Corona: Darum werden die Inzidenzkurven ungenauer
2. März 2022Bund und Länder wollen wegen der Omikron-Welle PCR-Tests beschränken – mit Auswirkungen auf die amtlich gemeldeten Corona-Fallzahlen. Dadurch wächst die Dunkelziffer bei den Inzidenzen.
Die Sieben-Tage-Inzidenz zeigt an, wie viele Menschen (umgerechnet auf 100.000 Einwohner) in der vergangenen Woche mit einem positiven sogenannten PCR-Test beim jeweiligen Gesundheitsamt gemeldet wurden. Bislang galt: Wer einen positiven Corona-Schnelltest hat, hat Anspruch auf einen kostenlosen PCR-Test. Und auch wer einen Risikokontakt in der Corona-Warn-App angezeigt bekam, konnte sich in der Regel kostenlos auf diese Art testen lassen.
Diese Regeln ändern sich nun – und somit auch die Art, wie die Inzidenzwerte erhoben werden und was sich aus ihnen schlussfolgern lässt.
Neue Test-Strategie: Priorisierung für vulnerable Gruppen und medizinisches Personal
Angesichts hoher Corona-Infektionszahlen durch Omikron sind die Labore überlastet. Beim Bund-Länder-Treffen am Montag wurde daher beschlossen, dass PCR-Tests auf Risikogruppen konzentriert werden sollen und auf mit ihnen arbeitende Beschäftigte. In der kommenden Woche wollen Bund und Länder eine neue Testverordnung vorlegen. Die PCR-Tests sollen vorrangig für zwei Gruppen reserviert werden: für das Pflegepersonal und für Risikopatienten wie alte Menschen.
Wie das alles in der Praxis umgesetzt wird und wann es in Kraft tritt, ist noch offen. Dafür müssen jetzt nach den Bund-Länder-Beratungen zunächst die geltenden Testvorschriften überarbeitet werden.
Neue Teststrategie: Dunkelziffer steigt – Inzidenzmessung schwierig
Die Fallzahlen und Inzidenzen, die die Länder und das Robert Koch-Institut (RKI) jeden Tag veröffentlichen waren nie perfekt. Bereits zu Beginn der Pandemie, als wenige PCR-Tests verfügbar waren, wurde die tatsächliche Zahl der Infektionen weit unterschätzt. Zudem gibt es immer eine erhebliche Dunkelziffer an Infizierten, die nicht in den offiziellen Zahlen enthalten ist. Auch Meldeverzüge waren in der Vergangenheit ein Problem. Dennoch: In Zeiten niedriger Inzidenzen kann aus der Gesamtzahl der durchgeführten PCR-Tests und dem Anteil positiver Tests ein ziemlich gutes Bild über die Infektionslage gezeichnet werden.
Wenn die beschlossenen Änderungen in Kraft treten, und nur noch bestimmte Gruppen einen PCR-Test bekommen, bedeutet das, dass die Inzidenzkurven, die wir auch auf NDR.de zeigen, den Verlauf der Pandemie sehr stark unterschätzen werden. Leider ist nicht einmal sicher, um welchen Faktor die gemeldete Inzidenz falsch liegt. Noch ist nicht bekannt, wann die Regelung in Kraft tritt. Aber schon jetzt sind die Neuinfektionszahlen sehr hoch und die Zahl der PCR-Tests ist in Deutschland limitiert. Allein dadurch können die Inzidenz-Zahlen nicht über einen gewissen Wert steigen. So oder so werden die vermeldeten Werte also die Entwicklung der Pandemie voraussichtlich immer stärker unterschätzen.
Robert Koch-Institut: Vollerfassung nicht angestrebt
Das RKI weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass die erhobenen Daten in erster Linie dem Infektionsschutz dienen. Es gehe vor allem darum, lokale Infektionsherde zu erkennen. Eine Vollerfassung aller Fälle sei in der Regel nicht möglich und auch nicht angestrebt.
Laut RKI gibt es zudem weitere Indikatoren, wie zum Beispiel die „syndromische Surveillance“. Das System ist gut etabliert und diente vor Corona der Analyse von Grippewellen. Dabei melden speziell ausgestattete Arztpraxen die bei ihnen vorstellig gewordenen Patienten mit Atemswegserkrankungen an das RKI. Diese Meldungen fließen dann mit in eine Modellrechnung ein. Allerdings: Wie genau dieses Modell in der Omikron-Welle funktioniert, ist noch nicht klar. Und bisher gibt es nur einen Wert für ganz Deutschland. Regionale Auswertungen – wie NDR.de sie bislang auf Kreisbene zeigt – sind derzeit nicht möglich.
Länder: Hospitalisierung, Intensivbelegung und weitere Indikatoren
Auch die Länder im Norden suchen Alternativen zum Inzidenzwert: Aus der niedersächischen Staatskanzlei heißt es, dass für eine Bewertung immer die Gefährdung des Gesundheitssystems im Mittelpunkt stehe. Hinweise darauf böten die Hospitalisierungsrate und die Intensivbettenbelegung.
Auch in Schleswig-Holstein ist die Hospitalisierungsinzidenz weiterhin ein wichtiger Indikator. Daneben schaue man auf die tagesaktuellen Belegungszahlen der Krankenhäuser mit Covid-19-Patienten, sowie auf die Impfquote. Ähnlich äußert sich die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern.
Hospitalisierungsinzidenz wird oft unterschätzt
Allerdings: Die aktuelle Hospitalisierungrate wird aufgrund von Nachmeldungen ebenfalls teilweise stark unterschätzt. Das ist leider immer noch so, obwohl RKI-Chef Lothar Wieler erneut darauf hinwies, wie wichtig dieser Wert sei, um die „Krankheitslast“ beurteilen zu können. Um den Indikator nicht systematisch zu unterschätzen, nutzt der NDR ein von Wissenschaftlern entwickeltes sogenanntes Nowcast-Modell, um die aktuelle Rate zu schätzen.
Ein besserer Wert ist die Auslastung der Intensivstationen. Diese Daten werden tagesaktuell gemeldet – und hier gibt es kein „Dunkelfeld“. Allerdings ist die Intensivauslastung ein sogenannter nachlaufender Indikator, denn eine Einweisung auf die Intensivstation geschieht in der Regel erst Wochen nach einer Infektion mit dem Corona-Virus.
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