Impfstoffproduktion Sputnik V – bald „Made in Germany“?
16. April 2021Stand: 16.04.2021 12:04 Uhr
Bisher ist der russische Impfstoff Sputnik V in der EU nicht zugelassen. Doch er soll bald auch im bayerischen Illertissen hergestellt werden. Bis zum dortigen Produktionsbeginn sind aber noch einige Hürden zu überwinden.
Von Peter Allgaier, BR
Ein hoher Zaun, Stacheldraht und viel Wald – von der Straße aus sieht man nur wenig von R-Pharm in Illertissen. Doch die bayerische Staatsregierung setzt große Hoffnungen auf das Unternehmen im Landkreis Neu-Ulm.
2,5 Millionen Dosen des Impfstoffs Sputnik V soll die Firma liefern, mit der man bereits einen Vorvertrag geschlossen habe, betonte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vergangene Woche. Er möchte den Vakzinmangel in Impfzentren und Arztpraxen entschärfen. Doch wann und ob R-Pharm die versprochene Menge liefern kann, ist offen.
Das liegt einerseits an der Zulassung des Impfstoffs für Europa. Der Standort in Illertissen stellte im Februar einen entsprechenden Antrag bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam. Deren Mitarbeiter reisten vergangenen Montag nach Russland, um dort Produktionsstandorte zu besuchen. Sie besichtigten auch zwei Kliniken, in denen Patienten während der klinischen Studien betreut wurden.
Zweifel trotz Studie zu hohe Wirksamkeit
Die medizinische Fachzeitschrift „The Lancet“ bescheinigt Sputnik V eine hohe Wirksamkeit, ähnlich der der Impfstoffe von BioNTech/Pfizer oder Moderna. Doch es gibt auch Zweifel. Laut der slowakischen Arzneimittelbehörde unterscheidet sich der Impfstoff, der geliefert wurde, von dem, den „The Lancet“ bewertet hatte.
R-Pharm kämpft in Illertissen allerdings noch mit anderen Problemen. Es fehlen Genehmigungen des Landkreises Neu-Ulm für die geplante Erweiterung des Betriebes. Ein Baustopp auf dem Gelände war die Folge.
Verfahren in Illertissen soll beschleunigt werden
„Wir können nur ein Brandschutzkonzept oder einen immissionsschutzrechtlichen Antrag genehmigen, wenn sie auch auf dem Tisch liegen“, sagt Franz-Clemens Brechtel, der stellvertretende Landrat. Beim Immissionsschutz wird etwa geprüft, welche Auswirkungen eine Anlage auf die Tier- und Pflanzenwelt, aber auch auf die Luft- und Wasserqualität hat. Eine eigens gegründete Taskforce sowie eine Projektmanagerin sollen nun dafür sorgen, dass die Verfahren beschleunigt werden und reibungsloser ablaufen.
Illertissen hat eine lange Tradition in der Herstellung von chemischen Produkten. 1860 kaufte Heinrich Mack eine Ölmühle und fertigte dort Badetabletten. In den 1930er-Jahren baute der Mediziner Karl August Forster dann auf dem Gelände eine der größten Bienenzuchtfarmen in ganz Europa mit mehr als 100 Millionen Tieren. Aus ihrem Gift wurde ein Rheumamittel namens „Forapin“ hergestellt. Noch heute ist die Bienenkultur in der Stadt sichtbar, in einem eigens eingerichteten Museum im Schloss der Stadt.
R-Pharm übernahm Standort 2014
In den 1970er-Jahren übernahm der US-Konzern Pfizer dann den Standort. Die Firma ließ Arzneimittel verpacken, aber auch Medikamente mit hochwirksamen Stoffen herstellen. Vor allem beim sogenannten „Containment“, also einem Verfahren, bei dem Mitarbeiter nicht mit dem Wirkstoff in Kontakt kommen, war das Unternehmen führend.
Doch das konnte den Abbau von Arbeitsplätzen nicht verhindern. Rund 350 Mitarbeiter sind derzeit noch beim Unternehmen beschäftigt, das 2014 schließlich von R-Pharm übernommen wurde.
Kommune setzt große Hoffnung in die Produktion
„Die Impfstoffproduktion wäre wie ein Sechser im Lotto“, sagt Jürgen Eisen. Er ist Bürgermeister von Illertissen, einer Stadt mit rund 17.000 Einwohnern, von denen viele seine Meinung teilen. Sie hoffen auf gute Arbeitsplätze und mehr Einnahmen für den Ort. R-Pharm hat derzeit Stellen ausgeschrieben: Unter anderem werden Fachkräfte für Biotechnologie gesucht. Mehr als 30 Millionen Euro sollen in den Ausbau investiert werden, so das russische Unternehmen in einer Pressemitteilung.
Neben Sputnik V könnte der Hersteller in Zukunft auch AstraZeneca produzieren. Entsprechende Pläne kursieren bereits seit einem halben Jahr. Doch vieles ist weiterhin in der Schwebe.
Möglicher Produktionsbeginn unklar
R-Pharm kann momentan nur im sogenannten Technikumsmaßstab produzieren, das heißt, die einzelnen Schritte in einer kleinen Testanordnung erproben und zum Beispiel schon einmal Muster für Kunden herstellen. Wann die richtige Produktion anlaufen kann, ist unklar.
Die Regierung von Oberbayern teilt mit, dass R-Pharm bislang noch keinen Antrag eingereicht habe, um den Impfstoff herstellen zu dürfen. Die Behörde sieht die Dringlichkeit angesichts der Pandemie, betont – wie das Landratsamt – aber die Rechtsstaatlichkeit. Grundlage sei, dass alle notwendigen Unterlagen vorliegen und die Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Zeit drängt
R-Pharm in Illertissen läuft allerdings die Zeit davon. Zwar gibt es bundesweit noch immer zu wenig Impfstoffdosen. Die Lage könnte sich allerdings schon in wenigen Monaten ändern. Denn bereits etablierte Hersteller weiten ihre Produktion aus, andere wie die US-Firma Novavax oder der französische Hersteller Sanofi bemühen sich um eine Zulassung.
Am Ende könnte es ähnlich laufen wie bei FFP2-Masken. Erst gab es viel zu wenig, doch inzwischen stapeln sich die Exemplare bei den Händlern. Der Impfstoff dürfte allerdings in vielen anderen, gerade auch ärmeren Ländern noch gebraucht werden, auch weil das Vakzin vergleichsweise günstig ist.