Erstmals eingesetzt: Unfassbar schnell, tödlich präzise: So funktioniert Putins „unbesiegbare“ Hyperschallrakete

Erstmals eingesetzt: Unfassbar schnell, tödlich präzise: So funktioniert Putins „unbesiegbare“ Hyperschallrakete

19. März 2022 Aus Von ...Susanne Kimmpert
Samstag, 19.03.2022, 12:23

Diese Waffe ist für die Nato ein Rätsel: Zwar hat Russland die „Ch-47M2 Kinschal“ schon vor rund vier Jahren öffentlich präsentiert, doch der Westen weiß immer noch wenig über Putins neue Hyperschallrakete. Nur so viel: Sie ist unfassbar schnell, präzise und bislang gibt es offenbar nichts, was sie aufhalten könnte.

Es ist eine traurige Premiere: Die russische Luftwaffe hat in ihrem Krieg gegen die Ukraine nach Angaben aus Moskau mit der Hyperschallrakete „Kinschal“ ein Raketenarsenal im Gebiet Iwano-Frankiwsk zerstört. Das unterirdische Munitionsdepot der ukrainischen Luftwaffe in Deljatyn im Südwesten der Ukraine sei am Freitag durch die ballistische Rakete vernichtet worden.

Russisches Verteidigungsministerium Eine Kinschal-Rakete (Symbolbild).

Es ist das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass Russland von dem Einsatz seiner neuen ballistischen Luft-Boden-Rakete berichtet. Es sei der erste Einsatz im Kampf überhaupt, hieß es. Bisher kamen die neuartigen Waffen vor allem bei Manövern zum Einsatz – zuletzt wenige Tage vor der Invasion in die Ukraine.

Hyperschall-Waffentechnik gilt als der größte Fortschritt in der Raketentechnologie der letzten zehn Jahre. Bereits 2018 testete Russland erfolgreich die Hyperschallrakete „Awangard“. Damals pries Wladimir Putin seine neue „Superwaffe“ als „praktisch unbesiegbar“. „Als erstes Land der Welt“, wie Putin betonte, stellte Russland diese Waffentechnik damals in den Dienst.

Geschwindigkeit und Präzision: Putins „Dolch“ hat zwei grausame Vorteile

Die nun erstmals zum Einsatz gekommene „Ch-47M2 Kinschal“, zu Deutsch „Dolch“, unterscheidet sich in zwei Punkten gravierend von herkömmlichen Flugkörpern. Sie ist noch schneller als „normale“ Überschallwaffen und – anders als ballistische Flugkörper, die sich wie ein Projektil auf einer vorhersehbaren Flugbahn bewegen – bleibt sie auch noch spät im Flug sehr gut manövrierbar.

Der Neuling in Putins Waffenkammer soll nach russischen Angaben eine Reichweite von 2000 Kilometern haben und eine Geschwindigkeit von bis zu Mach 10 erreichen, mehr als 12.000 Kilometer pro Stunde. Einige Experten gehen davon aus, dass die Kinschal „lediglich“ mit rund 6000 Kilometern auf ihr Ziel zusteuert. Auch in diesem Fall jedoch wären europäische Großstädte für die Kinschal je nach Abschussort binnen zehn bis 30 Minuten erreichbar.

Abgeschossen werden die „Kinschal“-Raketen von Kampfflugzeugen des Typs MiF-31. Nach dem Abwurf vom Trägerflugzeug erfolgt zunächst eine kurze antriebslose Phase. Erst in sicherem Abstand zum Flugzeug zündet dann das Raketentriebwerk im Lenkwaffenheck. Danach steigt die Kinschal auf eine Höhe von 18 bis 20 Kilometern. Die Lenkung erfolgt vermutlich mit einem so genannten Inertialen Navigationssystem und dem Satelliten-Navigationssystem GLONASS, das vom russischen Verteidigungsministerium betrieben wird.

Das Ziel der russischen Kinschal wird erst im allerletzten Moment bekannt

Die „Kinschal“-Rakete ist so brachial schnell, dass sie im Falle eines Angriffs ihr Ziel binnen Minuten erreicht. Der gegnerischen Luftabwehr bleibt so kaum Zeit für eine Reaktion.

Zudem ist die Kinschal auf einer semiballistischen Flugbahn unterwegs und bleibt manövrierfähig. Sie kann ihre Flughöhe in der Atmosphäre verändern und jederzeit Ausweichmanöver fliegen. Weil sich die Kinschal somit auf unvorhersehbaren Flugbahnen bewegt, ist sie für die herkömmliche Luftabwehr schwer auszumachen und kaum abzufangen. Ihr Ziel wird erst im allerletzten Moment bekannt.

Die Hauptgefahr der Verwendung von Hyperschallraketen liegt somit vor allem auch in den verkürzten Vorwarnzeiten. „Damit steigt die Nervosität, was die Bereitschaft erhöht, die eigenen Nuklearwaffen schon bei Angriffswarnung zu starten, was bei Fehlalarm einen Nuklearkrieg erst auslösen würde“, analysiert der Physiker Jürgen Altmann von der TU Dortmund.

„Wir haben keine Verteidigung“: Der Westen hinkt bei Hyperschallwaffen hinterher

Neben Russland und China verfügt auch Nordkorea zumindest über flugfähige Prototypen. Die USA investieren seit Jahren viele Milliarden Dollar in die Entwicklung und Produktion von Hyperschallwaffen – bislang allerdings ohne Erfolg. Die größte Herausforderung für die Ingenieure sind die extrem hohen Temperaturen, die beim Flug der Hyperschallwaffen entstehen. Vermutlich erst 2023 werden die USA ihre ersten Hyperschall-Langstreckenwaffen in Betrieb nehmen. Das Portal „Bulgarian Military“ schätzte die Verspätung der Vereinigten Staaten gegenüber Russland bei Hyperschall-Raketensystemen je nach Typ zwischen fünf und neun Jahren.

Auch bei der Abwehr der neuartigen „Super-Raketen“ gerät der Westen zunehmen ins Hintertreffen. Denn wenn Putin damit prahlt, dass seine neuartigen Hyperschallwaffen „unverletzbar“ seien, ist das de facto die Wahrheit. Bereits 2018 gestand der US-Luftwaffengeneral John Hyten 2018 angesichts eines Tests von Hyperschallwaffen ein: „Wir haben keine Verteidigung, die den Einsatz einer solchen Waffe gegen uns verhindern könnte.“

„Illusion von Sicherheit“: Fortschritte bei Raketenabwehr sind äußerst begrenzt

Daran hat sich bei heute nichts verändert, wie Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg schreibt: „Eine Raketenabwehr gegen solche Systeme gibt es bis heute nicht, aber auch die Fortschritte der existierenden Raketenabwehr sind äußerst begrenzt und führen zu einer Illusion von Sicherheit.“

Hoffnung machten in den vergangenen Jahren lediglich Putins Militärexperten. Diese hatten sich stets bemüht, den defensiven Charakter der neuartigen Waffe zu betonen: Sie solle mögliche Aggressoren von einem Erstschlag auf Russland abhalten. Seit dem Einsatz der „Kinschal“-Rakete in der Ukraine am Samstag wissen wir nun: Auch das war wohl eine Lüge.