Für ihre Studie hatten die Forscher untersucht, wie Sars-CoV-2 die Proteine (Eiweißstoffe) in einer befallenen Zelle verändert. Dazu nutzten sie eine Liste von 332 menschlichen Proteinen, die mit den von Virus mitgebrachten Proteinen wechselwirken können.
Ihr besonderes Interesse galt dabei der sogenannten Phosphorylierung: Bei diesem Prozess werden kleine phosphorhaltige Moleküle an andere Biomoleküle angehängt, insbesondere an Proteine. Dadurch wird deren Aktivität reguliert. Dies spielt bei vielen Prozessen wie Wachstum, Teilung und Alterung von Zellen, aber auch bei der Proteinsynthese eine Rolle.
Die Phosphorylierung wiederum wird von bestimmtem Enzymen kontrolliert, den sogenannten Kinasen. „Sie sind das Hauptschaltpult der Zelle“, erklärt Krogan. „Wenn das Virus dieses Schaltpult manipulieren kann, dann kann es die Dinge so beeinflussen, dass sie die Infektion fördern.“
Ihre Untersuchungen führten Kogan und seine Kollegen an Nierenzellen von Grünmeerkatzen durch, die von Sars-CoV-2 ähnlich leicht befallen werden wie menschliche Zellen. Dabei sahen sie „in den Affenzellen ein dramatisches Neuarrangement bei der Phosphorylierung von Virus- und Wirtsproteinen“, heißt es in der Studie. So waren 40 der 332 untersuchten Proteine sowie 49 weitere Kinasen in infizierten Zellen anders phosphoryliert als in intakten Zellen, was ihre Aktivität erhöhte oder auch reduzierte.
Besonders stark hatte sich die Aktivitität einer bestimmten Kinase verändert, der Kaseinkinase 2. Sie gehört zu einem zellulären Signalweg, der das Wachstum des Zellskeletts reguliert. Diese Struktur bestimmt die Form einer Zelle und verleiht ihr Stabilität. Wie weitere Analysen zeigten, kaperte das Virus die Kaseinkinase 2 regelrecht und erzwang durch deren die erhöhte Aktivität die Bildung der Tentakeln (fachlich: Filopodien). Sie waren in Bildern zu sehen, die Forscher der Universität Freiburg und der US-amerikanischen National Institutes of Health mit leistungsstarken Elektronenmikroskopen anfertigten.
Sieben Medikamente konnten die Vermehrung der Viren hindern
Zwar ist auch von anderen Viren wie den Erregern der Pocken, des Marburgfiebers oder von Ebola bekannt, dass sie das Skelett befallener Zellen übernehmen, um von Zelle zu Zelle zu springen. Doch Sars-CoV-2 erzwingt die Bildung längerer und weiter verzweigter Tentakeln, was eine aggressivere Übertragung ermöglicht. „Die Visualisierung der ausgedehnten Verzweigungen der Filopedien beflügelt einmal mehr unser Verständnis der Wechselwirkung zwischen Virus und Wirt und hilft uns, mögliche Ansatzpunkte für eine Intervention zu finden“, konstatiert Studienleiter Kogan.
Tatsächlich enthüllte die Beobachtung „die Achillesferse der infizierten Zellen“, so Kogan weiter. Mit seinen Kollegen identifizierte er 87 Medikamente, die entweder bereits zugelassen sind oder in klinischen Studien erprobt werden, die die von Sars-CoV-2 veränderten Kinasen hemmen. Sieben davon, die normalerweise zur Behandlung von Krebs und Entzündungen eingesetzt werden, verhinderten in Experimenten die Vermehrung der Viren.
Allerdings weisen andere Forscher auf einen Schwachpunkt der Studie hin. „Sie wurde sorgfältig und gründlich durchgeführt, hat aber ihre Grenzen“, meint die Biologin Carol Reiss von der New York University, die nicht zu den Autoren zählt. „Denn sie wurde an Affenzellen durchgeführt, nicht aber mit dem Gewebe menschlicher Atemwege.“ Deshalb gelte es nun, die Ergebnisse auf die Infektionen beim Menschen zu übertragen.
Zentrale Waffe von Sars-CoV-2 ist ein viruseigenes Protein
Eine weitere Untersuchung, durchgeführt von Forschern der Universität München und des Universitätsklinikums Ulm, zeigt im Detail, wie Sars-CoV-2 wichtige Teile der angeborenen Immunabwehr ausschaltet. Dazu nutzt es ein bestimmtes viruseigenes Protein (Nonstructural Protein 1, kurz Nsp1). Es sei „eine der zentralen Waffen, die das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 einsetzt, um sich im menschlichen Körper auszubreiten“, verlautbaren die Autoren.
Entdeckt wurde Nsp1 bereits beim Ausbruch des verwandten Sars-Coronavirus vor gut zehn Jahren. Wie Wissenschaftler damals herausfanden, legt es im Wirt die Proteinproduktion an den Ribosomen lahm. Sie sind die molekularen Maschinen, die in jeder der Körperzelle für die Produktion von Proteinen sorgen. Dafür nutzen sie Abschnitte der sogenannten Messenger-RNA (mRNA) als Baupläne und setzen danach die Ketten aus Aminosäuren zusammen, die sich zu intakten Proteinen falten.
Die Mechanismen des Angriffs
In ihrer Analyse, die im Wissenschaftsmagazin „Science“ erschien, beschreiben die Autoren nun die Mechanismen des Angriffs. Ribosomen bestehen aus zwei Untereinheiten; an der kleineren, der sogenannten 40S-Untereinheit, greift Nsp1 an. Mit seinem einen Ende blockiert es den Eingang des Kanals, in den sich sonst die Messenger-RNA mit dem genetischen Bauplan einfädelt.
Die Folge: Die molekulare Maschine steht still. Mit hochauflösender Elektronenmikroskopie konnte eine Gruppe um den Münchener Genetiker Roland Beckmann zeigen, wie sich Nsp1 in eine spezielle Tasche des Ribosoms setzt, sich dort verklammert und den Kanal versperrt.
Ergänzend dazu wies ein Team um Konstantin Sparrer vom Universitätsklinikum Ulm nach, dass durch den Shutdown der Proteinproduktion eine wichtige Verteidigungslinie im Kampf gegen Virenangriffe kollabiert: Er schaltet die angeborene Immunabwehr weitgehend aus, indem er eine dafür zentrale Signalkaskade blockiert.
Mit ihren Ergebnissen, hoffen die Autoren, ließe sich Sars-CoV-2 womöglich bekämpfen. Denkbar wäre der Einsatz eines Moleküls, das den Angriffspunkt des Virenproteins gleichsam maskiert. Die Tasche am Ribosom, in der sich Nsp1 festsetzt, ist nach bisherigen Erkenntnissen für die normale Proteinproduktion nicht unverzichtbar.
Donnerstag, 23.07.2020, 16:29