Baerbock zu Koalitionsverhandlungen „Wir sind noch nicht so weit“
5. November 2021Noch immer dringen kaum Details aus den Ampel-Verhandlungen – doch offenbar steigt die Nervosität. Grünen-Chefin Baerbock sieht Probleme bei „zentralen Baustellen“ – und schließt eine Verlängerung der Gespräche nicht aus.
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hat Differenzen in den Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP bei der Klimapolitik eingeräumt und eine Verlängerung nicht ausgeschlossen. „Wir brauchen eine neue Bundesregierung, die Veränderung in diesem Land erreicht, die nicht nur Fortschritt auf Papiere draufschreibt, sondern den dann auch in den wesentlichen Kernbereichen löst“, sagte sie dem RBB.
Mit Blick auf den angestrebten Koalitionsvertrag fügte sie hinzu: „Wir können noch nicht sagen, wann er fertig ist, weil wir bei zentralen Baustellen noch nicht sehen, dass wir sagen können, dann sind wir fertig. Diese Erneuerung des Landes soll in den nächsten vier Jahren greifen. Und da kommt es jetzt nicht auf vier Tage mehr oder weniger an in den Gesprächen.“
Beim Klima „noch nicht so weit“
Baerbock wollte keine Einzelheiten aus den Verhandlungen nennen. Man habe Vertraulichkeit vereinbart. Die Klimaschutz-Aufgabe müsse sich aber durch eine neue Bundesregierung querschnittsartig durchziehen. „Dann kann nicht nur eine Partei dafür zuständig sein“, sagte sie. Das betreffe vor allem den Baubereich und den Verkehrssektor, wo die Treibhausgas-Emissionen bisher nicht ausreichend gesunken seien. „Da sind wir noch nicht so weit, dass wir sagen können, wir haben jetzt alle Weichen dafür gestellt, auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen.“
Sie nannte neben dem Klimaschutz auch die Modernisierung der Verwaltung und den Zustand von Schulen als zentrale Aufgaben. „Deswegen ist uns wichtig, dass wir in diesen Koalitionsgesprächen sagen, was sind die entscheidenden Stellschrauben, die wir mit einer neuen Regierung im nächsten Jahr anpacken. Da sind wir aus unserer Sicht noch nicht so weit, dass wir sagen können: In ein paar Wochen können wir einen Deckel drauf machen.“ Auch der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, hatte sich zuletzt unzufrieden mit den Gesprächen gezeigt. „Wir sehen derzeit zu wenig Fortschritt, was die inhaltliche Substanz anbetrifft“, sagte er.
Dreyer zuversichtlich
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sieht dagegen trotz der Dissonanzen in den Verhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP den Zeitplan zur Bildung der ersten Ampel-Koalition im Bund nicht in Gefahr. „Wir verhandeln in guter Atmosphäre. Und dass es ab und zu mal ruckelt, ist das Normalste von der Welt“, sagte die SPD-Politikerin im ZDF. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass diese Gespräche positiv weitergehen.“ Die Ampel-Parteien eine das gemeinsame Ziel, die großen Herausforderungen miteinander zu schaffen. Sie sei daher optimistisch, dass SPD-Kandidat Olaf Scholz wie geplant in der Nikolaus-Woche zum Bundeskanzler gewählt werde. „Das ist unser Ziel, und ich bin zuversichtlich, dass wir das auch erreichen können.“
Die Verhandlungen waren zuletzt nicht so schnell vorangekommen, wie SPD, Grüne und FDP erhofft hatten. Die drei Parteien verzichteten am Donnerstag nach einer Zwischenbilanz der Verhandlungen in den 22 Arbeitsgruppen Unterhändlern zufolge darauf, einen weiteren detaillierten Zeitplan zu veröffentlichen.
In den vergangenen Tagen hatte es offenbar vor allem Streit um die Steuerpolitik gegeben. So kritisierte FDP-Chef Christian Lindner die potenziellen Partner für ihre Aussagen zur Steuerpolitik, nach denen die FDP bei Steuerentlastungen für Mittelstand und Geringverdiener bremse. Es sei „ein Mythos, dass eine Entlastung der arbeitenden Mitte nur mit kompensatorischen Steuererhöhungen anderswo finanzierbar wäre“, sagte Lindner der „Bild am Sonntag“. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und unter anderen Grünen-Chef Robert Habeck hatten kürzlich erklärt, dass eine Steuerentlastung kleinerer und mittlerer Einkommen nicht möglich sei, weil die FDP die als Gegenfinanzierung notwendige Steuererhöhung von Spitzenverdienern ablehne.
FDP wehrt sich in der Steuerpolitik
„Ich entnehme leider öffentlichen Äußerungen der Vorsitzenden von SPD und Grünen, dass beide offenbar die Entlastung von Gering- und Normalverdienern nicht mehr verfolgen“, sagte Lindner. Es sei nun einmal „Realität, dass SPD und Grüne nach ihren Wahlkämpfen für mehr Umverteilung die FDP-Forderung nach einer Steuerentlastung für alle ausschließen. Das müssen wir akzeptieren.“ Aber: „Beim Ziel der Stärkung der Mitte sollte nicht Stillstand Programm werden“, sagte Linder und betonte die weitere Gesprächsbereitschaft seiner Partei.
Die Ampel-Parteien haben sich einen straffen Zeitplan gesetzt und wollen Scholz in der Woche ab dem 6. Dezember zum neuen Bundeskanzler wählen. Dazu müssten sie aber noch in der zweiten Novemberhälfte die Verhandlungen abschließen, damit die Parteigremien oder Sonderparteitage einem Koalitionsvertrag rechtzeitig zustimmen können.