Kanzlerkandidatur: Was will Schwesig?

Kanzlerkandidatur: Was will Schwesig?

9. Februar 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 09.02.2022 05:30 Uhr

Übt da jemand für die ganz große Rolle? Im Streit um die Ostseepipeline Nord Stream 2 hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) kürzlich davon gesprochen, die Inbetriebnahme liege „im deutschen Interesse“. Es war ein Satz, der aufhorchen ließ. Normalerweise wird „deutsches Interesse“ in Berlin formuliert, zuständigkeitshalber im Auswärtigen Amt oder gleich im Bundeskanzleramt.

von Stefan Ludmann, NDR 1 Radio MV Aktuell

Wenn eine Landespolitikerin aus der Schweriner Staatskanzlei festlegt, was „deutsches Interesse“ sei, spricht dies entweder für großen Ehrgeiz oder eine verrutschte Wahrnehmung der eigenen Rolle, vielleicht aber auch für beides. Es fällt auf, dass Schwesig nach ihrem fulminanten 39,6-Prozent-Wahlsieg bei der Landtagswahl im vergangenen September mehr politisches Gewicht für sich reklamiert. Natürlich hat sie den Ampel-Koalitionsvertrag mitverhandelt und fuhr zur Unterzeichnung nach Berlin. Ihr sonst als so wichtig inszeniertes Corona-Kabinett durfte in Schwerin allein beraten. Schwesig gelang es – ganz untypisch für Schweriner Regierungschefs – mit der Staatsministerin Reem Alabali-Radovan und der Staatssekretärin Antje Draheim (beide SPD) Vertraute in der Bundesregierung unterzubringen.

In der Bundespolitik bestens vernetzt

Schwesigs Wünsche wurden auch gehört, als sie Prof. Lars Kaderali und ihren Parteifreund und stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden Stefan Sternberg als Landrat von Ludwigslust-Parchim im Corona-Expertenrat der Bundesregierung installieren konnte. Sie empfängt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auch schon mal zum „Antrittsbesuch“ in ihrem Büro – mit gemeinsamer Pressekonferenz im Anschluss. All das soll zeigen: Schwesig kann auch Bundespolitik, ist bestens vernetzt. Schließlich war sie bis 2017 Familienministerin im Kabinett Angela Merkel (CDU). Und mit mindestens einem Bein spielt Schwesig schon längst auf der Berliner Bühne mit.

Ukraine-Krise: Rückt Schwesig vom SPD-Kurs ab?

Auch nach dem SPD-Spitzentreffen zur Ukraine-Krise vermeidet Ministerpräsidentin Schwesig es, Russland als Verursacher des Konflikts zu benennen.

Schwesig sieht Regierungserfahrung und gewonnene Wahlen als wichtige Kriterien

Ihr fällt es zunehmend schwer, ihre Ambitionen zu zügeln. In einem Interview mit der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ gab die 47-Jährige vor einigen Tagen nur mäßig verklausuliert eine Job-Empfehlung auch in eigener Sache ab. Mit Blick auf den Erfolg von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte sie, die SPD müsse daraus eines lernen: „Kanzlerkandidaten sollten schon einmal eine Wahl gewonnen haben.“ Auf die Nachfrage „Warum?“ hatte Schwesig dann nicht mehr nur Scholz im Blick: „Weil Regierungserfahrung und gewonnene Wahlen wichtige Kriterien für das Vertrauen bei den Menschen sind.“

‚“Frau für MV“ auch die Frau für die K-Frage?

Deutlicher hätte sie ihren Anspruch auf eine Kanzlerkandidatur nicht formulieren können. Mit Bedacht hat sie die Passage bei der Interview-Autorisierung nicht streichen oder ins Unkenntliche redigieren lassen. Schwesig hat offenbar einen Plan. Nach ihrem 39,6-Prozent-Erfolg steht die „Frau für MV“ – als die sich Schwesig auf ihren Wahlplakaten feiern ließ –  längst ganz oben auf der Bewerberliste, wenn es um die K-Frage in der SPD geht. Als „Bürgervotum“ hat die gebürtige Brandenburgerin den Landtagswahlsieg ihrer SPD glorifiziert. Das Framing macht aus einem Wahlsieg eine Art Volksabstimmung über die Person Schwesig. In dem besagten Interview meinte sie, es sei doch das Gute, dass Politiker sich in Wahlen „ganz konkret beweisen können“. Und sie schob hinterher: „Ich freue mich, dass mir das im Herbst gelungen ist.“

Nötiges Maß an politischer Geschmeidigkeit

Mindestens fünf Dinge helfen ihr bei ihrem angepeilten Weg ins Kanzleramt. Erstens besitzt Schwesig das nötige Maß an politischer Geschmeidigkeit. Einst sicher formulierte Überzeugungen kann sie im Lichte neuer Erkenntnisse – und seien es nur die Meinungsumfragen – schnell über Bord werfen. Einige Beispiele: Sie war lange Zeit Gegnerin der allgemeinen Impfpflicht, sattelte dann aber doch um. Sie wehrte sich zunächst gegen die Abschaffung der Straßenausbau-Beiträge, als der Gegenwind zu groß wurde, gab sie ihren Segen. Und eine intern schon abgestimmte Reform der Finanzämter wurde nach Widerstand kassiert. Oder: Am vergangenen Mittwoch lehnte sie eine Abschaffung der 2G-Regel im Einzelhandel noch ab. Keine 24 Stunden später war die Regelung nach einer Runde mit der Wirtschaft gekippt.

Manuela Schwesig: Machtbewusst und den Wählern zugewandt

Manuela Schwesig (SPD) mischt bereits seit 13 Jahren in der Landes- und der Bundespolitik mit.

Populistisches Fernduell mit Söder

Oft werden politische Konflikte mit dem Griff in die Kassen befriedet, zum Beispiel bei der Theaterreform. Wenn es auch ohne zusätzliche Finanzen geht, dann lässt die Regierungschefin Kritiker auch gerne in neu geschaffenen Beratungsgremien „einbinden“. Schwesig besitzt außerdem das Talent, politische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, indem sie andere zu Taten auffordert – meist den Bund. Gewollter Nebeneffekt: Die eigene Verantwortung rückt in den Hintergrund. In Sachen Populismus liefert sie sich immer öfter ein Fernduell mit ihrem bayerischen Widersacher und Amtskollegen Markus Söder (CSU).

Als im vergangenen Jahr der Corona-Impfstoff knapp war, forderten beide lautstark, auf das russische Vakzin „Sputnik V“ zu setzen, obwohl der Covid-Schutz aus Moskau noch gar keine EU-Zulassung hatte. Schwesig gab tausende Euro für die Vorbereitung der Verträge aus. Am Ende musste sie die Pläne klammheimlich beerdigen. Ähnlich erging es der von Schwesig angepeilten Volksbefragung. Die sollte es nur zu Themen geben, die die Regierung aussuchen konnte – ein zu durchsichtiges Manöver, das im Nichts endete. Auch ihre Idee, ausgerechnet die Nazi-Raketenschmiede in Peenemünde zum Unesco-Welterbe zu erklären, musste nach Gegenwind zu den Akten gelegt werden.

Durchsetzungsstark, detailverliebt und zuweilen tollkühn

Mit personalisiertem Magazin ging die Landes-SPD 2021 auf Stimmenfang.

Zu Schwesigs Politikansatz gehört zweitens auch die Tollkühnheit, Dinge zu behaupten, die sich bei einfacher Betrachtung als ganz anders erweisen – logische Brüche nimmt sie billigend in Kauf. So verkaufte sie die Rekord-Neuverschuldung des Landes in Höhe von knapp drei Milliarden Euro als Ausweis solider Finanzpolitik, obwohl der Landesrechnungshof von „Schattenhaushalt“ spricht. Und der Rückgriff auf immer mehr klimaschädliches Erdgas ist für die Ministerpräsidentin notwendig, um die ökologische Energiewende zu schaffen. In die gleiche Kategorie fällt die sogenannte Klimaschutzstiftung MV, die Schwesig initiiert hat. Diese finanziert mit den russischen Gewinnen aus dem Gasgeschäft medienwirksam nette Baumpflanzaktionen oder Umweltbildung in den Schulen. „Greenwashing“ nennen das die Gegner des Projekts.

Schwesig ergänzt das alles mit einem Selbstbewusstsein, das kritische Nachfragen kaum duldet. Gerne spricht sie von Mecklenburg-Vorpommern als „meinem Bundesland“. Dem feudalen Sprachgebrauch entlehnt ist auch eine andere schwesigsche Sprachwendung. Sie beginnt Sätze gerne mit der Formel: „Ich, als Ministerpräsidentin“. In internen Runden tritt sie auf als jemand, ohne die es einfach nicht laufen würde. SMS an enge Mitarbeiter sind gerne mal in dem Ton „Muss-Ich-Mich-Denn-Um-Alles-Kümmern“ getextet. Schwesig wird als detailverliebt beschrieben, die sich ausbedingt, auch Kleinigkeiten abzusegnen, sich dann aber oft mit Entscheidungen Zeit lässt. Das führt nicht selten zu Staus auf ministeriellen Entscheidungswegen. Ihr Zorn gegen interne Widersacher ist legendär, Karrieren wie die eines Finanzministers Matthias Brodkorb (SPD) endeten jäh. Ihre Durchsetzungsfähigkeit zu unterschätzen, gilt bei den eigenen Leuten und ihren Widersachern als großer Fehler.

Schwesig verkauft ihre Politik gerne in Talkshows

Drittens zeichnet sich bisher kaum ab, dass andere Spitzenleute in der SPD sie überholen könnten. Die Landesfürsten Stephan Weil, Malu Dreyer und Dietmar Woidke, die in Hannover, Mainz und Potsdam regieren, haben zwar auch Wahlen gewonnen und stehen regional gut da, aber sie haben längst nicht den Ehrgeiz und das Sendungsbewusstsein der Schweriner Regierungschefin. Die verbringt viel Zeit damit, in diversen Talkshow zuerst sich und dann ihre Politik zu verkaufen – nicht nur den etwas mehr als eine Million Wählern im Nordosten, sondern dem gesamtdeutschen Wahlvolk. Ein Engagement, das sich auszahlt: Mitte November lag Schwesig im Politiker-Ranking des ZDF-Politbarometers kurzzeitig auf Platz drei – hinter Merkel und Scholz, also gewissermaßen schon auf dem Kanzler-Treppchen. Andere Spitzen-Sozis wie Parteichef Lars Klingbeil haben zwar Wahlen gewonnen, aber eben nur die Wahlen für Parteiämter. Schwesig dagegen glaubt sich mit ihrem „Bürgervotum“ im Rücken für alle Aufgaben gerüstet.

Schwesig setzt häufig auf die „Frauenkarte“

Viertens wird es bei der SPD langsam Zeit für eine Frau als Kandidatin. Eine Partei, die Frauenrechte und Gleichberechtigung dermaßen in den Fokus rückt und zum Teil ihrer Polit-DNA werden lässt, droht ansonsten unglaubwürdig zu werden, wenn das eigene politische Spitzenpersonal davon ausgenommen ist. Schwesig hat immer die Frauenkarte gespielt und sie hat sie immer genutzt, zuletzt selbstbewusst auf ihren Großplakaten „Die Frau für MV“.  Der abgewandelte Spruch „Eine Frau für Deutschland“ würde sich zwar nicht reimen, aber Schwesigs Wahlkampf-Team dürfte schon etwas einfallen.

Staffelübergabe in der Mitte der Legislatur 2027?

Schwesig spielt zu guter Letzt das Alter von Olaf Scholz in die Hände. Der Kanzler wird in diesem Juni 64 Jahre alt. Bei einer möglichen Wiederwahl im Jahr 2025 hätte er das normale Pensionsalter von 67 Jahren bereits erreicht – am Ende der Legislatur wäre er 71 Jahre. Ein Szenario, mit dem auch Schwesig kalkulieren dürfte, zeichnet sich ab. Scholz könnte im Sommer 2027 inmitten der Legislatur an Manuela Schwesig übergeben. Der Kanzler oder die Kanzlerin muss nicht unbedingt Mitglied des Bundestages sein. Nach Lage der Dinge hätte Schwesig ein Jahr zuvor in Mecklenburg-Vorpommern erneut eine turnusgemäße Landtagswahl gewonnen und käme mit Rückenwind ins Kanzleramt und damit als Nachfolgerin, die die selbst aufgestellten Einstellungsvoraussetzungen erfüllt: Eine Wahl gewonnen zu haben und das Vertrauen der Menschen zu genießen. Mit dann 53 Jahren wäre sie zwar älter als Merkel zu Beginn ihrer Kanzlerschaft, aber noch deutlich jung genug, um nicht als politisch verbraucht zu gelten.

Viele trauen es ihr zu

Gefragt nach ihren bundespolitischen Ambitionen hat Schwesig in dem „Zeit“-Interview und zuvor mehrfach gesagt, ein Wechsel nach Berlin „ist nichts, was ich jetzt plane“. Das heißt auch: jetzt nicht, wohl aber in Zukunft. In der SPD Mecklenburg-Vorpommern gibt es jedenfalls keinen, der sagen würde, Schwesig traut sich das mächtigste Amt im Land nicht zu. Der Politikwissenschaftler und Publizist Albrecht von Lucke meint, sie habe „noch lange nicht den Zenit ihrer Macht erreicht“.