Was wirklich stimmt: Tote Kinder, magnetischer Arm? Sieben Corona-Mythen im Faktencheck
6. Dezember 2021Rund um Corona und die Impfung kursiert viel Absurdes. Der Strauß an Falschnachrichten ist bunt und treibt immer wieder wilde Blüten. Regelmäßig werden sie in den sozialen Medien weitergereicht. FOCUS Online klärt im Faktencheck auf.
Das Internet vergisst nichts, die sozialen Netzwerke ebenso wenig. Darum ploppen auch abenteuerliche Nachrichten immer wieder auf. Gerade rund um das Coronavirus und die Impfungen halten sich viele Falschinformationen so hartnäckig wie der Erreger. Um sie auszumerzen, helfen nur die tatsächlichen Fakten.
1. Meldungen über tote Kinder nach Impfung sind irreführend
Behauptung: Ein Bericht, der bereits im April viele irritierte: mehrere tote Kinder nach der Impfung gegen Covid-19. Das wurde in einem Artikel der Seite „Report24“ behauptet. Die Daten der EMA (Europäische Arzneimittelagentur) zeigten, dass es zahlreiche Nebenwirkungen und mehrere Todesfälle durch Covid-19-Impfungen bei Kindern gebe.
Wie hätte es überhaupt sein können, dass Kinder geimpft wurden? Zum damaligen Zeitpunkt war lediglich der Impfstoff von Biontech für Jugendliche ab 16 Jahren zugelassen. Die Möglichkeit, auch Jüngere zu impfen, hätte es aber gegeben. Beispielsweise hätte es sein können, wie die Sprecherin der EMA „Correctiv“ sagte, „dass Patienten oder medizinisches Personal Fälle melden, die durch eine Off-Label Nutzung [Anm. d. Red.: Einsatz eines Medikamentes, welcher nicht dem zugelassenen Anwendungsbereich entspricht] von Medikamenten bei Kindern zustande gekommen sind, obwohl die entsprechenden Impfstoffe im europäischen Wirtschaftsraum erst ab 18 beziehungsweise ab 16 Jahren zugelassen sind.“
Klar ist außerdem: In Deutschland wird jeder Todesfall, der in zeitlicher Nähe zur Impfung liegt, geprüft. Darüber berichtet das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) regelmäßig.
Im aktuellsten Bericht führt das PEI fünf Verdachtsfallmeldungen mit tödlichem Ausgang zwei bis 24 Tage nach der Biontech-Impfung auf: eine 16-Jährige, „die im Zusammenhang mit einer Arrhythmie verstarb. Bei drei verstorbenen männlichen Jugendlichen bestanden schwere Vorerkrankungen“. Bei einem vierten verstorbenen Jungen (zwölf Jahre) seien sehr wenige, insgesamt unzureichende Informationen zum Verlauf und den Todesumständen bekannt. Die Fälle beziehen sich auf den Zeitraum seit Beginn der Impfkampagne vom 27.12.2020 bis zum 30.09.2021.
2. In den Impfungen befinden sich keine Viren, um Aids auszulösen
Behauptung: Eine finnische Naturheilkunde-Ärztin verbreitete, in Impfungen befänden sich Ebola- und Marburg-Viren, um Aids auszulösen. Ein Video auf der Seite „Rumble“ (hier archiviert) zeigte am 11. November ein Interview mit Ariyana Love. In der Stew-Peters-Show sprach die Naturheilkundlerin über den Impfstoff von Johnson & Johnson. Er würde, unter anderem, Ebola- und Marburg-Viren enthalten, Aids hervorrufen und lebenslange chronische Krankheiten.
Richtig ist: Die Rechercheplattform „Mimikama“ hat Loves wirre Thesen auseinandergekommen. Die Autoren stellen klar: „Es befinden sich keine Ebola- und Marburg-Viren in Impfstoffen. Vermutlich hat Love dies mit einer in Entwicklung befindlichen Ebola-Impfung durcheinandergebracht, welche (wie der Astrazeneca-Impfstoff) ebenfalls an der Oxford-Universität entwickelt wird.“ Außerdem lösen die Impfstoffe auch kein Aids aus.
3. Für mehr Herzstillstände bei Sportlern gibt es keinen Beleg
Behauptung: Im Internet und in sozialen Netzwerken kursieren Listen mit Sportlern. Sie alle hatten Herzprobleme. Die Listen suggerieren einen Zusammenhang mit der Impfung gegen Corona. Außerdem sei ein starker Anstieg von Herzstillständen – bis zu 50 Prozent – zu beobachten.
Richtig ist: Das Risiko für Herzstillstände für Sportler ist erhöht. Die Zahlen lagen zu Corona-Zeiten allerdings nicht höher als in den Jahren zuvor. Diese Vergleiche fehlen in den Listen, wie die Rechercheure von „Mimikama“ schreiben. Laut der von der FIFA offiziell geführten Liste, die weltweit Fälle von Herzstillständen erfasse, sei die Anzahl der Herzstillstände nicht signifikant höher als in anderen Jahren, eine statistische Abweichung sei nicht erkennbar. Die Kollegen fassen die übrigen Erkenntnisse zu den Listen von „Correctiv“ und der Nachrichtenagentur AFP zusammen:
- Kein verlinkter Artikel erwähnt, ob ein Zusammenhang mit der Impfung besteht.
- Kein verlinkter Artikel erwähnt, ob die Personen geimpft waren.
- Ein Fall (Gifhorner Amateurspieler Marvin Schumann, brach beim Aufwärmen zusammen) geschah im November 2020, als es noch gar keine Impfungen gab.
- Mehrere Trainer waren im Alter von 50 bis 74 Jahren und erlitten Herzinfarkte, wobei aber Herz-/Kreislauferkrankungen die häufigste Todesursache in Deutschland sind (34 Prozent).
- Teilweise handelt es sich „nur“ um Zusammenbrüche ohne Zusammenhang zu Herz-Notfällen.
- Nur in einem Fall lag eindeutig eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) vor, was sowohl eine sehr seltene Nebenwirkung einer Impfung, aber auch die Folge einer Covid-19 Erkrankung sein kann.
Die kursierenden Listen liefern also keinen nachvollziehbaren Beweis dafür, dass nach der Impfung auf einmal mehr Sportler einen Herzstillstand erleiden.
4. Geimpfte scheiden kein Spike-Protein aus
Behauptung: Geimpfte könnten das Spike-Protein ausscheiden („Shedding“) oder das Coronavirus als „Superspreader“ verbreiten. Diese Überlegungen stellte der Wissenschaftler Luigi Warren an. Die österreichische Webseite „Wochenblick“ verbreitete die Aussagen des „Erfinders der mRNA-Technologie“ im Mai als Tatsachen. „Shedding“ beschreibt hier das Phänomen, dass geimpfte Menschen etwas ausscheiden, worauf andere reagieren.
Richtig ist: Wissenschaftliche Belege dafür fehlen. Die Faktenchecker von „Correctiv“ stellten fest: „Es gibt keine Belege dafür, dass Geimpfte eine Gefahr für andere Menschen darstellen.“ Das gelte sowohl für die Übertragung des Spike-Proteins, als auch für eine angeblich gesteigerte Übertragung des Coronavirus.
Der Virologe Friedemann Weber, Direktor am Institut für Virologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen, sei anders als Warren der Ansicht, dass Geimpfte das Spike-Protein nicht ausscheiden können. Er erklärte den „Correctiv“-Kollegen bereits im Mai 2021 per E-Mail: „Ich denke, dass irgendjemand das mit dem ‚Shedding‘ bei viralen Proteinen falsch verstanden hat. Es kommt vor, dass virale Hüllproteine (zu denen das Spike-Protein gehört) auch ohne die weiteren Virusbestandteile von der Zelle ausgestoßen werden. Zum einen ist das Spike-Protein des Sars-CoV-2 aber ziemlich schlecht darin, und zum anderen gilt das Phänomen für einzelne Zellen, die das Protein herstellen, aber ganz gewiss nicht für das geimpfte Individuum.“
5. Impfung macht Arm nicht magnetisch
Behauptung: In den sozialen Netzwerken kursieren mehrere Beiträge (etwa hier oder hier) über Menschen, deren Arme magnetisch sein sollen – angeblich an der Stelle, wo sie zuvor mit einem Corona-Vakzin geimpft wurden. Damit soll offenbar gezeigt werden, dass ihnen durch die Impfung angeblich etwas aus Metall gespritzt wurde. Andere sehen es als Beweis, dass ein Mikrochip zur Überwachung gespritzt wurde.
Richtig ist: In den Corona-Impfstoffen ist nichts enthalten, was dazu führen könnte, dass Magnete an der Haut haften. Oberflächenhaftung hat nichts mit Magnetismus zu tun.
Die mRNA-Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer sowie die Vektor-Impfstoffe von Astrazeneca und Janssen enthalten laut Inhaltsstoff-Liste keine magnetischen Materialien wie etwa Metalle.
FOCUS Online hat im September über den immer wieder aufflammenden Netz-Trend mit Jürgen Lindner vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf gesprochen. Er leitet seit 2012 die Abteilung Magnetismus und forscht seit mehr als 20 Jahren an magnetischen Phänomenen.
Der Experte erklärte: „In den Videos sprechen die Menschen von einem starken magnetischen Effekt, den man als Ferromagnetismus bezeichnet. Dass ein ferromagnetischer Stoff in den Impfstoffen steckt, halte ich aber für ausgeschlossen.“ Außerdem habe die Verschwörungstheorie einen Denkfehler: Mikrochips sind gar nicht magnetisch. Sie bestehen aus Silizium, einem nicht-magnetischen Stoff. Ein Magnet-Test wie er in den sozialen Netzwerken präsentiert wird, wäre also gar nicht geeignet, um einen Mikrochip im Körper nachzuweisen.
6. Wurmmittel Ivermectin hilft nicht gegen Covid-19
Behauptung: Ivermectin ist ein effektives Mittel gegen Covid-19. Vor allem in sozialen Medien geistern Erzählungen zur vermeintlichen Wunderwaffe Ivermectin schon länger herum. Häufig verweisen Ivermectin-Anhänger auch auf Länder wie Indien oder Japan, wo das Mittel angeblich geholfen haben soll, die Pandemie einzudämmen.
Richtig ist: Mit dem Präparat werden eigentlich Parasiten bekämpft – nicht Viren wie Sars-CoV-2. Experten warnen vor der eigenmächtigen Einnahme. „Sie sind kein Pferd. Sie sind keine Kuh“, twitterte etwa im Spätsommer die US-Arzneimittelbehörde FDA. „Im Ernst, Leute, hört auf damit.“
Genutzt wird das Mittel regulär zur Bekämpfung von Würmern bei Tieren. Zudem wird es in geringeren Dosen beim Menschen bei bestimmten Krankheiten eingesetzt. Ivermectin kann beim Menschen etwa gegen bestimmte Fadenwürmer und Krätzemilben eingesetzt werden. Gegen Covid-19 ist das Medikament weder zugelassen noch sehen Experten eindeutige Effekte gegen Covid-19. Bei falscher Dosierung kann Ivermectin hochgiftig sein. In Österreich spricht sich sogar der Hersteller MSD (Merck Sharp & Dohme) gegen eine eigenmächtige Einnahme aus: „Es gibt keine aussagekräftige Evidenz für die Anwendung von Ivermectin bei Sars-CoV-2“, teilte das Unternehmen jüngst mit.
Richtig ist – hinsichtlich Indien und Japan: Die Regierung in Neu-Delhi hat längst wieder Abstand von dem Medikament genommen, unter anderem wegen des „hohen Risikos der Einseitigkeit in vielen Studien“. Auch die Behauptung, Tokio setze mittlerweile anstatt auf die Impfung auf Ivermectin, ist frei erfunden. Auf der Liste der in Japan gegen Corona zugelassenen Arznei taucht das Mittel gar nicht auf.
7. Impfung macht nicht unfruchtbar
Behauptung: Die Corona-Impfstoffe könnten bei Frauen zu Unfruchtbarkeit führen. Dieser Mythos verbreitete sich schon zu Beginn der Impfkampagne und hält sich hartnäckig in vielen Köpfen.
Richtig ist: „An diesem Gerücht ist wissenschaftlich überhaupt nichts dran“, erläuterte Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI), im Aufklärungsvideo auf Youtube bereits im Frühjahr. Es sei bisher nicht zu Unfruchtbarkeiten bei Impfungen gekommen. Auch bei Corona-Impfungen werde es nicht dazu führen.
Inzwischen habe sich das bestätigt, wie der Immunologe kürzlich auf Twitter betonte:„Viele Studien haben bereits gezeigt, dass die Impfung keinen Einfluss auf Fruchtbarkeit, Schwangerschaft oder Stillzeit hat.“ Eine davon erschien im Oktober im Fachmagazin „The Lancet“. Der Vergleich von Frauen aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien ergab: Die Impfung wirkte sich nicht auf die Fruchtbarkeit aus.