Corona-Impfstoffe verändern die DNA? Das sagen die Experten zur Aufreger-Theorie
19. November 2020Zwei Pharmaunternehmen melden vielversprechende Zwischenerfolge auf der Suche nach einem Corona-Impfstoff. Noch sind beide Kandidaten nicht zugelassen. Doch Impfgegner verbreiten schon jetzt Falschinformationen über deren Wirkung.
Die Reaktionen waren überschwänglich, als die potenziellen Corona-Impfstoffhersteller Biontech und Moderna ihre Zwischenergebnisse der entscheidenden Testphase präsentierten. Mediziner weltweit sprachen von einem Durchbruch. Bis die Corona-Beschränkungen fallen können, würde es zwar in jedem Fall noch Monaten dauern; die anstehenden Wintermonate werden hart, die Intensivstationen voll. Aber zumindest im kommenden Jahr könnten die Impfstoffe zum entscheidenden Gamechanger der Pandemie werden.
Verschwörungstheoretiker und Impfgegner allerdings opponieren schon jetzt gegen eine mögliche Zulassung der Präparate. Die Begründung: Die verwendete Impftechnologie sei neu und unerprobt und verändere die DNA des Menschen. Das könne Krebs und Autoimmunerkrankungen auslösen.
Die Impfstoff-Thesen im Check
Zudem macht viele die enorme Geschwindigkeit skeptisch, mit der es jetzt gelungen sein soll, einen wirksamen Impfstoff gegen den Corona-Erreger zu finden. Ein Prozess, der sonst mindestens mehrere Jahre benötigt, und nun in nur wenigen Monaten ablaufe, könne nur in einem unsicheren Impfstoff mit nicht einschätzbaren Nebenwirkungen münden, argumentieren sie.
FOCUS Online hat diese Thesen mit Virologe Friedemann Weber und Infektiologe Christoph Spinner gegengecheckt. Angst vor Genveränderungen durch den Corona-Impfstoff muss demnach niemand haben. Die wichtigsten Fragen im Wissenschafts-Check.
1. Verändern die jetzt entwickelten Impfstoffe von Biontech und Moderna die menschliche DNA?
„Hierfür gibt es bislang keinerlei Hinweise“, sagt Infektiologe Christoph Spinner. Zwar würde bei den Impfstoffkandidaten in beiden Fällen Erbinformation in Form sogenannter mRNA injiziert. „Diese Information integriert sich jedoch nicht in das menschliche Erbgut, sondern fungiert als vorübergehende Bauanleitung von Virusbestandteilen, um das Immunsystem zu trainieren.“
Und auch Virologe Friedemann Weber erklärt: „Dass ein mRNA-Impfstoff das menschliche Erbgut verändert, ist extrem unwahrscheinlich.“
2. Wie funktionieren die neuen Corona-Impfstoffe?
Die Impfstoffe von Biontech und Moderna basieren beide auf der sogenannten mRNA-Methode. Wissenschaftler forschen an diesem Ansatz bereits seit zwanzig Jahren, ursprünglich stammt er aus der Krebstherapie.
Vereinfacht gesagt, wird dabei ein Bauplan für bestimmte Eiweißteile in den Körper eingespeist – im Fall von Corona ein spezifisches Molekül, das im Sars-CoV-2-Erreger vorkommt. „Dadurch wird dem Körper vorgespielt, dass das Virus im Körper ist und er bildet Antikörper“, erklärt Virologe Weber.
„Tatsächlich ist es aber nur ein ungefährliches Protein, nicht das Virus selbst, gegen das der Körper ankämpft. Gelangt der Erreger zu einem späteren Zeitpunkt dann aber wirklich in die Zellen, hat der Körper schon die nötige Immunabwehr aufgebaut und kann das Virus ohne Erkrankung direkt inaktivieren.“ Diesen Mechanismus erachten Wissenschaftler als extrem effektiv bei der Vermeidung von Infektionskrankheiten.
3. Warum gibt es dann noch keinen zugelassenen mRNA-Impfstoff?
Dass bisher kein Medikament oder Impfstoff auf mRNA-Basis zugelassen ist, liegt weniger an der Wirksamkeit des Verfahrens. „Die hätte Ihnen schon vor zehn Jahren jeder Molekularbiologe bescheinigt“, sagt Weber, der das Institut für Virologie an der Universität Gießen leitet.
Aber die Herstellung von mRNA-Präparaten sei technisch extrem aufwändig, ihre Haltbarkeit gering, die Anfälligkeit für störende Umwelteinflüsse immens, der Transport etwa in Arztpraxen oder Kliniken kompliziert, erklärt der Experte weiter. Die Ressourcen dafür hätten bislang gefehlt. „Aber je größer die Not und die Hoffnung auf Linderung durch ein Präparat, desto mehr Geld fließt bekanntlich. Durch die Pandemie war der Druck offensichtlich so groß, dass so viele Mittel wie noch nie in die Entwicklung geflossen sind und jetzt vermutlich erstmals zu einer Beantragung der Zulassung führen werden.“
4. Was macht die Herstellung und den Transport so kompliziert?
Unter anderem die chemischen Eigenschaften der mRNA-Moleküle. Weber erklärt: „RNA-Proteine sind extrem instabil und empfindlich. Schon kleinste Aerosole, die beim Sprechen entstehen, zerstören sie.“ Zudem müssen enorme Kühlketten eingehalten werden, Spezialkühlschränke die Präparate teilweise auf bis zu 70 Grad minus herunterkühlen.
Für die Herstellung der spezifischen mRNAs bedarf es darüber hinaus hochtechnisierter Gerätschaften. In Anschaffung und Unterhalt bedeuten sie für Firmen und Labore enorme Kosten.
5. Ist der Impfstoff durch die schnelle Entwicklung unsicher – und wie wirksam schützt er vor Corona?
Wenngleich die Schritte des Testverfahrens der Impfstoffe momentan so schnell ablaufen wie nie, wird keine Phase übersprungen. Vielmehr laufen sie zeitlich verschränkt und damit teilweise parallel ab. Bedenken, dass die Präparate durch die kurze Entwicklungsphase gefährlich oder nebenwirkungsreich sein könnten, halten Experten deshalb für unbegründet. „Es werden alle regulären Verfahrensschritte eingehalten“, bestätigt Virologe Weber.
Ob der Impfstoff Langzeitfolgen bewirken kann, müssten weitere Studien zeigen, betont er. Bisher aber schienen die entwickelten Impfstoffe sehr sicher. „Dass die mRNA-Impfstoffe Krebs oder Autoimmunerkrankungen auslösen könnten wie manche behaupten, dafür gibt es keine Hinweise.“
Infektiologe Christoph Spinner erklärt: „Den veröffentlichten Informationen zu den bisherigen Impfstudien nach gibt es bei den mRNA-Impfstoffen bisher keine wesentlichen Sicherheitsbedenken oder Nebenwirkungen.“ Bei den Probanden wurden in der Studienphase lediglich leichte Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit registriert.
Ähnlich positiv fällt die Experten-Einschätzung zur Wirksamkeit aus: Die Hersteller geben sie aktuell mit mehr als 90 Prozent an. Dies sei beachtlich, sagt Spinner, und sehr viel höher als etwa bei anderen Impfstoffen gegen Atemwegserkrankungen wie der Influenza-Grippe. Ihre Wirksamkeit liegt bei 50 bis 80 Prozent.
6. Wann könnte der Impfstoff verfügbar sein?
Abschließend ist das bisher nicht zu sagen. Sowohl Biontech als auch Moderna wollen jedoch noch in diesem Jahr eine Eilzulassung für die USA beantragen. Dort laufen Zulassungsprozesse teils deutlich schneller ab als in Europa. Gibt die US-Arzneimittelbehörde FDA dem Antrag statt, könnten aber auch bei uns bereits in wenigen Wochen erste Impfdosen auf den Markt kommen.
„In den nächsten vier Wochen“ sei aber nicht mit einem Impfstoff zu rechnen, wie Gesundheitsminister Spahn erklärte. Bis dahin müssten wichtige organisatorische Fragen geklärt werden, betont Infektiologe Spinner – etwa: Wie kann die Impfung im großen Stil logistisch funktionieren? Wer wird zuerst geimpft, wie die Verteilung danach geregelt?