++ Liveblog Nach der Bundestagswahl – „Ende der Volksparteien ist besiegelt“ ++
4. Oktober 2021Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Krüger, sieht das Ende der Volksparteien gekommen. SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach rechnet fest mit einer Ampelkoalition.
- Klingbeil hofft auf Entscheidung von Grünen und FDP für Ampel-Gespräche
- FDP-Generalsekretär Wissing lehnt Steuererhöhungen ab
- Chef der Zentrale für politische Bildung: Ende der Volksparteien
- Lauterbach rechnet mit Ampelkoalition
- Halbes Dutzend Klagen gegen Wahl
- Mehrheit will Steinmeier als Präsidenten behalten
- Röttgen: Laschet-Rücktritt wäre nicht richtig gewesen
Ende des Liveblogs
Wir beenden an dieser Stelle den heutigen Liveblog.
FDP-Politiker werfen Union Indiskretionen vor
FDP-Parteivize Johannes Vogel hat der Union nach den Gesprächen über eine Regierungsbildung einen Bruch der vereinbarten Vertraulichkeit vorgeworfen. „Es gab vergangenes Wochenende drei Sondierungsgespräche, an denen ich für die FDP auch teilgenommen habe. Aus zweien liest und hört man nix. Aus einem werden angebliche Gesprächsinhalte an die Medien durchgestochen“, schrieb Vogel am Montag auf Twitter. „Das fällt auf, liebe Union – und es nervt!“
Die Bundestagsabgeordnete Sandra Weeser, Beisitzerin im FDP-Bundesvorstand, wurde plastischer und versah Punkte in den jeweiligen Parteifarben fast allesamt mit dem Wort „Stille“. Nur zur Sondierung von Gelb und Schwarz am Sonntag schrieb sie: „Bild-Zeitung. Wie soll so Vertrauen für eine Zusammenarbeit entstehen? CDU.“ Die FDP hatte wiederholt bekräftigt, Fehler wie bei den gescheiterten Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition im Jahr 2017 sollten diesmal verhindert werden.
Chef der CDU-Kommunalpolitiker fordert Ende Personaldebatten
In der CDU regt sich Widerstand gegen anhaltende Personaldebatten in der Partei. „Ich rate allen in der Partei bzw. der Schwesterpartei, Personaldiskussionen zurückzustellen oder zu stoppen“, sagt der Vorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung der Union (KPV), Christian Haase, im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir sollten uns jetzt darum kümmern, die Jamaika-Sondierungen voranzutreiben und FDP und Grünen keinen Vorwand zu liefern, die Gespräche mit Hinweis auf eine unklare Personallage in der CDU zu beenden.“ Nötig sei, ein „gutes Angebot für eine Zukunftskoalition“ vorzulegen.
FDP: CDU/CSU spielt weiterhin eine Rolle
FDP-Politiker sehen weiterhin größere Gemeinsamkeiten mit der Union als mit der SPD. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied im FDP-Bundesvorstand, sagte im Radiosender SWR Aktuell: „Die CDU/CSU ist noch im Rennen und wir werden sehen, was am Ende der Woche dabei herauskommt.“ Allerdings sei die Union im Moment stark mit sich selbst beschäftigt.
Wie es nach dem Sondierungswochenende weitergehe, hänge von dem am Dienstag geplanten Gespräch zwischen Grünen und Union ab, sagte der FDP-Politiker Otto Fricke im RTL/ntv-„Frühstart“.
Klingbeil will keine „roten Linien“ bei Sondierungen ziehen
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat sich gegen inhaltliche Vorfestlegungen bei den Sondierungsgesprächen für eine Ampel-Koalition mit den Grünen und der FDP ausgesprochen. „Es geht jetzt gar nicht darum, rote Linien zu formulieren“, sagt Klingbeil im ZDF-Morgenmagazin. Es gehe darum, die großen Herausforderungen für Deutschland zu meistern. Dass Zwölf-Euro-Mindestlohn, bezahlbares Wohnen und stabile Renten sehr wichtige Fragen für die SPD seien, das wisse man.
Klingbeil hofft auf schnelle Entscheidung von Grünen und FDP für Ampel-Gespräche
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hofft, dass FDP und Grüne sich schnell für Gespräche mit seiner Partei zur Bildung einer Ampelkoalition entscheiden. Dann solle es „endlich losgehen“, sagte Klingbeil am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Am Sonntag hatte die SPD mit den beiden kleineren Parteien getrennt erste Sondierungsgespräche geführt, die Union sprach mit der FDP.
Klingbeil sprach sich in der Sendung erneut gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition aus SPD und Union aus. Er sei der „festen Überzeugung, dass die Konservativen auf die Oppositionsbank gehören“, sagte er.
FDP-Generalsekretär Volker Wissing sagte, dass seine Partei erst einmal das Gespräch zwischen Union und Grünen abwarten wolle. Dann werde es eine interne Auswertung geben. „Denn ein Verhaken zwischen Grünen und FDP wäre der sichere Weg in die Große Koalition“, sagte er. Das wolle niemand.
Trittin mahnt zur Eile bei den Sondierungen
Der langjährige Grünen-Politiker und ehemalige Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin hat im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk zur Eile bei den Sondierungen und den anstehenden Koalitionsverhandlungen gemahnt. „Die Welt wartet ja nicht auf uns“, so Trittin.
Es sei wichtig, dass schon bald klar sei, wer Deutschland vertrete und führe, so Grünen-Politiker. „Wir stehen vor der Situation, dass in diesen Tagen die Beratungen für das größte Gesetzespaket der Europäischen Union beginnt, das Europa bis 2030 auf den Kurs der Klimaneutralität bringen soll – und wer vertritt da eigentlich die Bundesrepublik Deutschland? Die abgewählte große Koalition? Oder eine Koalition mit Handlungsauftrag? Das heißt, alle Verhandlungsbeteiligten stehen unter Druck, aus der Sache heraus Lösungen zu finden. Aber auch sie stehen auch unter dem Druck, dies sehr schnell tun zu müssen.“
Grünen-Bundesgeschäftsführer – „dynamische und gute Gespräche“ mit SPD
Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hat die ersten Sondierungsgespräche mit der SPD positiv bewertet. Man habe mit allen Parteien Vertraulichkeit vereinbart, sagt Kellner im ZDF-Morgenmagazin. „Aber es waren dynamische und gute Gespräche.“ Mit der SPD gebe es sicherlich die größten Schnittmengen.
Einen Termin für ein Dreiergespräch gebe es noch nicht. Zunächst müssten alle Beratungen einzeln erfolgen. „Dann zieht man einen Strich drunter, und dann schaut man mal, wie es weitergeht.“ Er würde sich aber wünschen, dass es zu einer zügigen Regierungsbildung komme.
FDP-Generalsekretär Wissing lehnt Steuererhöhungen ab
Die FDP pocht für den Fall einer Regierungsbeteiligung auf ihr Wahlversprechen, dass es keine Steuererhöhungen gibt. „Die FDP hat das klar gesagt, und die FDP rückt von dieser Position auch nicht ab“, sagt Generalsekretär Volker Wissing im ZDF-Morgenmagazin. „Das ist eine klare Aussage gewesen.“ Dass die Steuerpolitik immer eine große Hürde für Koalitionen sei, das wisse man. Das sei in der Vergangenheit mit der CDU so gewesen und das sei es jetzt in besonderem Maße auch mit der SPD. Das habe vor der Wahl aber jeder gewusst.
Die Parteiprogramme seien an dieser Stelle klar unterschiedlich. Die FDP sei hier inhaltlich näher an CDU und CSU. „Aber der Umsetzungswille der Union in der Vergangenheit was Steuerreformen angeht, war auch überschaubar“, sagt Wissing.
Lauterbach rechnet mit Ampel-Koalition
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach rechnet mit einer Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP. „Ich bin fest davon überzeugt: Wir bekommen ein Ampel-Bündnis,“ sagte Lauterbach bei „Bild TV“. Dies ein sehr gutes Bündnis: „Moderne Sozialpolitik der SPD, aggressive Umweltpolitik der Grünen, Digitalisierungs- und Freiheitsrechte der FDP.“ Eine mögliche Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP wäre seiner Meinung nach dagegen nicht lange stabil.
DIW-Chef fordert 500-Milliarden-Fonds für Klima und Digitalisierung
Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält es für machbar, Milliardeninvestitionen des Staates in Klimaschutz und Digitalisierung ohne Verletzung der Schuldenbremse umzusetzen. Er plädiere für die Bildung einer einmaligen Rücklage über rund 500 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen, aus der in den kommenden zehn Jahren die Ausgaben für Klimaschutz und Digitalisierung bezahlt werden könnten, sagte der DIW-Chef dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Für den normalen Haushalt sollte dann ab 2023 oder 2024 die Bremse wieder gelten.
Fratzscher zeigte sich optimistisch über die Einigungschancen von Grünen und FDP. Die FDP wolle zwar den Markt alles richten lassen, die Grünen setzten auf einen starken Staat, der strenge Rahmenbedingungen setze und investiere. „Nur: Das sind keine Widersprüche, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Das sind zwei Seiten einer Medaille“, betonte der DIW-Chef. „Beides gehört ins Regierungsprogramm – in einer klugen Balance.“ Schwierige Verhandlungen erwartet Fratzscher eher mit SPD oder Union, etwa bei der Frage des Vorziehens des Kohleausstiegs auf 2030. Das gelte auch für die notwendigen Reformen der Sozialsysteme.
Chef der Zentrale für politische Bildung: Ende der Volksparteien
Die Ära der Volksparteien ist aus Sicht des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, absehbar beendet. „Die Bundestagswahl ist eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Denn das Ende der Volksparteien ist besiegelt.“
Bei der Wahl vor einer Woche hatte die SPD zwar gewonnen, aber nur mit 25,7 Prozent. Die Union war auf 24,1 Prozent gefallen. Bis 2005 hatten beide Volksparteien stets an die 30 Prozent oder auch weitaus mehr erreicht. Danach war schon die SPD bis an die 20-Grad-Marke gesunken, nun ist auch die Union eingebrochen. Aus Krügers Sicht könne es auch „ein Gewinn sein, wenn sich ein breiteres Parteiensystem herausbildet“.
Seit dem Bundestagseinzug der AfD 2017 umfasst das Parlament sieben Parteien. Mit dem Einzug des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) mit einem Abgeordneten sind nun gar acht Parteien im Bundestag vertrete
Umfrage: Mehrheit will Steinmeier als Bundespräsidenten behalten
70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind dafür, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für eine zweite Amtszeit bleibt. Dies geht aus den Ergebnissen einer Forsa-Umfrage hervor, die dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ vorliegen. Mit seiner Arbeit zufrieden sind sogar Dreiviertel der Bevölkerung – die über 60-Jährigen mit 80 Prozent noch mehr als die Jüngeren, die Westdeutschen (76 Prozent) eindeutiger als die Ostdeutschen (68 Prozent). Allen voran die Anhängerinnen und Anhänger der Sozialdemokratie bewerten seine Arbeit zu 88 Prozent positiv. Steinmeiers erste Amtszeit endet im Februar 2022.
Röttgen: Laschet-Rücktritt wäre nicht richtig gewesen
Der CDU-Politiker Norbert Röttgen hat es verteidigt, dass die Union mit ihrem unterlegenen Kanzlerkandidaten Armin Laschet in die Sondierungen für eine Koalition mit Grünen und FDP geht. In der ARD verneinte er bei Anne Will am Sonntagabend die Frage, ob Laschet nicht unmittelbar nach der Unionsniederlage bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag hätte zurücktreten müssen. „Das wäre falsch gewesen“, sagte Röttgen, der als einer derer gilt, die Laschet stürzen wollen, um selbst ins Machtzentrum der Union aufzurücken.
Ein Rücktritt wäre deshalb falsch gewesen, weil noch nicht klar sei, wer eine Regierung bilden könne – SPD, Grüne und FDP in einer Ampel-Koalition oder die Union mit Grünen und FDP in einem sogenannten Jamaika-Bündnis. „Wenn das nicht der Fall ist, ist die Union auch in der Pflicht, Gespräche zu führen“, erklärte Röttgen und fügte mit Blick auf die parteiinternen Ämterwahlen hin, „und zwar mit dem Personal, das gewählt worden ist.“
Röttgen beantwortete Wills Frage erst beim dritten Nachfassen der Moderatorin, nachdem er zuvor stets ausgewichen war. Zuvor hatte er in Interviews eine inhaltliche und auch personelle Neuaufstellung der Union gefordert, was als Attacke auf Laschet verstanden worden war.