Feinstaub und Stickoxide: Warum Luftverschmutzung Covid-19 tödlicher macht
24. April 2020Studien zeigen: je mehr Feinstaub und Stickoxide, desto mehr Menschen sterben an Covid-19. Doch wie gut ist dieser Zusammenhang tatsächlich belegt? Und woran liegt das?
Am Anfang stand eine bemerkenswerte Beobachtung. Die Lombardei und Emilia Romagna, jene beiden Regionen, in denen das Coronavirus am stärksten wütete, sind gleichzeitig auch jene mit der höchsten Luftverschmutzung in Italien. Viele Fachleute glauben nicht an einen Zufall – und inzwischen legen Studien nahe, dass sie Recht haben: Schadstoffe in der Luft machen Covid-19 vermutlich tödlicher.
Das folgt zum Beispiel aus einer Studie an den 3080 Landkreisen der USA, in der eine Gruppe um Xiao Wu und Rachel Nethery von der Harvard University untersuchte, wie langfristige Luftverschmutzung die Sterblichkeit durch Covid-19 beeinflusst. Das Ergebnis: Nur ein Mikrogramm mehr Feinstaub pro Kubikmeter Luft erhöhe die Todesfälle im Schnitt um 15 Prozent, berichtet das Team in der Vorabveröffentlichung. Ähnliche Ergebnisse vermeldet Yaron Ogen von der Universität Halle-Wittenberg in einer Analyse von betroffenen Regionen in Europa.
Luftverschmutzung begünstigt Atemwegsinfektionen
Dass Luftverschmutzung das Coronavirus gefährlicher macht, kommt keineswegs überraschend, im Gegenteil: Bei dem eng verwandten Virus Sars-CoV beobachteten Fachleute 2003 den gleichen Effekt. Auch bei der Grippepandemie 1918/19 hatten Schadstoffe wohl gravierende Auswirkungen. Eine Gruppe um Karen Clay von der Carnegie Mellon University analysierte 2015, welche Auswirkungen die Abgase von Kohlekraftwerken in 183 US-Städten hatten. Das Ergebnis: Selbst wenn man lediglich die Luftverschmutzung in den stärker betroffenen Städten auf einen mittleren Wert reduziert hätte, wären etwa 20.000 Menschen weniger an der Spanischen Grippe gestorben.
Versuche in Mäusen legen nahe, dass Dieselabgase und Feinstaub die Empfänglichkeit für Atemwegsinfektionen erhöhen und Influenza schwerer verlaufen lässt. Der Effekt lässt sich in Zellkultur nachweisen, und Analysen saisonaler Grippeerkrankungen zeigen den Zusammenhang ebenfalls. Es wäre deswegen womöglich eher überraschend, keinen Zusammenhang zwischen dem Coronavirus und Luftverschmutzung zu finden.
Der Effekt geht auf die gleichen Wirkungen zurück, die Luftschadstoffe, besonders Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO), auch ohne Pandemie sehr gesundheitsschädlich machen. Betroffen sind als erstes die Atemwege. In Bronchien und Lunge würden die Stoffe oxidativen Stress und eine chronische Entzündungsreaktion erzeugen, schrieb die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG) 2018 in einem Positionspapier zur Luftverschmutzung.
Außerdem werde die Schleimhaut geschädigt und Mikroorganismen würden nicht mehr so effektiv aus der Lunge befördert. Das Organ werde dadurch anfälliger für Infektionen aller Art, merkt die Organisation an. Dagegen gilt als eher unwahrscheinlich, dass Feinstaub als eine Art „Virentaxi“ wirkt; stattdessen addieren sich die die Risikofaktoren. „Luftverschmutzung trägt dazu bei, dass in höher belasteten Bevölkerungsgruppen vermehrt Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Krankheiten auftreten können“, erklärt der Epidemiologe Dietrich Plaß vom Umweltbundesamt, „was wiederum dazu führt, dass sie dadurch ein höheres Risiko für schwerere Verläufe haben.“
Die Daten reichen nicht aus
Das betrifft vor allem das Herz-Kreislauf-System. Obwohl man meinen sollte, dass die Atemwege als Eintrittspforte in den Körper am stärksten betroffen sind, hat insbesondere Ultrafeinstaub mit einer Partikelgröße von unter 2,5 Mikrometern einen größeren Effekt auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Ischämische Herzerkrankungen, Herzinfarkte, Krankenhauseinweisungen und Sterblichkeit seien allesamt deutlich mit Luftverschmutzung verbunden, schließt die DGP in ihrer Stellungnahme. Derzeit mehren sich die Hinweise, dass schwere Verläufe von Covid-19 ebenfalls dramatische Auswirkungen auf die Blutgefäße haben.
Wie groß der Effekt tatsächlich ist und welche Auswirkung er auf den Verlauf der Pandemie hat, ist allerdings unklar. Die bisherigen Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Luftverschmutzung und der Sterblichkeit durch Covid-19 nahelegen, kranken an den extrem ungleich verteilten Daten. Einzelne große Ausbrüche dominieren bisher das Infektionsgeschehen, so dass vergleichsweise wenige Ereignisse die Statistik dominieren. So schrumpft der in den USA gemessene Effekt deutlich, wenn man die Regionen des am stärksten betroffenen Staates New York aus der Analyse herausnimmt.
„Wir stehen heute noch ziemlich am Anfang der Epidemie“
Dieses Problem betrifft auch die eingangs genannte Studie, in der Yaron Ogen von der Universität Halle-Wittenberg einen entsprechenden Zusammenhang in Europa fand. Zusätzlich finden solche frühen Ausbrüche meistens in den international vernetzten großen Metropolen oder Industrieregionen statt. Dort, wo das Virus am schnellsten hin gelangt und gute Ausbreitungsbedingungen vorfindet. In solchen Gegenden ist jedoch auch die Stickoxid- und Feinstaubbelastung hoch.
„Wir stehen heute noch ziemlich am Anfang der Epidemie“, sagt der Expositionsforscher Dirk Wintermeyer, ebenfalls vom Umweltbundesamt. Wirklich gesicherte Aussagen seien erst möglich, wenn es ein weitgehend flächendeckendes Infektionsgeschehen und hinreichende Informationen darüber gebe. „Luftverschmutzung ist für Covid-19 nicht irrelevant“, sagt der Wissenschaftler. „Aber aus den täglich wechselnden Zahlen nachgewiesener Neuinfektionen und Todesfällen schon jetzt einen großen Effekt der Luftverunreinigungen herleiten zu wollen, wäre voreilig.“
Quelle: Focus Online Donnerstag, 23.04.2020, 18:15