Maßnahmen wegen Angriffs auf Ukraine Sanktionen – „härter“ als je zuvor
24. Februar 2022Bei einem Sondergipfel am Abend will die EU neue Sanktionen beschließen, die Russland empfindlich treffen sollen. Dabei haben sie offenbar vor allem die russische Wirtschaft im Visier. Auch andere Länder reagieren mit Maßnahmen.
Angesichts des Angriffs auf die Ukraine will die EU noch am Abend weitere Sanktionen gegen Russland beschließen. Im Entwurf der Gipfelschlussfolgerungen, aus dem die Nachrichtenagentur AFP zitiert, ist die Rede von „weiteren Zwangsmaßnahmen, die massive und ernste Konsequenzen für Russland“ haben sollen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von den „härtesten“ Sanktionen, welche die EU jemals verhängt habe. Daneben will der Gipfel laut dem Entwurf „die zügige Vorbereitung eines weiteres Sanktionspakets fordern, das auch Belarus umfasst“.
Konkret seien die Strafmaßnahmen laut EU-Kommissionspräsidentin auf die russische Wirtschaft ausgerichtet. So sind etwa Maßnahmen gegen den Finanzsektor im Gespräch, außerdem Exportkontrollen, Einschränkungen bei der Visavergabe und Sanktionen gegen Einzelpersonen, wie es aus Insiderkreisen heißt.
Die Staats- und Regierungschefs können Sanktionen politisch beschließen, formal müssen diese dann von ihren Ministern angenommen werden.
SWIFT-Ausschluss noch nicht auf dem Tisch
Wovor sich die Europäische Union offenbar noch zurückschreckt, ist der Ausschluss Russlands aus dem weltweiten Zahlungssystem SWIFT. Diesen Schritt hatten die baltischen EU-Staaten gefordert, und auch Tschechiens Präsident Milos Zeman hatte diese Maßnahme ins Spiel gebracht. Allerdings stehe sie nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters derzeit nicht auf der Tagesordnung. Es fehle die Einigung unter den EU-Mitgliedern. Dieser Schritt hätte sehr weitreichende Konsequenzen – auch in Europa.
Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – der Zentralbank der Notenbanken – halten europäische Institute den größten Teil des Auslandsengagements internationaler Geldhäuser in Russland, das insgesamt auf fast 30 Milliarden Dollar taxiert wird. Einige EU-Staaten betonten zuletzt, ein SWIFT-Ausschluss würde zwar russische Banken und Unternehmen hart treffen. Aber auch europäische Gläubiger könnten dann nur noch schwer an ihr Geld kommen.
„Die neuen Sanktionen sollen deutlich über das hinausgehen, was gestern beschlossen wurde“, so Markus Preiß, ARD Brüssel
Die Abkürzung SWIFT steht für „Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication“. Die 1973 gegründete Organisation hat ihren Hauptsitz in Belgien. SWIFT ist eigentlich ein Netzwerk zum Austausch elektronischer Informationen zwischen Banken und wird von rund 11.000 Geldinstituten weltweit genutzt. Das System wurde eingeführt, um einen sicheren internationalen Zahlungsstandard anbieten zu können. Bei internationalen Transaktionen wird ein SWIFT-Code verwendet, um die Identität der Bank oder des Finanzinstituts zu bestätigen. Diese Sicherheitsmaßnahme sorgt dafür, dass das Geld auf dem richtigen Konto landet.
Sanktionen auch von außerhalb der EU
Die EU ist aber nicht der einzige westliche Akteur, der neue Strafmaßnahmen gegen Russland ankündigt. So versprach Großbritanniens Premierminister Boris Johnsons Sanktionen, die Russland aus dem britischen Kapitalmarkt werfen sollen. Das Vermögen aller russischen Banken in Großbritannien werde eingefroren, sagte Johnson. Russische Unternehmen und die Regierung in Moskau sollten in Großbritannien keine Anleihen mehr verkaufen oder anderweitig Geld aufnehmen können.
Zudem kündigte der britische Premier Exportverbote für Hochtechnologie-Produkte an, darunter Halbleiter. Die russische Fluggesellschaft Aeroflott erhalte Landeverbot.
Auch die Schweiz zielt auf Finanzströme ab und friert Konten russischer Amtsträger ein, die in der EU mit Sanktionen belegt worden sind. Die Schweizer Regierung werde Maßnahmen verschärfen, damit das Land nicht als Umgehungsplattform für die von der EU erlassenen Sanktionen benutzt werden kann, hieß es. Bundespräsident und Außenminister Ignazio Cassis verwies zur Erklärung auf die Neutralität der Schweiz. Er verurteilte den russischen Einmarsch in der Ukraine gleichzeitig „aufs Schärfste“. Beamte erläuterten anschließend allerdings, dass russische Staatsbürger mit Konten in der Schweiz, deren Gelder in der EU eingefroren sind, über ihr Geld in der Schweiz frei verfügen und es abziehen können. Geprüft werde, ob Richtlinien so verschärft werden, dass betroffene Personen keine neuen Gelder auf ihre Schweizer Konten überweisen können.
„Verheerende Sanktionen“ der G7
Ein „verheerendes Paket an Sanktionen“ haben nach Aussage von US-Präsident Joe Biden die G7-Staaten beschlossen. Darauf habe man sich in der Schalte der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten westlichen Industriestaaten geeinigt. Die G7-Staats- und Regierungschefs hatten das russische Vorgehen zuvor als „ernste Bedrohung“ für die internationale Ordnung verurteilt. „Als G7 werden wir harte und koordinierte wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen auf den Weg bringen“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Einzelheiten wurden aber nicht bekannt.
„Sanktionen halten den Angreifer nicht auf“
Allerdings gilt als umstritten, wie wirkungsvoll die Maßnahmen sind. Schon die zuvor angekündigten Sanktionen haben Russlands Präsidenten Putin nicht davon abgehalten, den Einmarsch in die Ukraine zu befehlen. Litauens Ex-Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite beurteilte ihre Wirksamkeit skeptisch. „Sanktionen werden den Angreifer nicht aufhalten, sondern nur bestrafen. Kriegsverbrecher konnten nur auf dem Schlachtfeld gestoppt werden“, twitterte sie.
Auch Experten wie Vasily Astrov vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche bezweifeln die Wirkung des erweiterten Handelsverbots, das vor dem Einmarsch in die Ukraine von der EU beschlossen wurde. Dazu zählten auch ein Verbot mit dem Handel russischer Staatsanleihen. Dem „Handelsblatt“ sagte der Russland-Kenner, Russland sei kaum auf Gelder aus dem Ausland angewiesen. Das Land habe eine extrem niedrige Staatsverschuldung und könne sich Geld von den eigenen Banken leihen. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds liegt die russische Staatsverschuldung bei rund 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.