Corona-Politik in MV: Wie viel Stringenz und Wahlkampf sind dabei?

Corona-Politik in MV: Wie viel Stringenz und Wahlkampf sind dabei?

30. April 2021 Aus Von mvp-web
Stand: 30.04.2021 14:38 Uhr

Neun Mal wurde der Lockdown verlängert. Von November-, Brücken-, Wellenbrecher-Lockdown, hartem Lockdown, Teil-Shutdown, Lockdown Light, Osterruhe und Bundesnotbremse war in den vergangenen Monaten die Rede. Eine Konstante in der Krise: Die Pressekonferenzen der Ministerpräsidentin.

von Anna-Lou Beckmann, NDR 1 Radio MV

Die Ministerpräsidentin läuft von rechts ins Bild, tritt ans Rednerpult. Sie nimmt ihre weiße FFP2-Maske ab, streicht ihre Haare hinters Ohr. Die Stimme des Regierungssprechers aus dem Off begrüßt die Journalisten und dann spricht Manuela Schwesig (SPD): „Vielen Dank. Auch von mir ein herzliches Willkommen hier in der Staatskanzlei und auch unseren Zuschauern und Zuschauerinnen im Live Stream.“ Es ist jedes Mal der gleiche Ablauf und es wirkt fast schon ritualisiert. Sie sind mittlerweile fester Bestandteil der Pandemie: Die unzähligen Pressekonferenzen der Ministerpräsidentin – immer live gestreamt auf Facebook und Instagram – in denen sie sich als Krisen-Managerin in Stellung bringt. Allein in dieser Woche gab es vier Ausgaben dessen aus der Staatskanzlei.

In sechs Monaten von Einigkeit zu andauernder Kritik

Beinahe täglich, mindestens wöchentlich gibt es eine Einladung zu diesen Terminen – meist kurzfristig angesetzt, fast immer tritt die Ministerpräsidentin später als angekündigt vor die Mikros und Kameras. Immer im Gepäck: Neue Regelungen in der Corona-Krise. Von Beginn der Pandemie bis Ende des vergangenen Sommers gehörte ein Satz immer ins Repertoire Schwesigs: „Mecklenburg-Vorpommern kommt gut durch die Krise.“ Mittlerweile hört man diesen seltener von ihr. Ende Oktober verkündete sie nach einer Bund-Länder-Beratung: „Ich teile die Einschätzung unserer Bundeskanzlerin und meiner Kollegen, dass wir jetzt in Deutschland eine nationale Kraftanstrengung brauchen.“

Schwesig kritisiert immer wieder den Bund

Der Plan: Vier Wochen weniger Kontakte, geschlossene Restaurants und Hotels, kein Sport, keine Kultur. Das Ziel: Weihnachten retten. Trotz aller Bemühungen – die Zahl der Corona-Neuinfektionen stiegen und die Einschränkungen mussten verlängert werden – neun Mal insgesamt. Unterdessen wurde der Ton rauer: In unzähligen Pressekonferenzen, Regierungserklärungen, Talkshows und facebook-Videos kritisiert Schwesig in erster Linie immer wieder den Bund. Der sei schuld an beispielsweise zu wenig Impfstoff, verspäteten Wirtschaftshilfen und mangelnden Tests. Zuletzt bezeichnete Schwesig die einheitliche Bundesnotbremse als „Wischi-Waschi-Kurs“ und entschied sich mit ihrem Kabinett für einen härteren Sonderweg in Mecklenburg-Vorpommern.

Oldenburg: Sonderweg ist nicht immer sinnvoll

Es müsse immer etwas Besonderes sein, Mecklenburg-Vorpommern suche immer den Sonderweg, und das sei nicht immer sinnvoll, findet die Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag Simone Oldenburg. Sie hat für sich zwei Fehler in der Corona-Politik ausgemacht: Zum einen hätten weder der Bund noch das Land den Sommer genutzt, um sich auf die zweite Welle vorzubereiten. Zum anderen gebe es jetzt nur deswegen einen Lockdown, weil versäumt wurde, ausreichend Impfstoff zu beschaffen. Bis zum Ende des Sommers, so Oldenburg weiter, sei die Corona-Politik des Landes weitestgehend stringent gewesen, mittlerweile glichen die Pressekonferenzen in der Staatskanzlei einer Showveranstaltung. Informationen würden gestückelt präsentiert, statt einen Strauß von Maßnahmen gebündelt zu verkünden. „Jetzt muss es oberste Priorität sein, dass alle ihre Rechte so schnell wie möglich zurückbekommen, und das muss man nicht groß feiern und ankündigen. Das hat automatisch zu erfolgen“, so Oldenburg. Jetzt sei nicht die Zeit für politisches Kalkül.

Fernandes: Schwesig ist schon lange im Wahlkampf

„Mit der Kritik am Bund macht sich die Ministerpräsidentin einen schmalen Fuß“, sagt Thomas de Jesus Fernandes, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD, mit Blick darauf, dass auch die SPD im Bund mit am Regierungstisch sitze. Selbstkritik der Landesregierung fehle ihm komplett. Die Ministerpräsidentin produziere sich bei jeder Gelegenheit selbst. Spätestens im Januar habe sich das eklatante Versagen der Regierung gezeigt. „Ohne Impfstoff waren die getroffenen Maßnahmen erklärbar und dann hat sich gezeigt, dass zu wenig bestellt wurde.“ Mittlerweile sei keine Stringenz im Handeln der Regierung zu erkennen, meint Fernandes, und er glaube nicht, dass der einfache Bürger auf der Straße noch wisse, welche Regelungen gerade überhaupt gelten.

Politikwissenschaftler: Zustimmung in der Bevölkerung hat abgenommen

Moderator Thilo Tautz im Gespräch mit Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Muno im Nordmagazin. © NDR
4 Min

Professor Muno: Zustimmungsrate zur Corona-Politik hat nachgelassen

Politikwissenschaftler Muno ist der Ansicht, dass es seit Herbst zunehmend Streitigkeiten in der Coronapolitik gab.

Professor Wolfgang Muno, Politikwissenschaftler an der Universität Rostock, ist der Ansicht, dass der Föderalismus in der Pandemiebekämpfung am Anfang ein Erfolgsmodell war. Bis zum Herbst habe es eine einheitliche Meinung gegeben, aber ab Herbst habe man sehr viele Streitigkeiten erleben können. Weiter sagt Muno: „Alle haben ihr eigenes Süppchen gekocht.“ Das habe auch die Bevölkerung so wahrgenommen. Die einstige Zustimmungsrate zur Corona-Politik habe nachgelassen. „Insgesamt fährt die Politik auf Bundes- und Landesebene schwer auf Sicht, weil wir vieles über Corona noch nicht wissen“, meint Muno im Interview mit dem NDR.

Muno: Immer wieder Wahlkampf-Aktionen bei Corona-Politik

Er ist der Meinung, die Politik habe zu wenig aus internationalen Erfolgsgeschichten gelernt, wie beispielsweise die Corona-Strategie in Südkorea. Im großen und ganzen seien sich SPD, CDU, die LINKE und auch die Grünen im Land einig in der Krisen-Politik. „Doch dann gibt es immer wieder Aktionen, wo man den Wahlkampf aus der Tasche zieht“, sagt Muno mit Blick auf Schwesigs Kritik an dem Landrat von Vorpommern-Greifswald, Michael Sack (CDU). Da habe Schwesig die Gelegenheit genutzt, einen Wahlkampfgegner an den Pranger zu stellen. „Es ist klar, dass wir immer mehr Wahlkampf in den nächsten Wochen und Monaten sehen werden“, so Muno. Durch die Pandemie-Beschränkungen würde es gerade die Opposition schwer haben, sich dann zu präsentieren.