Für Wladimir Putin soll die Eroberung der Ukraine nur ein erster Schritt im Kampf gegen den Westen sein. Aufgehen dürfte sein Plan jedoch nicht. Stattdessen steht sein Land vor einer ruinösen Zukunft.
Die ursprüngliche Absicht der russischen Führung war, die Ukraine militärisch rasch einzunehmen und eine Marionettenregierung zu installieren, die den ukrainischen Streitkräften befohlen hätte, die Waffen niederzulegen. Dann hätte die Begründung für die „militärische Spezialoperation“ aufrechterhalten bleiben können, die seitens der russischen Führung immer wieder vorgetragen wird: Dass eine korrupte Regierung aus drogenabhängigen Neonazis in Kiew das ukrainische Brudervolk unterdrückt.
Russland hätte sich zu Hause als Befreier darstellen können und die internationale Reaktion hätte sich noch nicht schlagkräftig entfaltet, bevor die militärische Operation abgeschlossen wäre. Soweit der Plan. Die Realität des russischen Angriffskriegs Ukraine ist eine andere.
Die Ukraine hatte Russland nicht bedroht, als der russische Präsident ihr drei Forderungen für eine politische und militärische Kapitulation diktieren wollte. Erstens sollte die Ukraine sich entwaffnen; zweitens sollte sie den Status eines ohnmächtigen neutralen Staats annehmen; drittens sollte sie die Krim als russisches Territorium anerkennen.
Inzwischen sind zwei weitere Forderungen dazugekommen. Die Ukraine soll die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk als eigenständige Staaten anerkennen und die „Entnazifierung“ der Elite müsse umgesetzt werden.
Alles an der russischen Anschuldigungen ist falsch
Dass in Kiew Neonazis regieren, wie Russlands Führung immer wieder behauptet, ist falsch. Es soll in Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg (den Zweiten Weltkrieg) Unterstützung in Russland hervorrufen. Dass die Ukraine nach Nuklearwaffen strebt ist falsch. Das soll in Russland ein Gefühl der Bedrohung auslösen. Dass die Ukraine Russland bedroht ist falsch. Niemand strebt an, auf dem Territorium Nuklearwaffen zu stationieren (auch in den anderen osteuropäischen Staaten nicht).
Russlands Propaganda verfängt teilweise im Land selbst. Außerhalb Russlands glaubt dies (bis auf wenige Propagandisten Putins) niemand. Es scheint, wenn man den Hinweisen des französischen Präsidenten nach Gesprächen mit dem russischen Präsidenten folgt, der festgefügte Denkraum der russischen Führung zu sein. Sie glaubt inzwischen ihrer eigenen Propaganda. Dabei verfolgt sie freilich ein ganz anderes Ziel.
Putins Kampf gegen den Westen ist in drei Phasen unterteilt
Im ersten Schritt soll die Ukraine besiegt und als russischer Tributstaat eingerichtet werden. Russland will die Ukraine beherrschen, wie es – auf kaltem Weg – inzwischen auch Belarus beherrscht. Aus diesem Raum soll danach der Ausgriff nach Westen erfolgen.
In einem weiteren Ansatz sollen sodann die Nato-Truppen die osteuropäischen Staaten vom Baltikum bis Bulgarien verlassen. Diese Staaten könnten sich alleine sichern, heißt es aus Moskau. Sie können es gegen die russische Übermacht freilich nicht.
Im dritten Schritt sollen die Verbindungen zwischen Europa und den USA gekappt werden. Dann kann der Herrscher im Kreml ganz Europa auf die eigene Linie pressen, weil seinem Militär und seiner Eskalationsbereitschaft nichts mehr entgegensteht. Rücksichtslosigkeit setzt sich dann durch, wie in der Geschichte zuvor. Russland wird, erweitert um seinen europäischen Einflussraum, wieder Weltmacht sein können.
Putin wird die Ukraine einnehmen, politisch hat er den Krieg jedoch bereits verloren
Das ist der Plan des russischen Präsidenten. Kann er ihn umsetzten? Momentan hat sich die Gesamtlage eher gegen diesen Plan entwickelt. Dabei ist abzusehen, dass der erste Schritt, die Unterwerfung der Ukraine, gelingen kann. Die russischen Streitkräfte konnten dem Land nicht rasch die Regierung nehmen und eine neue installieren, sind aber in der Lage, es in Schutt und Asche zu legen. Darin haben sie Erfahrung. Grozny in Tschetschenien und Aleppo in Syrien können diese Kriegsstrategie der russischen Führung bezeugen.
Am Ende wird – gleichviel wieviel Gegenwehr die Ukraine aufstellen kann – Russland deren Streitkräfte schlagen, weil es über mehr Zerstörungspotential verfügt und dieses rücksichtslos einsetzt.
Doch politisch hat Russland diesen Krieg schon verloren. Russland ist international isoliert. Nur Belarus, Eritrea, Syrien und Nord-Korea standen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen an seiner Seite. Nicht einmal Kasachstan, dessen Regierung Russland gerade rettete, stimmte für Russland.
Russland wird in der Ukraine nie eine Marionettenregierung einsetzen können, die im Land und international als legitim angesehen wird. Das bedeutet, dass die russischen Truppen als Besatzungsmacht im Land bleiben müssen. Das wird viele das Leben kosten.
Russland steht vor einer ruinösen Zukunft
Russland kann sich den wirtschaftlichen, finanziellen, kulturellen und sportlichen Sanktionen nicht entgegenstellen oder entziehen. Das Land steht vor einer ruinösen wirtschaftlichen Entwicklung und wird darin der Sowjetunion immer gleicher. Auch in der inneren Repression der Zivilgesellschaft ist Russland inzwischen das Abbild der Sowjetunion.
China, das einige Folgen der Sanktionen ausgleichen will, überprüft gerade seine Kredite über die Asiatische Infrastruktur-Investment Bank. Auch wenn es Schlupflöcher aus den Sanktionen geben wird, werden sie die russische Wirtschaft nicht tragen können.
Sollte China seine Position gegenüber Russland ändern – wofür übrigens überhaupt nichts spricht – wäre Russland völlig isoliert. Wirtschaftlich wie politisch. Hochgerüstet zwar, aber ohne internationalen Einfluss.
Der Vasall Chinas
Aber selbst, wenn China bei seiner Politik bleibt, Russland weiterhin zu unterstützen, obwohl es einen Angriffskrieg gegen seinen Nachbar führt, wird Russland kein eigenständiger internationaler Machtfaktor sein.
Es wird dann offiziell zum „Partner“ in Realität aber zum Vasall Chinas. In diese Klemme hat der russische Präsident sein Land geführt. Anders könnte es nur kommen, wenn der Plan aufgeht, Europa als russische Einflusssphäre zu unterwerfen.
Solange die USA in Europa engagiert sind, wird dies nicht gelingen. Ob die USA weiterhin in Europa engagiert bleiben, ist nicht sicher zu beantworten. Isolationistische Tendenzen im Land oder die Überforderung mit zwei Weltmachtkonflikten – und die schließlich Entscheidung, sich auf China zu konzentrieren – könnten die Lage ändern.
Das wäre das Ende der Nato und mit Russlands Ausgriff nach Westen auch das Ende der EU als eigenständiger politischer Akteur. Die Europäer müssen die Zeit nutzen, sich selbst zu ertüchtigen, nachdem dies vom politischen Personal zwanzig Jahre unterlassen wurde. Sonst könnte Russlands weit ausgreifender Plan aufgehen.
Dass momentan daran noch starke Zweifel möglich sind, liegt vor allem an der Einheit des Westens. Den wollten viele, die in den letzten Jahren in Deutschland und Europa Verantwortung trugen, schon abschreiben. Es ist ein Glück für die Europäische Union, dass dies nicht gelungen ist.