Habeck und Lemke Zwei, die umdenken müssen

Habeck und Lemke Zwei, die umdenken müssen

19. März 2022 Aus Von ...Susanne Kimmpert
Stand: 19.03.2022 08:28 Uhr

Wirtschaftsminister Habeck und Umweltministerin Lemke wollen in der Regierung mehr Klimaschutz durchsetzen. Der Krieg in der Ukraine könnte die ehrgeizigen Klimaziele gefährden – oder doch nicht?

 Von Marcel Heberlein, ARD-Hauptstadtstudio

100 Tage können viel verändern. „Das war schon ein besonderer Tag“, sagte Robert Habeck Anfang Dezember, am Tag seiner Amtseinführung. „Freude wie Sorgen sind die falschen Vokabeln“, erklärte er zwar zu seinem Gemütszustand. Aber ein kurzes Lächeln der Zufriedenheit konnte er sich nicht verkneifen.

Mittlerweile scheint auch das letzte bisschen Freude Habeck verlassen zu haben. Düster blickt er in die Kameras, als läge die Last der Welt auf seinen Schultern. Mit tiefen Augenringen spricht er über Szenarien, die einstmals irrwitzig klangen: „Wir können nicht in einen Krieg mit Russland ziehen. Wir können keinen Dritten Weltkrieg riskieren“, sagt Habeck am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine im ZDF.

Plan für mehr Windräder

Vom Anfangsmodus zum Arbeitsmodus in den Krisenmodus war es für viele in der Regierung ein sehr kurzer Weg. Für den Klima- und Wirtschaftsminister erst recht. Im Januar, mit großer Papptafel und Grafiken, hat Habeck seinen Plan für mehr Windräder und Solaranlagen vorgestellt. Schneller werden beim Klimaschutz, viel schneller, das will er in den Mittelpunkt seiner Regierungsjahre stellen. Mittlerweile, im Krisenmodus, sagt er Sätze wie: „Es gibt keine Denktabus.“ Und meint damit zum Beispiel, dass Kohlekraftwerke länger laufen könnten.

Auch dieses Schreckensszenario für den Klimaschutz scheint durch den Krieg in der Ukraine jetzt auf einmal vorstellbar, weil möglichst schnell Schluss sein soll mit Gas aus Russland. Dabei hatten auch die Grünen bis vor Kurzem noch auf Gas gesetzt.

14.03.2022

Hohe Energiepreise Entlastungspaket soll schnell kommen

Das Kabinett könnte noch diese Woche über finanzielle Entlastungen der Bürger entscheiden.

Das kleinere Übel

„Wir sagen, dass wir kurzfristig Gas als Übergangstechnologie brauchen werden“, meinte Steffi Lemke noch im Januar. Die grüne Bundesumweltministerin sah Gas als das kleinere Übel im Vergleich zur Kohle – was ja auch stimmt, wenn man nur auf den CO2-Ausstoß schaut.

Mit der neuen Weltlage könnte es sein, dass die grünen Minister nun umdenken müssen. Denn gleichzeitig raus aus allem, was fossil ist, aus Kohle, Öl und aus Gas – und sofort komplett übergehen zum Laden und Heizen durch Energie aus Wind und Sonne – das wird nicht klappen. Und Atomkraft ist eh keine Alternative aus grüner Sicht.

Streit um Taxonomie

„Ich halte es für wirklich falsch, Atomkraft als nachhaltig zu labeln“, erklärte Lemke im Januar. Die EU-Kommission tat es trotzdem. Der Streit um die Taxonomie – die Einstufung von Investitionen in Gas und Atom als nachhaltig – war eine erste bittere Pille, die Habeck und Lemke schlucken mussten. Der russische Angriffskrieg und seine Folgen könnten den Klimaschutz noch weiter zurückwerfen. Oder aber: ihm vielleicht erst recht zum Durchbruch verhelfen.

Denn der Krieg verbindet die klimapolitische mit der sicherheitspolitischen Debatte. „Die Sonne und der Wind gehören niemandem“, sagt Habeck gern. Der wirkliche Weg zu energiepolitischer Unabhängigkeit sei der Ausstieg aus allem Fossilen. „Freiheitsenergien“, so nennt jetzt sogar FDP-Chef Christian Lindner den Strom aus Erneuerbaren Quellen. Deutschlands politische Freiheit wird quasi durch das nächste Windrad verteidigt – ein Argument dieser Art dürfte den Druck auf die deutschen Landesregierungen nochmal erhöhen, die bisher den Ausbau blockiert haben.

Bundesumweltministerin Lemke kündigt Nein zu EU-Atomplänen an

Stand: 09.01.2022 21:11 Uhr

Verhindern kann die Regierung es wohl nicht mehr, dass die EU Atomkraft als nachhaltige Energie einstuft. Aber in einer Stellungnahme will sie ihr klares Nein übermitteln, wie Umweltministerin Lemke im Bericht aus Berlin erklärte.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat ein Nein der Bundesregierung zu den Plänen der EU-Kommission angekündigt, die Atomkraft als nachhaltige Energie einzustufen.

„Wir werden als Bundesregierung unsere Stellungnahme jetzt in den nächsten Tagen abschließen und an die EU-Kommission übermitteln. Diese Stellungnahme wird ein klares Nein zur Aufnahme der Taxonomie, zur Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie beinhalten. Das vertritt die Bundesregierung geschlossen“, sagte die Grünen-Politikerin im Bericht aus Berlin. Es liege dann in der Entscheidung der Kommission, wie sie mit ihrem Taxonomie-Vorschlag weiter umgeht.

Umweltministerin Steffi Lemke (Die Grünen): "Wir brauchen Gas kurzfristig als Übergangstechnologie"

Investitionen in Gas und Atom – klimafreundlich?

Die EU-Kommission hatte zum Jahreswechsel einen Entwurf vorgelegt, wonach Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich eingestuft werden sollen.

Konkret sieht der Entwurf der EU-Kommission zur sogenannten Taxonomie vor, dass vor allem in Frankreich geplante Investitionen in neue AKW als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten technischen Standards entsprechen und wenn ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird.

100 Tage Ampel Regieren im Ausnahmemodus

Stand: 17.03.2022 14:29 Uhr

Seit 100 Tagen regiert die Ampelkoalition – von Beginn an war es Regieren im Ausnahmemodus. Spätestens seit Putins Krieg gegen die Ukraine sind viele Pläne aus dem Koalitionsvertrag überholt.

Von Martin Ganslmeier, ARD-Hauptstadtstudio

„Mehr Fortschritt wagen“ hatten sich die Ampel-Partner im Koalitionsvertrag vorgenommen. Knapp 180 Seiten voller Aufbruchsstimmung: ehrgeizige Klimaziele, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Geld für ein digitales und modernes Deutschland. Doch dann kam der Tag, der fast alles veränderte: „Dieser 24. Februar ist ein furchtbarer Tag für die Ukraine und ein düsterer Tag für Europa“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Scholz‘ historische Rede

Putins Krieg gegen die Ukraine ist ein Schock, der die fortschrittsoptimistischen Pläne der Ampel durchkreuzt. Der gefährlichste Krieg in Europa und die größte Massenflucht seit dem Zweiten Weltkrieg bestimmen nun die Agenda. Regieren im Ausnahmemodus. Scholz, dem Kritiker anfangs vorwarfen, er agiere zu passiv, hält drei Tage nach dem Überfall eine historische Rede im Bundestag. Putins Krieg – ein Weckruf für Deutschland: „Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht dieselbe wie die Welt davor.“

Radikale Kehrtwende

Scholz verkündet eine radikale Kehrtwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Fast im Alleingang ändert ein sozialdemokratischer Kanzler die jahrzehntelange Politik seiner Partei und entscheidet, worüber jahrelang ergebnislos gestritten wurde: Deutschland rüstet auf. Die Bundeswehr bekommt nicht nur zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, sondern zusätzlich ein 100 Milliarden Euro starkes Sondervermögen und atomwaffentragende US-Kampfjets sowie bewaffnete Drohnen. Die Entspannungspolitik gegenüber Russland ist ebenso Geschichte wie die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck muss nun Deutschland so schnell wie möglich unabhängig machen von russischer Energie. Habeck kauft Flüssiggas in aller Welt ein, auch Fracking-Gas aus den USA. Sogar längere Laufzeiten der Kohlekraftwerke sind wieder möglich: „Es gibt keine Denktabus!“

Immerhin, so Habeck: Putins Krieg zeige, dass es echte Energie-Unabhängigkeit nur mit Sonne und Wind gibt. Denn die gehören niemandem.

Lindner mutet der FDP-Basis viel zu

Finanzminister Christian Lindner bezeichnet die Erneuerbaren nun als „Freiheitsenergien“. Auch der FDP-Chef mutet seiner liberalen Basis viel zu. Selten zuvor musste ein Finanzminister in solch kurzer Zeit so viele neue Schulden machen: Sondervermögen, Ergänzungshaushalt – Lindners Haushaltspolitik ist so kreativ wie seine Rhetorik. Sein Ministerium nennt Lindner jetzt „Ermöglichungsministerium“.

Lindner habe einen engeren Draht zu Scholz als Vizekanzler Habeck, meinen politische Beobachter in Berlin. Unklar ist, ob der Kanzler das 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr nur mit Lindner vorbesprochen hat, oder auch mit Habeck.

Baerbock ist angekommen

Außenpolitisch stimmt sich Scholz eng mit Außenministerin Annalena Baerbock ab. Selbst Kritiker loben, wie schnell die grüne Außenministerin in ihrem neuen Amt angekommen ist. Russlands Außenminister Sergej Lawrow begegnete sie noch vor Kriegsbeginn selbstbewusst und redete Klartext: „In den letzten Wochen haben sich mehr als 100.000 russische Soldaten mit Panzern und Geschützen in der Nähe der Ukraine versammelt. Und es ist schwer, das nicht als Drohung zu verstehen.“

Baerbock ist es, die nach 100 Tagen Ampel in den Meinungsumfragen den größten Sprung nach oben gemacht hat. Auch die Zufriedenheit mit Bundeskanzler Scholz und der Arbeit der Ampel-Koalition ist seit Kriegsbeginn gestiegen. Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger unterstützt die Maßnahmen gegen Russland – noch jedenfalls. Denn wenn die Energie- und Spritpreise weiter steigen, könnte die Stimmung schnell kippen. Und auch die Geschlossenheit innerhalb der Ampel-Parteien dürfte dann Risse bekommen.

EU-Pläne für Atom- und Gasenergie Belastungsprobe für die Ampel

Die EU will Atomkraft und Erdgas als nachhaltig einstufen. Die Pläne könnten die Ampel auf die Probe stellen.

„Rechtlich nicht bindend“

Lemke räumte ein, dass die Stellungnahme der Bundesregierung für die Kommission „rechtlich nicht bindend“ sei. Zugleich unterstrich die Bundesumweltministerin, dass die Taxonomie, „wenn Atomkraft aufgenommen wird, ihr eigentliches Ziel, Finanzströme in der Zukunft in nachhaltige Energieform zu lenken, verfehlen wird“.

Falls die Kommission an ihrer Entscheidung festhalte, werde sie deutlich machen, „dass dieses Siegel dann keines ist, dass unwidersprochen Nachhaltigkeit für sich reklamieren kann“.

Bundesumweltministerin Lemke kündigt Nein zu EU-Atomplänen an

Die Umweltministerin räumt ein, dass das Nein aus Berlin für die EU rechtlich nicht bindend ist.

„Ich bin nicht Minister geworden, um möglichst vier Jahre nichts zu tun, und nichts zu riskieren“, sagte Habeck schon im Januar. Das Risiko ist groß, dass auch der Klimaschutz durch den Krieg unter die Räder kommt. Aber für den Klimaschutz steckt in dieser Krise auch eine Chance. Wie das am Ende ausgeht, darüber könnten die Entscheidungen der nächsten 100 Tage bestimmen.