Erst Astrazeneca, jetzt Johnson & Johnson – Forscher identifizieren 4 Gründe, die hinter seltenen Impf-Thrombosen stecken könnten
19. April 202113:45:04
Astrazeneca und Johnson & Johnson gehören zum selben Impftyp und lösen offenbar auch dieselbe seltene Nebenwirkung aus. Was dabei passiert, haben Mediziner herausgefunden. Jetzt wird nach dem Auslöser für die Sinusvenenthrombosen gesucht – mehrere Dinge stehen inzwischen in Verdacht.
Erst Astrazeneca, jetzt Johnson & Johnson – nach der Impfung kann eine Nebenwirkung auftreten, die erschreckend klingt und schlimmstenfalls tödlich enden kann: eine Sinusvenenthrombose, ein Gerinnsel in einem blutableitenden Gefäß im Gehirn. Die Nebenwirkung kommt sehr selten vor, aber nicht selten genug, um darüber hinwegzusehen. Bis zum 14. April wurden dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) 55 Fälle einer Sinusvenenthrombose nach der Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff Vaxzevria gemeldet – bei knapp vier Millionen Impfungen damit.
Betroffen waren überwiegend Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter, die ohne die Impfung keine Probleme mit der Blutgerinnung gehabt hätten. Da auch einige jüngere Männer eine Hirnthrombose bekamen, wird der Impfstoff von Astrazeneca in Deutschland vorsichtshalber nicht mehr an Personen unter 60 Jahren verimpft. Das Vakzin vom US-Pharmakonzern Johnson & Johnson wurde bisher gar nicht erst in Europa ausgeliefert.
Genau zu dem Termin war in den USA die Impfung damit gestoppt wurde. Fast sieben Millionen Impfungen hatten in den USA seit der Zulassung im Februar bis dahin bereits stattgefunden. Es waren aber sechs dokumentierte Fälle von Hirnvenenthrombosen bei Frauen zwischen 18 und 48 aufgetreten, eine von ihnen starb. Jetzt prüfen die amerikanischen und die europäischem Zulassungsbehörden die Sicherheit dieses Impfstoffs, der bisher als einziger mit nur einer Spritze die Immunisierung erreicht.
Forscher kennen die biologische Kaskade einer Sinusvenenthrombose
Bei einer Sinusvenenthrombose kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinnsel. Dies macht sich vor allem durch Kopfschmerzen bemerkbar, auch Lähmungen oder Sprachstörungen können auftreten. Ein Mangel an Blutplättchen, die sogenannte Thrombozytopenie, wiederum führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Als Symptome treten punktförmige Einblutungen in der Haut oder den Schleimhäuten auf, gelegentlich auch starkes Nasenbluten.
Forscher um den Transfusionsmediziner Andreas Greinacher von der Universität Greifswald konnten herausfinden, welche biologische Kaskade zu den Sinusvenenthrombosen führt. Bei den Betroffenen sind spezielle Antikörper vorhanden, die sich an Blutplättchen (Thrombozyten) binden. Die Blutplättchen werden dadurch aktiviert. Normalerweise sorgen Thrombozyten bei einer Verletzung für den Blutungsstopp. Werden sie aktiviert, ohne dass eine Blutung besteht, können sich Gerinnsel im Blut bilden, welche die Gefäße verstopfen können. Es kommt zu einer Thrombose.
„Was genau die Bildung der speziellen Antikörper auslöst, ist noch unklar, daran forschen wir weiter“, sagt Andreas Greinacher. Noch sei nicht einmal klar, ob diese Antikörper schon vor der Impfung im Körper waren oder durch die Immunisierung gebildet wurden. Manche Immunologen gehen davon aus, dass die Betroffenen schon vor der Impfung mit etwas Kontakt gehabt haben, gegen das die Abwehrzellen dieselben Antikörper bilden.
Den Mechanismus für die Sinusvenenthrombose kennen Mediziner vom Gerinnungsmedikament Heparin, bei dem die vereinzelt eine ganz ähnliche Immunreaktion beobachten: die sogenannte heparininduzierte Thrombozytopenie, kurz HIT.
Was bei der Hirmthrombose passiert, ist klar – aber was ist die Ursache?
Experten für Thromboseforschung stehen nun vor einem Erklärungsrätsel. Die Wissenschaftler wissen bisher nicht, ob und welcher Bestandteil des Impfstoffs den Ablauf in Gang setzt. Das Virus, das den „Impfstoff“ als Vektor in die Zellen transportiert? Ein anderer Bestandteil des Serums? Die genetische Sars-CoV-2-Information, die zur Bildung des Spike-Proteins in den Zellen anregt? Das dadurch entstandene Antigen, das die Immunantwort auf den Plan ruft? Welche Gemeinsamkeit haben die Betroffenen? Gibt es eine genetische Disposition, eine Auffälligkeit im Immunsystem?
Die Frage zu beantworten, welche Substanz oder welcher Mechanismus die Antikörper entstehen lassen, hält die Thromboseforscherin Alice Assinger von der medizinischen Universität Wien für besonders wichtig: „Kann eine Beteiligung eines Vektor-Anteils an der Antikörperproduktion nachgewiesen werden, könnte diese Studie dazu beitragen, die Sicherheit von Impfungen zu verbessern, indem in Zukunft alternative Vektoren verwendet werden.“
Möglichkeit 1: Der Vektor ist das Problem
In beiden Präparaten wird ein an sich harmloses Adenovirus, also ein Erkältungsauslöser, als sogenannter Vektor genutzt, um Erbinformationen des Coronavirus in den Körper zu schleusen. Astrazeneca nimmt dafür ein verändertes Schimpansenvirus, Johnson & Jonson ein humanes Schnupfenvirus.
„Die Tatsache, dass beide Impfstoffe auf dem gleichen Prinzip beruhen und die gleichen Probleme verursachen, spricht meines Erachtens eher dafür, dass der Vektor selbst die Ursache ist“, sagte Johannes Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn.
Auch Clemens Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing, vermutet, dass den Nebenwirkungen bei beiden Impfstoffen ein ähnlicher Mechanismus zugrunde liegt. „Es stellt sich die Frage, ob es hier einen Klasseneffekt gibt, also die Adenoviren, die als Vektoren genutzt werden, die Probleme auslösen.“
Immunologe Carsten Watzl von der Universität Dortmund hält die Vektorviren als Ganzes nicht für die Auslöser, wie er in einem Interview mit der „Welt“ ausführte. Wenn die eine Bedeutung hätten, müssten die Thrombosen bei viel mehr Menschen auftreten. Es müsse vielmehr irgendein Teil des Virus sein, der unabhängig vom Erreger im Blut schwimmt.
Möglichkeit 2: Das Spike-Protein des Coronavirus ist schuld
Alle zugelassenen Impfstoff bringen den Bauplan für das Oberflächeneiweiß des Virus in die Zellen. Die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna verpacken die Information in Lipide, also winzige Fetthüllen, Astrazeneca und Johnson & Johnson nutzen speziell präparierte Viren als Transportfähren. In allen Fällen soll das Spike-Protein als Antigen das Immunsystem dazu bringen, Antikörper zu bilden, die das echte Sars-CoV-2-Virus abwehren, wenn es zu einem Kontakt kommt.
Diese Möglichkeit schien bisher unwahrscheinlich, weil die Nebenwirkung nur bei den Vektorimpfstoffen festgestellt wurde. Eine aktuelle Studie aus Oxford will nun aber festgestellt haben, dass Sinusvenethrombosen bei Vektor- und mRNA-Impfstoffen fast gleich häufig oder besser gesagt selten auftreten: Auf eine Million Impfungen sind es vier beziehungsweise drei Fälle.
Möglichkeit 3: Der Grund ist in der Immunreaktion zu suchen
Die Nebenwirkungen könnten unspezifisch im Rahmen der allgemeinen Immunantwort ausgelöst werden. Andreas Greinacher von der Universitätsmedizin Greifswald vermutet, dass die Betroffenen im Verlauf der Immunreaktion spezielle Antikörper bilden, die sich nicht gegen das Coronavirus richten. Sie aktivieren vielmehr die Blutplättchen, was wiederum zu Blutgerinnseln führt.
Carsten Watzl von der Universität Dortmund sagte in der „Welt“: „Es deutet auch alles darauf hin, dass es sich um eine Autoimmunreaktion handelt, bei der der Körper Antikörper bildet, die sich gegen ein Eiweiß im Gerinnungssystem richten.“ Die Impfung triggert den Prozess.
Möglichkeit 4: Eine genetische Disposition für die fehlgeleiteten Antikörper
Der Regensburger Infektiologe Bernd Salzberger fragt sich, gegen welches Antigen diese Antikörper gebildet werden, die letztlich die Hirnthrombose auslösen. Weil es sich bei den Betroffenen mit wenigen Ausnahmen um jüngere Frauen handelt, bringt er hormonelle Risikofaktoren ins Spiel. Und da die Komplikation so selten auftritt, müssen die Betroffenen wohl bestimmte Voraussetzungen mitbringen, etwa eine seltene genetische Veranlagung.
Auszuschließen als Grund für Sinusvenenthrombosen: ein generelles Thromboserisiko
Ein allgemeines Thromboserisiko sei kein zusätzlicher Risikofaktor für eine Hirnthrombose. Das ist bei der gegenwärtigen Verunsicherung in der Bevölkerung für Robert Klamroth, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Vivantes Klinikum in Berlin-Friedrichshain, von großer Bedeutung: „Wir haben momentan überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass Patienten, die schon mal eine Thrombose hatten oder eine Thrombose-Neigung haben, ein höheres Risiko für diese Komplikationen haben“, sagt der Mediziner und Thromboseforscher.
Auch die Thromboseforscherin Alice Assinger von der medizinischen Universität Wien betont, dass die Vektorimpfung „nicht mit einem höheren allgemeinen Thromboserisiko einhergeht. Bedenkt man die große Zahl an Impfungen wird anschaulich, wie selten Sinusthrombosen auftreten und wie gering das Risiko dafür ist.“
Keine Vorbeugung, aber gute Behandlungsmöglichkeit
Eine vorbeugende Maßnahme zur Vermeidung von Hirnthrombosen gibt es nicht. Alice Assinger nennt es aber beruhigend, dass es für die Betroffenen eine relativ unkomplizierte Therapiemöglichkeit gibt: „Noch beruhigender ist die Tatsache, dass jedes mittelgroße Krankenhaus über diese Therapiemöglichkeit verfügt und Patienten damit rasch und sicher geholfen werden kann.“
Durch intravenöses Immunglobulin (ivIgG), also ein spezielles Eiweißmolekül, das dem Patienten gegeben wird, könnten die Blutplättchen blockiert werden. Der die Thrombose auslösende Mechanismus im Körper wird gehemmt und die klassischen gerinnungshemmende Medikamente können das Blutgerinnsel auflösen.