Was über die neue Corona-Virusvariante Omikron bekannt ist
28. November 2021 Aus Von mvp-webMomentan grassiert weltweit die Delta-Variante des Coronavirus. Nun bereitet eine neue, im Süden Afrikas entdeckte Variante vielen Wissenschaftlern Sorge.
„Das Ding ist bis an die Zähne bewaffnet“, sagte beispielsweise Friedemann Weber, Leiter des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Was wir bisher über Omikron (B.1.1.529) wissen.
Wie schätzt die Weltgesundheitsorganisation die Lage ein?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die neue Corona-Variante B.1.1.529 als „besorgniserregend“ ein. Das teilte die UN-Behörde am 26. November nach Beratungen mit Experten mit. Diese Klassifizierung ist laut WHO-Definition ein Signal, dass eine Variante ansteckender ist oder zu schwereren Krankheitsverläufen führt. Außerdem besteht bei „besorgniserregenden Varianten“ die Gefahr, dass herkömmliche Impfungen, Medikamente oder Corona-Maßnahmen weniger wirksam sind. Die Omikron genannte Variante weise eine große Anzahl Mutationen auf, von denen einige besorgniserregend seien, hieß es. Vorläufige Hinweise deuteten auf ein erhöhtes Risiko einer Reinfektion bei dieser Variante im Vergleich zu anderen besorgniserregenden Varianten, zu denen auch die derzeit vorherrschende Delta-Variante zählt. Im Vorfeld der Einstufung hatte die WHO mitgeteilt, dass mehrere Wochen vergehen könnten, bis man verlässliche Aussagen zur Übertragbarkeit und zur Wirksamkeit der aktuell verfügbaren Impfstoffe treffen kann. Als „besorgniserregend“ hatte die WHO bislang nur die Varianten Alpha, Beta, Gamma und Delta eingestuft.
Was ist an der Variante besonders?
Mit Besorgnis betrachten Wissenschaftler vor allem die vergleichsweise hohe Anzahl von Mutationen der neuen Variante, die gleich mehrere Stellen des Virus betreffen. Mehr als 30 Mutationen am Spike-Protein auf der Oberfläche des Virus konnten bereits ausgemacht werden. Das ist etwa die doppelte Anzahl an Mutationen, die es bei der Delta-Variante gibt. Gegen das Spike-Protein bildet der Körper bei einer Ansteckung mit dem Virus Antikörper. Auch viele der Impfstoffe regen das Immunsystem zur Bildung von Antikörpern gegen dieses Protein an.
Die Wissenschaftlerin Susan Hopkins vom Imperial College in London bezeichnete die neue Variante als „die besorgniserregendste, die wir je gesehen haben“. Die in Südafrika bislang festgestellte Übertragungsrate (R-Wert) liege bei 2. Das ähnele den Werten zu Beginn der Pandemie, sagte Hopkins gegenüber dem Radiosender BBC.
Am Sonntag, 28. November, teilte die Vorsitzende der Mediziner-Vereinigung Südafrika, Angélique Coetzee, mit, dass die in dem Land mit Omikron infizierten Menschen bislang nicht schwer erkrankt seien. Sie sagte der BBC, die Symptome der neuen Variante seien ungewöhnlich, aber mild. Die Patienten klagten meist über einen schmerzenden Körper und extreme Müdigkeit, beispielsweise aber nicht über Geschmacks- oder Geruchsverlust. Es seien auch keine direkten Krankenhauseinlieferungen nötig. Coetzee betonte, die Untersuchungen zu dieser Variante seien aber noch in einem sehr frühen Stadium. Zudem seien bislang vor allem jüngere Menschen betroffen.
Wie weit ist die neue Virusvariante schon verbreitet?
Wissenschaftler hatten die Omikron-Variante zunächst bei einem guten Dutzend Fällen vor allem in Südafrika sowie in Botsuana und Hongkong entdeckt. Mit mehr Fällen sei im Zuge der laufenden Genom-Analysen zu rechnen. Kurz nach der Bekanntgabe der ersten Fälle im Süden Afrikas wurde B.1.1.529 bei einem Corona-Erkrankten in Israel festgestellt. In Europa meldete Belgien den ersten Fall einer ungeimpften und aus dem Ausland eingereisten Person, die positiv auf die Variante B.1.1.529 getestet wurde. Auch in Deutschland wurde die Variante nachgewiesen: In Hessen habe eine Genom-Sequenzierung die Variante bei einem am Sonnabend, 27. November, bekanntgegebenen Verdachtsfall bestätigt, teilte Hessens Sozialminister Kai Klose mit. Zudem war sie bei zwei aus Südafrika nach München geflogenen Personen festgestellt worden. Zwar stand hier am Wochenende das Ergebnis einer Genomsequenzierung noch aus. Nach Angaben des Institutsleiters und Virologen Oliver Keppler sei aber „zweifelsfrei bewiesen, dass es sich um diese Variante handelt“.
Wie wirken die aktuellen Impfstoffe gegen B.1.1.529?
Experten befürchten, dass die Variante B.1.1.529 wegen der vermutlich ungewöhnlich hohen Anzahl von Mutationen nicht nur hoch ansteckend sei, sondern auch den Schutzschild der Impfstoffe leichter durchdringen könnte. Nach Aussagen von James Naismith, Professor für Strukturbiologie an der Universität Oxford, sei es „fast sicher“, dass die aktuell verfügbaren Impfstoffe weniger effektiv gegen die neue Variante sind. „Da die Impfstoffe gegen alle bisherigen Varianten effizient sind, gehe ich davon aus, dass auch gegen diese Variante Impfschutz besteht“, sagt dagegen Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel (Schweiz). „Allerdings ist es durchaus vorstellbar, dass es vermehrt zu Durchbruchsinfektionen kommt, sodass eine dritte Dosis umso wichtiger wird.“ Auch Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, geht nicht davon aus, dass die Impfung sich als nutzlos erweist: „Es kann sein, dass die Schutzwirkung abnimmt, aber wir sind nicht schutzlos.“
Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech überprüft nun, ob eine Anpassung des Impfstoffs aufgrund der neuen Variante erforderlich ist. Mit dem US-Partner Pfizer sei man auf den Fall einer sogenannten Escape-Variante vorbereitet und könne den Impfstoff innerhalb von sechs Wochen anpassen und erste Chargen innerhalb von 100 Tagen ausliefern. Escape-Varianten sind in der Lage, den Antikörpern zu entkommen, die im Immunsystem entweder durch eine Infektion mit dem Virus oder durch eine Impfung gebildet wurden.
Kann sich diese Virusvariante durchsetzen?
Um Aussagen über die weitere Verbreitung der Variante zu treffen, ist es laut dem Virologen Friedemann Weber noch zu früh. „Es ist durchaus denkbar, dass die Variante wieder verschwindet“, sagte Weber. Auch der Berliner Virologe Christian Drosten sieht noch viele offene Fragen. So sei unklar, ob die Variante tatsächlich ansteckender ist oder ob ein anderer Faktor Grund für die momentan beobachtete Ausbreitung ist. „Für eine veränderte Krankheitsschwere gibt es derzeit keine Hinweise“, sagte Drosten gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die Variante verdiene auf jeden Fall besondere Aufmerksamkeit, sind sich Experten einig.