„Das ist ein Weltkrieg, wenn Amerikaner und Russen beginnen, aufeinander zu schießen“

„Das ist ein Weltkrieg, wenn Amerikaner und Russen beginnen, aufeinander zu schießen“

11. Februar 2022 Aus Von mvp-web

Angesichts des massiven russischen Truppenaufmarschs hat US-Präsident Joe Biden amerikanische Staatsbürger in der Ukraine aufgefordert, das Land zu verlassen. In einem Interview mit dem US-Sender NBC News am Donnerstag sagte er: „US-Bürger sollten jetzt gehen.“ Die USA hätten es in dem Konflikt nicht mit einer Terror-Organisation zu tun, sondern mit einer der größten Armeen der Welt. „Das ist eine ganz andere Situation, und die Dinge könnten schnell außer Kontrolle geraten.“

Biden erklärte weiter, er plane nicht, Truppen zur Rettung von US-Bürgern in die Ukraine zu schicken, falls Russland einmarschiere. „Das ist ein Weltkrieg, wenn Amerikaner und Russen beginnen, aufeinander zu schießen“. Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hatten die US-Truppen im vergangenen Jahr einen groß angelegten Evakuierungseinsatz geführt, für dessen Vorbereitung und Ablauf Bidens Regierung von vielen Seiten kritisiert wurde.

Selbst falls der russische Präsident Wladimir Putin „dumm“ genug sein sollte, seine Armee in die Ukraine einmarschieren zu lassen, sei er doch „schlau genug“, US-Bürgern keinen Schaden zuzufügen, sagte Biden zudem.

Das US-Militär hat in den ukrainischen Nachbarländern Polen und Rumänien Soldaten stationiert. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby, hatte am Mittwoch auf Nachfrage nicht ausgeschlossen, dass US-Soldaten auf polnischem Staatsgebiet auch bei möglichen Evakuierungen helfen würden. Allerdings gebe es im Moment keine Bemühungen, Amerikaner mithilfe des Militärs aus der Ukraine zu bringen. „Es gibt viele Möglichkeiten, die Ukraine zu verlassen“, betonte Kirby.

Die USA raten von Reisen in die Ukraine ab, verweisen unter anderem auf eine „zunehmende Bedrohung durch russische Militäraktionen“ und fordern US-Bürger zum Verlassen des Landes auf. Auch ihre dortige diplomatische Präsenz hat die US-Regierung reduziert.

Russland hat nach westlichen Angaben in den vergangenen Monaten mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Dies schürt in der Ukraine wie im Westen die Furcht vor einem möglichen Großangriff Russlands auf das Nachbarland. Russland weist jegliche Angriffspläne zurück. Zugleich führt der Kreml an, sich von der Nato bedroht zu fühlen.

Militärmanöver starten

Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums telefonierte US-Generalstabschef Mark Milley am Donnerstag mit seinem belarussischen Kollegen Viktor Gulewitsch, um die Gefahr von „Fehleinschätzungen“ vor dem Hintergrund eines Militärmanövers in der nahe der ukrainischen Grenze gelegenen Region Brest zu verringern. Den USA zufolge wurden rund 30.000 Soldaten aus Russland nach Belarus verlegt.

Nach russischen Angaben geht es bei der Übung darum, die Streitkräfte darauf vorzubereiten, „externe Aggressionen“ abzuwehren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Moskau aber vor, „psychologischen Druck“ auf sein Land auszuüben.

Russland hatte außerdem sechs Kriegsschiffe zu Marineübungen im Schwarzen Meer und im benachbarten Asowschen Meer entsandt. Kiew verurteilte die Anwesenheit dieser Schiffe als einen „beispiellosen“ Versuch, die Ukraine von beiden Meeren abzuschneiden.

Unterdessen teilte das US-Militär am Donnerstag mit, dass Langstreckenbomber des Typs B-52 zusammen mit Bodenpersonal auf dem britischen Luftwaffenstützpunkt Fairfield in England gelandet seien. Sie sollen demnach an einer „seit langem“ geplanten Nato-Übung teilnehmen. Außerdem waren laut Angaben vom Donnerstag vier Zerstörer vergangenen Monat zu Nato-Übungen in das von der Sechsten US-Flotte abgedeckte Gebiet entsandt worden, das auch das Mittelmeer umfasst.

Keine weitreichenden Fortschritte bei Russland-Ukraine-Gespräch in Berlin

Unterdessen ging das zweite Gespräch zwischen Vertretern Russlands und der Ukraine seit Beginn der aktuellen Krise ohne weitreichende Fortschritte zu Ende. Nach fast zehnstündigen Verhandlungen in Berlin hieß es seitens der deutsch-französischen Vermittler, es seien „schwierige Gespräche“ gewesen, „in denen die unterschiedlichen Positionen und verschiedene Lösungsoptionen deutlich herausgearbeitet wurden“. Ein weiteres Treffen wurde für März vereinbart.

An dem Treffen nahmen die außenpolitischen Berater der Präsidenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj sowie deren Kollegen aus Deutschland und Frankreich teil. Diese Vierer-Runden werden Normandie-Format genannt.

Das erste solche Treffen seit Beginn der aktuellen Krise um den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze hatte Ende Januar in Paris stattgefunden. Nach dem zweiten Treffen in Berlin hieß es seitens Deutschlands und Frankreichs, alle Teilnehmer würden an der Minsker Friedensvereinbarung für die zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen umkämpfte Ostukraine festhalten. „An deren voller Umsetzung wird weiter mit Nachdruck gearbeitet werden.“

Russland beklagte, Vertreter Deutschlands und Frankreichs unterstützten zwar den Friedensplan, drängten aber „zu unserem Bedauern“ die Ukraine nicht dazu, die Punkte zu erfülle, wie Unterhändler Dmitri Kosak sagte. Demnach wird der Friedensplan von der ukrainischen Regierung anders ausgelegt als von der russischen.

Kosak kritisierte einmal mehr, dass die ukrainische Regierung einen Dialog mit den Führungen in Luhansk und Donezk in der Ostukraine ablehne. Eine Umsetzung der Beschlüsse von Minsk sei Voraussetzung für die gewaltfreie Lösung des Konflikts, sagte er.

Der ukrainische Unterhändler Andrij Jermak bestätigte, die Gespräche hätten keinen Fortschritt bei den strittigen Punkten gebracht. Zugleich sagte er, in der vergangenen Woche habe es über mehrere Tage hinweg eine komplette Waffenruhe gegeben. „Ich finde, das ist ein sehr, sehr starkes Ergebnis.“ Jermak sagte auch, dass die Ukraine nun auf den Besuch von Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag in Kiew warte. Scholz reist anschließend nach Moskau weiter.

Teile der ukrainischen Regionen Luhansk und Donezk entlang der russischen Grenze werden seit fast acht Jahren von prorussischen Separatisten kontrolliert. Deutschland und Frankreich vermitteln in dem seit 2014 andauernden Konflikt. Eine im sogenannten Friedensplan von Minsk vorgesehene Autonomie ist nicht in Sicht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuletzt gesagt, dass ihm die Punkte des Abkommens nicht zusagten. Nach UN-Schätzungen kamen bisher mehr als 14.000 Menschen in dem Konflikt ums Leben, die meisten im Separatistengebiet.