Die Tu-160M2 soll Raketen „über die Schulter“ schießen – Gegen Feinde von hinten
16. Februar 2022Die neue Tupolew Tu-160M/M2 ist das Kronjuwel des militärischen Flugzeugbaus in Russland. Dank Heckradar soll der modernisierte „Weiße Schwan“ künftig auch herannahende Feinde hinter sich bekämpfen – mit eigenen Luft-Luft-Raketen.
Für die russische Luftfahrtindustrie ist es ein Mammutprojekt – und das nicht nur, weil es sich auch um ein „Mammut-Flugzeug“ handelt: Erstmals seit drei Jahrzehnten entstehen im Flugzeugwerk Kasan wieder komplett aus Neuteilen zusammengebaute Tupolew Tu-160. Der „Weiße Schwan“, das größte Kampfflugzeug der Welt, erlebt damit ein lange vorbereitetes Revival – in Gestalt einer tiefgreifend modernisierten Variante, mit verbesserten Triebwerken, neuer Avionik und neuen Waffenkontrollsystemen.
Am 12. Januar 2022 hob die erste komplett neu gebaute Tu-160M/M2 in Kasan zum Erstflug ab, im zweiten Quartal steht laut Russlands Industrie- und Handelsminister Manturow die Übergabe an die Luftwaffe für weitere Tests an. Weitere Maschinen sollen bald folgen. Gleichzeitig werden die im Bestand der russischen Luftwaffe befindlichen Tu-160 allesamt auf den neuen Standard hochgerüstet.
Kampf gegen Feinde im Rücken
Dieser neue Standard bringt offenbar auch neue Formen der Selbstverteidigung mit sich. Denn laut einem Bericht der Nachrichtenagentur RIA Novosti soll die neue Tu-160M künftig eigene Luft-Luft-Raketen mitführen, mit denen sie herannahende Feindflugzeuge oder Flugabwehrraketen auch „in ihrer hinteren Hemisphäre“, also in ihrem Rücken, bekämpfen kann. RIA Novosti spricht von „Rückwärtsstartraketen“, die mit Hilfe eines neu in der Tu-160M eingebauten Heckradars ihr Ziel erreichen sollen. Dazu zitiert die Agentur einen Insider aus der Luftfahrtindustrie: „Die erste neu gefertigte Tu-160M ist mit einem Radar ausgestattet, das es dem Flugzeug ermöglicht, zum Selbstschutz (…) sogenannte Reverse Launch Missiles zu verwenden.“ Diese Raketen könnten Ziele, die sich in der Luft hinter der Tu-160M befinden, bekämpfen und unschädlich machen. Laut RIA Novosti sei die Tu-160M das weltweit erste Kampflugzeug mit einem solchen System.
Nun gab es in Russland in der Tat bereits in den 90er-Jahren Tests mit nach hinten ausgerichteten Luft-Luft-Raketen. Damals erprobte man eine Spezialversion der infrarotgelenkten Kurzstrecken-Rakete Wympel R-73, die von einer Suchoi Su-27 entgegengesetzt zur Flugrichtung abgefeuert wurde. Ziel war es, eine Verteidigungswaffe zu entwickeln, die von Bombern, Frachtern oder Seefernaufklärern zum Selbstschutz getragen werden kann.
Schuss „über die Schulter“
In Bezug auf die Tu-160M wirkt der von RIA Novosti gewählte Begriff „Rückwärtsstartraketen“ allerdings etwas missverständlich, denn anders als damals in den Tests die Wympel R-73, scheinen die Luft-Luft-Lenkwaffen der Tu-160M nicht verkehrt herum, sondern in Flugrichtung montiert zu werden. Jedenfalls heißt es im Bericht weiter: „Der Gesprächspartner stellte auch klar, dass Rückwärtsstartraketen Ziele in der vorderen Hemisphäre treffen können. Wenn sie Ziele in der hinteren Hemisphäre bekämpfen sollen, drehen sie sich im Flug um 180 Grad, wenn das Heckradar das Ziel anzeigt.“
Die Tu-160M soll folglich bei Bedarf mit nach vorn ausgerichteten Raketen „über die Schulter“ nach hinten schießen. Damit wären Bedrohungen in einem 360-Grad-Winkel abgedeckt. Allerdings erklärte der zitierte Insider nicht, wo genau die Raketen an der Tu-160M befestigt werden sollen – geschweige denn, um welchen Raketentyp es sich handelt. Auch über angesetzte oder bereits erfolgte Tests ist (noch) nichts bekannt. Abwarten ist also angesagt.