. Man dürfe die Autoindustrie nicht „strangulieren“, sagt Kretschmann dazu. Vergangenes Jahr wollte er den Autoherstellern mit einer „Verbrennerprämie“ durch die Covid-19-Pandemie helfen. Und er hält es für „Schwachsinn“, schon ab 2030 nur noch E-Autos zuzulassen.

Angesichts solcher Sätze dürfte die Auto-Industrie erleichtert sein. Doch es ist im Moment unmöglich von deren Verband VDA dazu einen Kommentar zu bekommen. Von dort heißt es, man müsse ein Interview zu diesem Thema absagen. „Im kurzfristigen Vorfeld von Wahlen“ wolle man sich „mit Äußerungen zurückhalten.“

Die Autoindustrie hält sich zurück

„Da will man wohl kein Öl ins Feuer gießen“, meint der Wahlforscher Frank Brettschneider. Zu viel Lob von der Auto-Industrie könne Kretschmann politisch schaden und daran hätten die Autohersteller zurzeit schlicht kein Interesse. Die Grünen-Basis murrt zwar immer wieder über Kretschmanns Kurs in Sachen Automobil, aber allzu starken Gegenwind von dort gibt es nicht. „Jedem anderen hätte man das übler genommen“, ist Brettschneider überzeugt. „Kretschmann schafft es, seine Politik mit der Notwendigkeit zum Kompromiss zu erklären.“

Manche Umwelt- und Naturschutzverbände aber sind von der grünen Verkehrs- und Klimaschutzpolitik in Baden-Württemberg enttäuscht. „Die Autoindustrie wird in Deutschland zu sanft angefasst und auch von Winfried Kretschmann würde ich mir hin und wieder mal ein deutlicheres Wort wünschen“, sagt Johannes Enssle, der baden-württembergische Landesvorsitzende des Naturschutzbunds Deutschland (NABU). Andererseits: Ein völliger Misserfolg sei die Bilanz nach zehn Jahren grüner Regierung auch nicht. Kretschmann und seine Partei hätten einige ihrer Ziele umgesetzt.

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Heikles Thema Windkraft

„Viele ältere Naturschützer sagen mir, es werde ihnen förmlich schwindlig, wenn sie sich klarmachen, was die Grünen in Baden-Württemberg in einigen wenigen Jahren erreicht haben“, erzählt Enssle. Als Beispiele nennt er den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und des Radwegenetzes, die Einrichtung des Nationalparks Schwarzwald und die Verdreifachung der Ausgaben für Naturschutz. Das Ausbau der Windkraft allerdings hat sich in Baden-Württemberg verlangsamt. Die Windräder sind für Kretschmann und die Naturschützer ein schwieriges Thema, weil hier grüne Energiepolitik und Naturschutz kollidieren.

„Die Erfolge der Grünen erkenne auch ich an“, meint Klimalisten-Kandidat Mennicken. Zudem schätze er Kretschmann als Person. Mit dem Blick auf die Klimapolitik aber fällt sein Urteil eindeutig aus: Da seien die Grünen eben nur die „zweitfortschrittlichste Partei“ im Land.