Folgenschwere Versäumnisse in NRW: Interne Mails belegen zahlreiche Pannen in der Flut-Krisenkommunikation
26. März 2022Der Jahrhundertflut im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen ging eine ganze Reihe von Pannen und Versäumnissen in der Kommunikation voraus. Die Umweltministerin Heinen-Esser etwa räumte ein, sie habe vor der Flutnacht nie mit dem für Katastrophenschutz zuständigen Innenminister Reul telefoniert.
An den Tagen vor der Jahrhundertflut im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen ist es zu zahlreichen Pannen und Versäumnissen in der Krisenkommunikation der Landesregierung gekommen. Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Interne Vermerke und E-Mails aus den Tagen vor und nach der Flut legen offen, wie wichtige Informationen zwischen Behörden nicht weitergeleitet wurden – und wie an der Spitze des Umweltministeriums die Gefahr offenbar unterschätzt wurde.
So verpasste der zuständige Abteilungsleiter im Umweltministerium Stunden vor den Überflutungen eine Telefonkonferenz mit Ministerin Ursula Heinen-Esser. Die Fachreferentin für Hochwasserschutz scheint der Beamte während drei Tagen vor der Flut nicht konsultiert zu haben.
Stattdessen zeigen E-Mails, die der „Süddeutschen Zeitung“ vorliegen, dass sich die Ministerin, der Abteilungsleiter wie auch der Pressesprecher am 14. Juli ausgiebig mit der Planung eines Termins für Ministerpräsident Armin Laschet beschäftigten: Der damalige Kanzlerkandidat von CDU/CSU besuchte am 15. Juli 2021 die schon früh betroffene Stadt Hagen. Heinen-Esser räumte ein, sie habe vor der Flutnacht nie mit dem für Katastrophenschutz zuständigen Innenminister Herbert Reul (CDU) telefoniert.
Nordrhein-Westfalen verfügt über keine Vorhersage-Zentrale für Hochwassergefahren
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) hatte 48 Stunden vor der Katastrophe begonnen, sogenannte „Hydrologische Lageberichte“ (HLB) zu versenden. Diese gingen jedoch nicht an das für Katastrophenschutz zuständige Innenministerium. Auch die bedrohten Städte und Kreise bekamen diese Expertise nie zu sehen. Innerhalb der Bezirksregierung Köln reichten Wasserexperten die HLBs nicht ans Dezernat für Katastrophenschutz weiter.
Bis heute verfügt Nordrhein-Westfalen – anders als zehn andere Bundesländer – über keine Vorhersage-Zentrale für Hochwassergefahren. Ein hochrangiger Mitarbeiter schrieb nach der Flut per E-Mail an Kollegen, die Landesverwaltung biete da „reichlich Angriffsfläche“. Er sei „echt genervt davon, wie schlecht hier im Lanuv an sensiblen Stellen Entscheidungen getroffen werden.“
Mehrere Wetter- und Wasser-Experten beklagten im Ausschuss einhellig, die NRW-Behörden hätten die Bevölkerung früher warnen können. Der Meteorologe Dominik Jung bezeugte, bereits 48 Stunden vor der Flut habe die vom Starkregen betroffene Region „zu 95 Prozent“ festgestanden. Zur „SZ“ sagte Jung: „Das grenzte an fahrlässige Tötung.“