Angriff auf die Ukraine – Kiews zweite Kriegsnacht

Angriff auf die Ukraine – Kiews zweite Kriegsnacht

25. Februar 2022 Aus Von ...Susanne Kimmpert
Stand: 25.02.2022 22:25 Uhr

Es ist die zweite Kriegsnacht in der Ukraine, in Kiew wird gekämpft. Über den Verlauf der Front und die Anzahl der Opfer gibt es widersprüchliche Angaben. Hunderttausende sind auf der Flucht.

Für die Bewohnerinnen und Bewohner von Kiew beginnt die zweite Kriegsnacht. „Die Situation ist bedrohlich für Kiew – ohne Übertreibung“, schrieb Bürgermeister Vitali Klitschko am Freitagabend im Messengerdienst Telegram. Russische Truppen seien in der Nähe der Metropole. Er berichtete von fünf heftigen Explosionen, die die Stadt am Abend erschüttert hätten. Es ist aber bislang unklar, was vorgefallen ist. Die Brücken der Stadt seien von Soldaten gesichert, zudem gebe es Checkpoints im Stadtgebiet.

Krieg gegen die Ukraine

Brennpunkt, 25.2.2022

Das ukrainische Militär lieferte sich am Freitag im Großraum Kiew eigenen Angaben zufolge heftige Gefechte mit russischen Truppen. Russische Soldaten rückten den Angaben zufolge auch von Osten und Nordosten an die Hauptstadt heran. Die ukrainische Armee bezog Verteidigungspositionen an Brücken, und gepanzerte Fahrzeuge rollten durch die Straßen.

Die russische Armee hat nach eigenen Angaben die ukrainische Hauptstadt von Westen her blockiert und den strategisch wichtigen Flugplatz Hostomel nordwestlich von Kiew eingenommen. Die ukrainische Seite bestätigte dies zunächst nicht. Mit dem Flughafen in Hostomel wäre die russische Armee in der Lage, Truppen direkt zu den Außenbezirken Kiews transportieren zu können.

„Die Stadt ist im Verteidigungsmodus“

Außenminister Dmytro Kuleba hatte am Freitag auf Twitter geschrieben: „Schrecklicher russischer Raketenbeschuss auf Kiew“. Zwei russische Raketen seien über der Stadt abgefangen und zerstört worden, teilte die ukrainische Armee mit. Bürgermeister Klitschko sprach von drei Verletzten durch Raketenteile, „die Stadt ist im Verteidigungsmodus“. Russland wolle zunehmend zivile Infrastruktur und Häuser zerstören, erklärte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte.

Selenskyjs Selfie: „Wir sind in Kiew“

Präsident Selenskyj veröffentlichte am Freitagabend ein kurzes Video auf seiner Facebook-Seite, das ihn mit anderen hochrangigen Politikern zeigt: „Wir sind alle hier“, sagt er darin. „Wir sind in Kiew. Wir verteidigen die Ukraine“, schrieb er dazu. Er reagierte damit auf Gerüchte, er verstecke sich in einem Bunker oder habe die Stadt verlassen.

Russische Truppen rücken auf Kiew vor

Russische Truppen rücken auf Kiew vor

Videos von Kämpfen im Norden von Kiew

In den sozialen Medien kursieren Videos, in denen Kämpfe in einem nördlichen Wohnviertel von Kiew zu sehen sind. Sie zeigen unter anderem, wie ein Panzer ein Auto überrollt, dessen Fahrer anschließend von Anwohnern gerettet wird. Auch Schüsse von Uniformierten auf einen Militär-Laster und Tote sind zu sehen – ob es sich bei den Toten um ukrainische oder russische Soldaten handelt, kann aber nicht sicher gesagt werden.

Zuvor hatte das Verteidigungsministerium die Bevölkerung in Kiew aufgerufen, sogenannte Molotow-Cocktails zum Kampf vorzubereiten und Sichtungen über russische Militärtechnik zu melden. Einwohner sollten ihre Wohnungen nicht verlassen. Das ukrainische Heer warnte, russische Einheiten nutzten teilweise eroberte ukrainische Technik.

Kaum belastbare Informationen zum Frontverlauf

Für Kiew wie für den Rest des Landes gibt es weiterhin kaum belastbare Informationen über den genauen Frontverlauf. Aus Charkiw im Osten des Landes berichteten Medien und Anwohner von Explosionen. Bei Cherson im Süden durchbrachen russische Truppen die ukrainischen Verteidigungslinien und überquerten den Dnipro. Cherson spielt eine wichtige Rolle beim Schutz von Odessa.

Die Hafenstadt an der Schwarzmeer-Küste wurde nach ukrainischen Angaben ebenfalls beschossen. Es seien am Freitag mehrere Raketen vom Meer aus auf Grenzschutzanlagen abgefeuert worden, teilte der Grenzschutz von Odessa mit. Betroffen sei auch Infrastruktur in der Region Mykolajiw. Mehrere Beobachtungsposten seien beschädigt worden. Befürchtet wird, dass russische Truppen nach Odessa vorrücken könnten – eine strategisch wichtige Stadt.

Zahl der Toten unklar

Präsident Selenskyj sagte, in der ukrainischen Armee seien am ersten Tag der Invasion 137 Soldaten getötet und 316 Soldaten verletzt worden. Die Russen machten entgegen ihrer Zusicherung keinen Unterschied zwischen militärischen Zielen und Wohnhäusern, sagte er.

Gleichzeitig behauptet die ukrainische Armee, den russischen Truppen „schwere Verluste“ beigebracht zu haben. Bisher hätten die einrückenden Truppen 2800 Soldaten „verloren“, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Dabei war unklar, ob es sich um getötete, verwundete oder gefangene Soldaten handeln soll. Außerdem seien schätzungsweise bis zu 80 Panzer, mehr als 500 weitere Militärfahrzeuge sowie zehn Flugzeuge und sieben Hubschrauber zerstört worden.

Diese Angaben können derzeit nicht unabhängig überprüft werden. Das russische Verteidigungsministerium teilte hingegen mit, es gebe keine Verluste.

Russland setzte nach eigenen Angaben 118 ukrainische Militärobjekte „außer Gefecht“ und schoss fünf ukrainische Kampfflugzeuge und einen Hubschrauber ab. Auch diese Angaben lassen sich nicht überprüfen.

Hunderttausende auf der Flucht

Seit dem Einmarsch der russischen Armee sind nach Angaben der Vereinten Nationen Hunderttausende Menschen auf der Flucht. Es hänge auch vom Verlauf des Krieges ab, wie viele von ihnen in der Ukraine bleiben oder das Land verlassen wollten, sagte der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths.

Vor allem aus dem Süden und dem Osten fliehen die Menschen, berichtete auch ARD-Korrespondentin Ina Ruck, die sich im Südwesten des Landes aufhält. In Ungarn sind nach offiziellen Angaben bisher etwa 1600 Menschen eingetroffen. Die allermeisten würden von in Ungarn lebenden Verwandten und Freunden an der Grenze abgeholt und ins Landesinnere gebracht. Bislang hätten die Behörden nur wenige Menschen in vorbereiteten Unterkünften unterbringen müssen.

In Polen sollen mehrere Tausend Menschen angekommen sein, vor allem Frauen, Kinder und Ältere. Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen, hatte die ukrainische Regierung entschieden. Rumänien berichtet von 19.000 Ukrainerinnen und Ukrainern, die ins Nachbarland geflohen seien.