Null-Totraum-Spritzen Beim Impfen alles rausholen

Null-Totraum-Spritzen Beim Impfen alles rausholen

1. April 2021 Aus Von mvp-web

Stand: 01.04.2021 10:06 Uhr

Mit sogenannten Null-Totraum-Spritzen ließen sich mehr Dosen aus einer Ampulle mit Corona-Impfstoff holen. Doch die Nutzung dieser Spritzen scheitert an bürokratischen Hürden.

Von Jens Eberl, WDR

Hans Christian Meyer aus Wermelskirchen hatte einen tollen Einfall. Der Leiter des Impfzentrums Rheinisch-Bergischer Kreis war frustriert darüber, dass beim Verimpfen des BioNTech-Impfstoffs immer kleine Reste in der Spritze übrigblieben. Eine Verschwendung, wie er fand. Deshalb empfahl er seinem Landrat, auf sogenannte Null-Totraum-Spritzen zurückzugreifen. Mit diesen Spezialspritzen kann der Impfstoff vollständig aus den Ampullen gezogen werden. Statt sechs Impfungen wären mit einer Ampulle sieben Impfungen möglich. An einem Tag wäre es somit machbar, in Bergisch Gladbach rund 100 Menschen mehr zu impfen.

Kreis bestellt 25.000 Spritzen

Der Kreis teilte die Begeisterung und bestellte 25.000 dieser Spritzen in den Niederlanden, um sie möglichst schnell einsetzen zu können. Allerdings ohne Rücksprache mit dem Gesundheitsministerium in Düsseldorf. Und dort fand man die Idee gar nicht so gut. Schließlich falle die Bestellung von Spritzen in die Zuständigkeit des Landes.

Prompt gab es für Meyer und sein Team ein Verbot, diese Spritzen zu benutzen. Das sei ein großer Rückschlag gewesen, erzählt der Impfarzt. Man habe sich dann nach dem Warum erkundigen wollen, „aber wir haben darauf nie eine richtige Antwort bekommen. Am Ende hieß es nur, es gäbe noch rechtlichen Klärungsbedarf und es fehle eine europäische Antwort.“ Offenbar fehlte die entsprechende Zertifizierung dieser Spritzen aus den Niederlanden.

Spritzen werden in anderen Ländern bereits verwendet

In Europa werden diese Spritzen aber längst verwendet. Irland, Dänemark und die Niederlande impfen bereits auf diese Weise. Auch die USA greifen auf diese Spritzen zurück. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagt, das habe auch einen guten Grund. Seiner Meinung nach werden die Null-Totraum-Spritzen in Deutschland noch zu selten verwendet. Er hat für die deutsche Zurückhaltung wenig Verständnis.

Mehrere dieser Spritzen habe er sich angesehen und sehe überhaupt kein Sicherheitsproblem. Die Vorteile aber lägen auf der Hand: „16 Prozent mehr Impfungen wären damit möglich, das ist keine Kleinigkeit“, so Lauterbach. „Ich verstehe nicht, warum man das nicht macht – es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, auf diese Spritzen zu verzichten. Wir müssen jetzt pragmatisch vorgehen.“

Laschet fordert „Pragmatismus“

Diesen Pragmatismus will NRW-Ministerpräsident Armin Laschet auch im Fall des Impfarztes aus Wermelskirchen an den Tag legen. In der ARD-Sendung Maischberger sagte er: „Bei der Frage: Wie viele Spritzen darf man ziehen? – es gibt ja einen in Bergisch Gladbach, der sieben aus einer Ampulle zieht -, da haben wir gesagt: machen!“

Auf den Einwand von Moderatorin Sandra Maischberger, dass dies ja anfangs nicht so gewesen sei, wiederholte der CDU-Chef seinen Appell: „Ja, aber da muss man pragmatisch rangehen und sagen: machen! Wenn ihr es könnt, wenn es verantwortbar ist, macht es. Nicht immer rückfragen, nicht die ganze Bürokratie immer.“

Kreis darf Spritzen nur in Eigenverantwortung nutzen

Der Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises, Stephan Santelmann (CDU), wurde auf die Fernsehsendung aufmerksam gemacht. Er unterstützt den Impfarzt. Sicherheitshalber fragte er noch einmal beim NRW-Gesundheitsministerium an, und das bestätigte, dass der Impfarzt die Spritzen nun einsetzen dürfe. Allerdings eigenverantwortlich.

„Das bedeutet, die Haftung wurde komplett auf unsere Seite geschoben; auf den Kreis, auf die Apotheken, auf die Ärzte“, so Impfarzt Meyer. Er findet das nicht korrekt, hat sich aber nach langen Beratungen mit Kolleginnen und Kollegen entschlossen, diese Verantwortung zu übernehmen. „Aus ärztlicher Sicht spricht nichts dagegen. Und als Arzt ist es doch meine Aufgabe, Menschen zu helfen.“

Bestellungen könnten zu spät kommen

Aus dem Gesundheitsministerium in Düsseldorf kam auf die Anfrage, wie man denn nun mit den Null-Totraum-Spritzen umgehen wolle, bislang keine Antwort. Für den Mediziner Meyer ist das zögerliche Verhalten rätselhaft. „Apotheker sind begeistert, Gesundheitsexperten sind begeistert, Ärzte sowieso. Warum können wir hier nicht besser mit dem Ministerium zusammenarbeiten?“

Meyer sieht dabei ein ganz neues Problem auf Deutschland zukommen: Wenn sich die Behörden entschieden haben, diese Spritzen anzuschaffen, könnte es zu spät sein. „Dann haben die anderen Länder längst bestellt, es wird zu Engpässen kommen. Dann geht es uns hier genauso wie bei den Masken oder beim Impfstoff.“