Eilmeldung Top -Thema Bundesregierung Habeck ruft Frühwarnstufe des Notfallplans Gas aus

Eilmeldung Top -Thema Bundesregierung Habeck ruft Frühwarnstufe des Notfallplans Gas aus

30. März 2022 Aus Von ...Linda Gerke
Stand: 30.03.2022 08:36 Uhr
Die Bundesregierung bereitet sich wegen des Gasstreits mit Russland auf eine mögliche Verschlechterung der Gasversorgung vor. Wirtschaftsminister Habeck hat die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Dies diene der Vorsorge.

Wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine und des Streits mit Russland über die Bezahlung für die Gaslieferungen nach Europa hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Dies diene der Vorsorge, sagte Habeck in Berlin. „Wichtig ist zu betonen, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet ist“, fügte er hinzu.


Hintergrund

Notfallplan bei Lieferstopp Wer als Erster auf Gas verzichten müsste

Stand: 30.03.2022 09:03 Uhr
Bei einem Stopp russischer Lieferungen könnte das Gas nicht mehr für alle reichen. Wem dreht der Staat dann den Gashahn zu? Das regelt der Notfallplan Gas. Dessen erste Stufe hat die Bundesregierung nun ausgerufen. Was bedeutet das?
Was passiert, wenn Deutschland ohne Gasimporte aus Russland auskommen muss? Noch sei die Bundesrepublik auf russisches Gas angewiesen, sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Bei einem Embargo drohe ein schwerer Schaden für die Wirtschaft. Dennoch fordern viele Politiker und Wissenschaftler ein Ende der Einfuhren, um dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den Geldhahn zuzudrehen.
In der Bevölkerung wird die Maßnahme offenbar ebenfalls kontrovers diskutiert: Laut ARD-DeutschlandTrend würden 44 Prozent einen sofortigen Stopp der Lieferungen unterstützen, 45 Prozent nicht. Auch dass Russland selbst seine Exporte gen Westen beendet, scheint nicht gänzlich ausgeschlossen. Zwar versicherte Putin bisher, dass die Lieferungen weitergehen. Doch er wies an, keine Zahlungen in Dollar oder Euro mehr zu akzeptieren, sondern nur noch in Rubel. Das lehnten die G7-Staaten bereits ab, woraufhin Russland seine Drohung erneuerte, kein Gas mehr zu liefern.
Ersatz für russisches Gas Was hat Habecks Energie-Reise gebracht?
LNG aus Katar und Fracking-Gas aus den USA – auf seinen Energie-Reisen hat Wirtschaftsminister Habeck versucht, Ersatzquellen für russische Gasimporte zu finden.
Störungen regelt zuerst der Markt
Doch was geschieht im schlimmsten Fall, also wenn das von Deutschland importierte Gas nicht mehr reicht, um den gesamten hiesigen Bedarf zu decken? Wer bekommt dann als Erstes kein Gas mehr?
Das regelt der „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“, der im September 2019 veröffentlicht wurde. Drei Krisenstufen sind in der Verordnung definiert. In der Frühwarnstufe „liegen konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf vor, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt“. Diese erste Stufe wurde am 30. März von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausgerufen.
Der Notfallplan sieht als möglichen nächsten Schritt die zweite Stufe vor, die sogenannte Alarmstufe, in der „eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage“ zwar für solch eine Situation sorgt, der Markt aber noch in der Lage ist, das Problem zu lösen. Der Netzbetreiber regelt die Stabilisierung des Netzes und die Versorgung allein über Angebot und Nachfrage.
Dazu zählen etwa Verträge mit kommerziell vereinbarten Unterbrechungen. Dabei zahlen Unternehmen einen geringeren Betrag an die Betreiber der Gasnetze, die im Gegenzug ihre Lieferungen zur Aufrechterhaltung der Versorgung zeitweise stoppen können. Der Staat greift in diesen beiden Stufen noch nicht ein.
Abschaltung erst in der Notfallphase
Das ändert sich, wenn diese Marktmechanismen nicht mehr greifen oder ausgeschöpft sind. In der Notfallphase herrscht laut Bundesnetzagentur ein akuter Mangel, auf dem Markt wäre kein Gas für den freien Verkauf verfügbar. Dann ist die Abschaltung nicht mehr freiwillig, sondern erfolgt durch den Staat in einer sogenannten „hoheitlichen Zuteilung“. Diese Aufgabe übernimmt die Bundesnetzagentur, die für die Regulierung und die Wettbewerbsaufsicht beim Gas zuständig ist.
Bei einem Stopp der russischen Lieferungen könnte dieser Fall eintreten. Denn Fakt ist: Mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Gases wird bisher aus Russland importiert. Ein Ende der Einfuhren würde die zur Verfügung stehende Menge entsprechend stark verringern. Auch wenn seit Wochen mit anderen möglichen Lieferanten verhandelt wird und mögliche Alternativen geprüft werden, könnte der Wegfall russischer Gasimporte kurzfristig nur teilweise, aber nicht komplett ersetzt werden. Wann die Notfallstufe bei einem solchen Szenario tatsächlich ausgerufen wird, entscheidet die Bundesregierung je nach Lage.
Geschützte Kunden wie Haushalte und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser oder auch Gaskraftwerke, die für die Stromerzeugung erforderlich sind, müssten jedoch zunächst kaum etwas befürchten. „Haushaltskunden unterliegen in einer solchen Situation einem besonderen gesetzlichen Schutz und werden vorrangig versorgt“, heißt es von der Bundesnetzagentur. Dass Verbraucher im kommenden Winter frieren müssen, gilt daher als unwahrscheinlich.
Industrie zuerst betroffen
Die Abschaltungen dürften vor allem die Industrie betreffen, für die im Worst Case nicht mehr viel Gas übrig bleiben könnte. Zahlreiche Wirtschaftsvertreter warnten deshalb in den vergangenen Tagen und Wochen vor einem Verzicht auf russische Lieferungen. Wärmeerzeugung, Mobilität, aber auch die Stromversorgung für die Unternehmen könne derzeit nicht anders gesichert werden, hieß es etwa vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI).
Die Industrie gehört zu den nicht-geschützten Kunden, die nach europäischen Vorgaben als Erste vom Netz genommen werden müssen. In welcher Reihenfolge Branchen und Unternehmen kein Gas mehr bekommen, ist allerdings unklar und im Notfallplan bislang nicht festgelegt.
Aus diesem Grund laufen derzeit Gespräche zwischen den verschiedenen Parteien. „Die Bundesnetzagentur kann bestätigen, dass Gespräche zur Krisenvorbereitung mit der Industrie und der Energiewirtschaft stattfinden“, teilte die Bonner Behörde gegenüber tagesschau.de mit. Anlass sei die Vorbereitung für den Fall unvermeidbarer Abschaltungen der Industrie in einer Gasversorgungskrise.
Befragung der Unternehmen läuft
„Es geht darum, vorbereitet zu sein für einen Fall, von dem wir hoffen, dass er nie eintritt“, sagte der Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller. Details zu den Gesprächen nannte die Behörde nicht. Beobachtern zufolge dürfte es allerdings nicht um eine konkrete Reihenfolge gehen, sondern vor allem um die Minimierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgeschäden.
Kriterien bei solchen Überlegungen sind die Möglichkeiten zur Umstellung auf einen alternativen Brennstoff und zur Reduzierung des Verbrauchs sowie die Systemrelevanz der jeweiligen Branche. Auch die notwendige Vorlaufzeit und Fragen in der Gasnetztechnik spielen eine Rolle. Zu all diesen Aspekten werden aktuell Unternehmen befragt. Diese zeigen sich offen: Nach einer Umfrage des SPD-Wirtschaftsforums halten zwei Drittel der 175 befragten Firmen die Festlegung einer Reihenfolge für eine sinnvolle Maßnahme.
Für die kommenden Monate dürfte die Gasversorgung laut Experten dank Speicherständen und mit Blick auf mögliche andere Bezugsquellen auch bei einem Embargo noch gesichert sein. Im nächsten Winter könnte sich das ändern, wie Habeck zuletzt betonte. Auf dieses Szenario will sich die Bundesregierung schon jetzt vorbereiten – und ihren Notfallplan aktualisieren.

Nach dem Notfallplan gibt es drei Krisenstufen: Frühwarnstufe, Alarmstufe und Notfallstufe. Erst in der Notfallstufe greift der Staat in den Gasmarkt ein. Haushaltskunden wären dann besonders geschützt. Die Frühwarnstufe bedeutet, dass „konkrete, ernstzunehmende und zuverlässige Hinweise“ darauf vorliegen, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt – sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- beziehungsweise Notfallstufe führt.

Bei der Notfallstufe läge eine „erhebliche Störung“ der Gasversorgung vor. Der Staat müsste einschreiten, um insbesondere die Gasversorgung der „geschützten Kunden“ sicherzustellen – das sind etwa private Haushalte, aber auch Krankenhäuser, Feuerwehr und Polizei.

Bundeswirtschaftsminister Habeck ruft Frühwarnstufe des Gas-Notfallsplans aus

Habeck: „Aktuell keine Versorgungsengpässe“

„Es gibt aktuell keine Versorgungsengpässe“, erklärte Habeck. „Dennoch müssen wir die Vorsorgemaßnahmen erhöhen, um für den Fall einer Eskalation seitens Russlands gewappnet zu sein.“ Mit Ausrufung der Frühwarnstufe sei ein Krisenteam zusammengetreten. Dieses Team analysiert und bewertet die Versorgungslage, so dass – wenn nötig – weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit ergriffen werden können.

„Verbrauch so gut wie möglich reduzieren“

Die Gesamtversorgung aller deutschen Gasverbraucher sei aktuell weiter gewährleistet, so das Ministerium. „Dennoch ist ab sofort jeder Gasverbraucher – von der Wirtschaft bis zu Privathaushalten – auch gehalten, seinen Verbrauch so gut wie möglich zu reduzieren.“

Auch der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, appellierte an Verbraucher und Unternehmen, angesichts einer drohenden Verschlechterung bei der Gasversorgung mitzuhelfen. Ziel sei und bleibe es, eine Verschlechterung der Gasversorgung für Deutschland und Europa durch Einsparungen und Zukäufe zu vermeiden, schrieb Müller auf Twitter.

Die Gasversorger und die Betreiber der Gasleitungen werden verpflichtet, regelmäßig die Lage für die Bundesregierung einzuschätzen. Noch greife der Staat nicht ein. Gashändler und -lieferanten, Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber ergreifen „marktbasierte“ Maßnahmen, um die Gasversorgung aufrechtzuerhalten: Dazu gehören laut Ministerium etwa die Nutzung von Flexibilitäten auf der Beschaffungsseite, der Rückgriff auf Gasspeicher und die Optimierung von Lastflüssen.

Energiewirtschaft begrüßt Ausrufung der Frühwarnstufe

Die Energiewirtschaft begrüßte die Ausrufung der Frühwarnstufe. Dies sei ein wichtiger Schritt, der nun ermögliche, auch auf formalem Weg Vorsorge für eine eventuell mögliche, erhebliche Verschlechterung der Gasversorgungslage zu treffen, sagte die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae. „Obwohl aktuell noch keine Mangellage vorliegt, ist es notwendig, dass alle Beteiligten für den Fall einer Lieferunterbrechung einen klaren Fahrplan zu ihren Rechten und Pflichten haben. Das heißt, wir müssen jetzt die Notfallstufe konkret vorbereiten, denn im Fall einer Lieferunterbrechung muss es schnell gehen.“

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte vergangene Woche verkündet, dass Russland Gas an Deutschland und weitere „unfreundliche Staaten“ nur noch gegen Zahlung in Rubel liefern werde. Dies würde die unter Druck geratene russische Währung stützen.

Die Gruppe der G7-Wirtschaftsmächte, darunter Deutschland, sowie die Europäische Union insgesamt lehnen Zahlungen in Rubel für Gas jedoch ab. Habeck bekräftigte, falls Russland eine Bezahlung der Gasimporte nur noch in Rubel akzeptiere, stelle dies einen Bruch der privaten Lieferverträge dar.