Diskussion um Nord Stream 1: „Müssen Alternativen suchen“
8. März 2022Russland könnte Vize-Ministerpräsident Alexander Nowak zufolge die Erdgasversorgung über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland kappen. Für die Energieexpertin Claudia Kemfert steht fest, dass Alternativen her müssen. So oder so müsse Energie gespart werden.
Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hält es für möglich, dass Deutschland schon kurzfristig kein Gas mehr aus Russland erhält. „Wir müssen uns auf das Szenario einstellen, dass da Ernst gemacht wird“, sagte Kemfert am Dienstag bei NDR MV Live sowohl mit Blick auf die russische Drohung, die Erdgasversorgung über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland zu kappen, als auch auf die Diskussion darüber, dass der Westen seinerseits den Gasimport beenden könnte.
Deutschlands Fehler: Keine Diversifikation
Laut Kemfert führe kein Weg daran vorbei, sich nach Alternativen umzusehen – übrigens auch zu Öl- und Steinkohle-Importen aus Russland, die ebenfalls unter den gegenwärtig in westlichen Ländern diskutierten Import-Stopp fallen könnten. „Wir müssen Alternativen suchen. Das geht nur im europäischen Verbund. Gerade wenn es darum geht, dass wir aus anderen Ländern auch Gas beziehen – insbesondere Flüssiggas.“ Deutschland habe damals den Fehler gemacht, Nord Stream 1 einzuweihen, ohne auf Diversifikation zu setzen. „Wir haben sehr stark ein Flüssiggas-Terminal empfohlen, das dann aber nicht kam.“ Das hätte die Abhängigkeit verringert.
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„Gut über den Winter kommen“
Neben der Diversifikation sei Energiesparen eine weitere Möglichkeit, auf die veränderte Situation in der Energieversorgung zu reagieren. Gas werde hauptsächlich zum Heizen verwendet. Deshalb müsse dort etwa mit Wärmepumpen und energetischer Sanierung Abhilfe geschaffen werden. In diesem Sektor ließen sich bis zu 20 Prozent des Gasverbrauchs einsparen. Wenn es gelänge, weiteres Gas aus anderen Ländern zu beziehen, würden die Deutschen „gut über den Winter kommen“, so Kemfert.
Kemfert für autofreien Sonntag und Tempolimit
Das Einsparen sei auch beim Ölverbauch Gebot der Stunde, so die Wissenschaftlerin – trotz der besseren Verfügbarkeit neuer Importquellen. Weitere Einsparmöglichkeiten beim Öl liegen laut Kemfert in der Mobilität. „Wir müssen schneller werden was die Elektromobilität angeht und wir müssen den Schienenverkehr billiger machen.“ Zudem nannte Kemfert einen autofreien Sonntag und ein Tempolimit. „Alles, was wir tun können, um einzusparen, ist richtig.“ Beim Ausbau der Erneuerbaren Enrgien müssten die Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigt werden, so Kemfert. „Dies ist aufgrund der aktuellen Krisensituation machbar.“
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Russisches Gas macht in Deutschland 55 Prozent aus
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums liegt der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten nach Deutschland bei rund 55 Prozent, bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent und bei Kohle bei rund 50 Prozent. Durch Nord Stream 1 wurden 2021 nach Angaben der Betreibergesellschaft 59,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland nach Europa exportiert. Seit der Inbetriebnahme waren es bis Ende vergangenen Jahres insgesamt demnach mehr als 441 Milliarden Kubikmeter.
Schwere Embargo-Schäden befürchtet
Der Branchenverband Zukunft Gas befürchtet bei einem Embargo schwere Schäden für die deutsche Wirtschaft. Vorstand Timm Kehler sagte: „Sollten Liefermengen ausbleiben und nicht durch andere Routen ersetzt werden, so werden Lastabschaltungen zuerst in der Industrie vorgenommen, um Haushalte und andere geschützte Kundengruppen mit Gas versorgen zu können.“ Viele Prozesse der deutschen Kernindustrien Fahrzeugbau oder Chemie beruhten auf Gas.
Sachverständigenrat hält Gasverzicht für machbar
Dagegen sagte Veronika Grimm vom Sachverständigenrat Wirtschaft dem „Handelsblatt“, ein Verzicht auf russisches Gas sei eine Herausforderung, aber machbar. „Wir müssten kurzfristig Gas auf dem Weltmarkt beschaffen, um die Versorgung in Sektoren sicherzustellen, wo keine Substitution möglich ist.“ Außerdem müssten Kohlekraftwerke weiterlaufen. „Wenn ein Energieembargo die Eskalation eindämmen kann und die Ausbreitung von Krieg in Europa unwahrscheinlicher macht, dann sollten wir den Schritt gehen“, meinte Grimm. „Lange andauernde kriegerische Auseinandersetzungen in Europa hätten deutlich schwerwiegendere Folgen als der Stopp der Energielieferungen.“