Die Rechnung ohne Rechnung: Lauterbach lässt bei 500-Tote-Szenario wichtiges Detail weg

Die Rechnung ohne Rechnung: Lauterbach lässt bei 500-Tote-Szenario wichtiges Detail weg

10. Februar 2022 Aus Von mvp-web

Täglich bis zu 500 Corona-Tote: Mit dieser dramatischen Zahl warnte Karl Lauterbach vor zu frühen Lockerungen. Diese habe der Gesundheitsminister ausgerechnet. Allerdings: Die Rechnung hierzu fehlt. Und er habe einen wichtigen Punkt „geflissentlich ausgelassen“, kritisiert Alexander Kekulé.

„Ich habe mal ausgerechnet, wie viele Menschen derzeit mit der Strategie Israels sterben würden, wenn wir ähnlich vorgehen würden. Dann kommt man auf eine Quote von vielleicht 400, 500 Menschen, die in Deutschland sterben würden, wenn wir diese Öffnungen so machen würden. Bei uns sterben aber derzeit zwischen 100 und 150 Menschen am Tag – immer noch zu viel“, sagte der Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im ZDF. Und präsentierte damit die Erklärung, warum es aus seiner Sicht für Lockerungen in Deutschland nun noch zu früh sei.

Empört über diese Rechnung äußerte sich Medizinstatistiker Gerd Antes: „Dann ist es doch das Einfachste auf der Welt, diese Rechnung öffentlich zu machen. Kein Schüler oder Student kommt mit einer solchen Behauptung ohne Begründung davon. Wieso ein Minister? Weil es peinlich werden könnte?“, twitterte der Mathematiker.

Wie Lauterbach gerechnet hat, ist unklar

Welche Rechnung der Warnung von 400 bis 500 Toten täglich zugrunde liegt, ist offen. Eine Rückfrage der „Welt“ und ZDFheute hierzu beantwortete das Gesundheitsministerium bis Mittwoch nicht. Es bleibt also unklar, wie Karl Lauterbach gerechnet hat oder ob es sich um eine Schätzung handelt.

Dass das Szenario grundsätzlich eintreten könnte, hat Statistiker Christian Hesse für FOCUS Online nachvollzogen. „Bedenkt man, dass bei dem in unserem Land verbreiteten Omikron-Subtyp BA.1 0,08 Prozent der infizierten Patienten, die Symptome zeigen, versterben, so ergibt sich innerhalb von wenigen Wochen, die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach genannte Zahl von 500 täglichen Todesfällen, dann ebenfalls mit steigender Tendenz“, erklärte Hesse.

Kekulé: Wichtigen Punkt hat Lauterbach „geflissentlich ausgelassen“

Es gibt allerdings ein weiteres Problem mit Lauterbachs Rechnung. Darin stecke „ein Unbekannter“, den „er mal geflissentlich übersehen hat“, kritisierte der Virologe Alexander Kekulé im MDR-Podcast (Folge 275).

Wenn wir die Wellen verlängern, dann gäbe es auch mehr Tote, behauptete Lauterbach. Zwar sei es richtig, dass die Delta-Welle fast zu Ende war, als die Omikron-Welle begonnen hat. Diese Trennung der Wellen lässt jetzt aber nicht einfach auf die Todeszahlen übertragen. Denn wir hätten eine abebbende Delta-Welle haben und eine massiv explodierende Omikron-Welle.

„Trotzdem ist der Unbekannte in dieser Gleichung eben die Frage: Wie viele von den Intensivpatienten und von den Verstorbenen waren denn überhaupt Delta-Patienten?“, führte Kekulé aus. „Wie viel Prozent derer, die da verstorben sind, waren denn überhaupt Omikron-Patienten?“ Und nur dann könne man sagen: Wenn wir die Omikron-Welle verlängern, gibt es auch mehr Tote. Da Herr Lauterbach das natürlich ganz genau wisse, monierte der Virologe, „darf ich an der Stelle darauf hinweisen, dass er das geflissentlich ausgelassen hat, diesen wichtigen Punkt“.

Das RKI muss Daten liefern

Womit Kekulé direkt auf eine weitere Schwierigkeit hinsichtlich der Todeszahlen hinweist: Es fehlen dem Robert-Koch-Institut (RKI) relevante Daten für die Corona-Strategie. „Ich glaube, das RKI sollte mal die Frage beantworten – das ist, glaube ich, für das Verständnis dessen, was gerade passiert, ganz wichtig – wieviel Prozent von denen, die auf der Intensivstation liegen und schwerstkrank sind oder gar sterben, denn tatsächlich Omikron-infiziert sind“, forderte der Virologe.

Ohnehin gilt es als komplex, die tatsächliche Anzahl der an oder mit Corona Verstorbenen zu ermitteln. Über das „an oder mit“ entscheiden pro Landkreis die lokalen Gesundheitsämter. Faktoren, wie schwere Vorerkrankungen, können die Bestimmung erschweren und in die Länge ziehen, da auch medizinische Daten abgeglichen werden müssen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) erhält dann erst im Anschluss die gemeldeten Fälle.

Aus diesem Grund veröffentlicht das RKI die Todesfälle mit einer Verzögerung von drei Wochen, „um die relative Vollständigkeit der Daten zu gewährleisten“. Wie die Wissenschaftler betonen, sei für dennoch „für die letzten dargestellten Wochen noch mit Nachmeldungen zu rechnen“.