Sanktionen gegen Russland Warum beim SWIFT-Ausschluss einige zögern

Sanktionen gegen Russland Warum beim SWIFT-Ausschluss einige zögern

25. Februar 2022 Aus Von MVP-WEB Team
Stand: 25.02.2022 15:00 Uhr

Der Westen hat sich auf Sanktionen gegen Russland geeinigt. Der Ausschluss vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ist aber nicht dabei – auch auf Wunsch Deutschlands. Warum?

Von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Der polnische Oppositionsführer und frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk nimmt kein Blatt vor den Mund: „Diejenigen EU-Regierungen, die harte Entscheidungen blockiert haben, haben Schande über sich selbst gebracht“, schimpft Tusk auf Twitter unter Bezug auf die bisherige Weigerung, Russland vom SWIFT-System auszuschließen. Und er nennt insbesondere Deutschland, Ungarn und Italien.

„Was muss noch passieren?“

Aber auch in Deutschland gibt es deutliche Kritik: Von einer „massiven Fehlentscheidung“ spricht der Grünen-Politiker Jan Philipp Albrecht. Er ist Energieminister in Schleswig-Holstein, übrigens als Nachfolger von Robert Habeck.

Und die ehemalige grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, fragt auf Twitter: „Was muss noch passieren, damit ein durchschlagendes Paket von Maßnahmen beschlossen wird“. Und sie verbindet diese Frage explizit mit den Hashtags #Bundeskanzler und #ABaerbock.

Sanktionen von Europa EU beschließt Maßnahmen gegen Russland

Die EU hat sich auf einem Krisengipfel auf umfangreiche Maßnahmen gegen Russland geeinigt.

Wem schaden Sanktionen mehr: Russland oder uns?

Von ihrem Parteikollegen Jürgen Trittin kommt dagegen Verständnis für die Zurückhaltung Deutschlands; der frühere Bundesminister sitzt jetzt im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Man müsse immer aufpassen, dass man mit Sanktionen nicht sich selbst mehr schade als den anderen, so Trittin im Inforadio des rbb.

Er setzt auf die bereits beschlossenen Maßnahmen: Diese würden verhindern, dass russische Banken ihren Zahlungsverkehr in Europa abwickeln und dafür sorgen, dass russische Staatsunternehmen sich nicht mehr wie bisher finanzieren könnten. Das, so Trittin, komme faktisch auf das Gleiche raus wie eine mögliche Blockade von SWIFT und hätte nicht die negativen Folgen, die ein SWIFT-Ausschluss für Deutschland bedeuten würde.

Debatte über Sanktionen Russlands SWIFT-Ausschluss träfe alle

In den USA gibt es Forderungen, Russland wegen der Ukraine-Politik aus dem Zahlungssystem SWIFT auszuschließen.

SWIFT-Ausschluss: „Äußerst scharfes Schwert“

Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der schon vor Wochen einen möglichen SWIFT-Ausschluss als „Atombombe für die Kapitalmärkte“ bezeichnet hatte, bleibt skeptisch. Er spricht jetzt von einem „äußerst scharfen Schwert“ und warnt, dass eine solche Sanktion erhebliche Schäden in der Weltwirtschaft hinterlassen würde.

Einschränkend fügt Merz im ZDF hinzu: „Sollte die EU-Kommission den Vorschlag machen, SWIFT als Sanktionsinstrument zu nutzen und Russland auszuschließen, sollte Deutschland nicht Nein sagen.“

Wichtig für den Außenhandel

SWIFT ist im Grunde ein Kommunikationssystem und dient dazu, dass sich die Banken über Grenzen hinweg über Zahlungsströme informieren – auch Überweisungen von Privatkunden ins Ausland laufen mit Hilfe der sogenannten BIC-Nummer über dieses System.

Vor allem aber profitiert der Außenhandel, da ja Importe und Exporte grenzüberschreitend bezahlt werden müssen. So fürchtet der bayerische Finanzminister Albert Füracker (CSU) negative Folgen für die Unternehmen hierzulande: Sollten russische Unternehmen keine Zahlungen mehr über SWIFT abwickeln können, bekämen deutsche Unternehmen möglicherweise kein Geld mehr, so Füracker im Regensburger Presseclub.

Was ist SWIFT?

Die Abkürzung SWIFT steht für „Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication“. SWIFT ist ein internationales Netzwerk zum Austausch elektronischer Informationen. SWIFT kümmert sich nicht um die Verrechnung oder Abwicklung von Zahlungen, sondern stellt die technische Infrastruktur zur Verfügung, damit Finanzinstitute bei Geldtransfers über Landesgrenzen hinweg sicher miteinander kommunizieren können.

Die Mitglieder der 1973 gegründeten Genossenschaft mit Sitz in La Hulpe südöstlich von Brüssel haben Standards definiert, damit Bank A in einem Land schnell und technisch nachvollziehbar Nachrichten mit Bank B im anderen Land austauschen kann: zu Geldtransfers, Wertpapier- oder Edelmetallgeschäften. Solche SWIFT-Nachrichten können automatisiert weiterverarbeitet werden. Mehr als 11.000 Teilnehmer in über 200 Ländern nutzen nach Angaben von SWIFT den Dienst, vor allem Banken, aber auch Wertpapierfirmen und große Konzerne.

Jeder an das System angeschlossene Teilnehmer hat eine eigene SWIFT-Adresse, den Bank Identifier Code, kurz BIC. Anhand dieser internationalen Bankleitzahl sind Kreditinstitute eindeutig identifizierbar. Das SWIFT-System stellt auf diesem Wege zum Beispiel sicher, dass Auslandsüberweisungen auf dem richtigen Konto eingehen. Täglich werden über das System Millionen von Nachrichten verarbeitet und milliardenschwere Geldsummen rund um den Globus geschickt.

Alternativen zu SWIFT: Fax, Telex, Geldkoffer?

In Wirtschaftskreisen macht man sich freilich keine Illusionen: Das Geschäft mit Russland, das 2021 noch einmal ordentlich zulegen konnte – deutsche Unternehmen verkauften Güter im Wert von 26,6 Milliarden Euro nach Russland – dürfte erst einmal zusammenbrechen. Durch einen schnellen Ausstieg aus SWIFT würden vor allem die Unternehmen belastet, die aktuell noch auf Zahlungen aus Russland warten.

Theoretisch wären auch nach einem politisch erzwungenen Ausstieg aus SWIFT noch grenzüberschreitende Zahlungen denkbar, erläutert Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank: In diesem Fall könnten an sich überholte Kommunikationsformen wie Fax und Telex wieder zum Einsatz kommen.

Maßnahmen gegen Russland Wie stark wirken die neuen EU-Sanktionen?

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine plant die EU neue Sanktionen.

Den eigentlichen Grund für das Zögern der europäischen Partner vor einem möglichen Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System sieht Krämer in der hohen Energieabhängigkeit von Russland. Schließlich habe US-Präsident Joe Biden darauf hingewiesen, dass er auf diese Maßnahme auf Drängen der Europäer verzichtet habe.

Nach wie vor habe der Westen auch nicht alle russischen Banken sanktioniert. Dahinter stehe vermutlich die Überlegung, dass die Europäer weiter Gas beziehen wollten: „Dafür muss man auch zahlen. Und wenn man das nicht per Banküberweisung machen kann, müsste man mit Geldkoffern nach Moskau reisen“, was natürlich nicht gehe, so Krämer.

Energieabhängigkeit als Grund für das Zögern

Sanktionen gegen den Bezug von russischem Gas oder Öl sind tatsächlich nicht auf der Liste des Westens. Der Grund dafür ist, so sagt es Regierungssprecher Steffen Hebestreit, dass die Energielieferungen aus Russland nicht sofort ersetzt werden könnten.

Mit Blick auf SWIFT wehrt sich Hebestreit aber gegen den Vorwurf, allein Deutschland habe hier Bedenken angemeldet. Eine Aussetzung von SWIFT müsste zudem gut vorbereitet sein, da sie massive Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr deutscher Unternehmen im Geschäft mit Russland aber eben auch auf die Zahlungen für die Energielieferungen hätte.

Versorgung vorerst sicher Ukraine-Krieg lässt Gaspreise steigen.

Der Krieg in der Ukraine schürt Angst vor einer Gasknappheit. Eine Preisexplosion könnte die Folge sein.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Es ist in der Tat auffällig: Länder, die ihren Energiebedarf zu einem hohen Anteil aus Russland decken wie Deutschland, Italien oder Ungarn wehren sich bislang gegen den Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System. Länder wie Frankreich oder Großbritannien, die weniger abhängig vom russischen Öl und Gas sind, können sich eine solche Sanktion eher vorstellen.

Ausgeschlossen sind sie freilich nicht. Bundesfinanzminister Christian Lindner sagt, der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System sei denkbar, wenn die EU-Mitglieder gemeinsam der Meinung seien, der Druck auf Russland könne damit weiter verstärkt werden.