Artenschutz: Wie gefährlich ist die Windkraft für den Rotmilan?

Artenschutz: Wie gefährlich ist die Windkraft für den Rotmilan?

13. April 2022 Aus Von MVP-WEB Team
Stand: 13.04.2022 09:25 Uhr

Für den Rotmilan gilt die Windkraft als Todesursache Nummer Eins. Ein EU-Forschungsprojekt untersucht, woran Rotmilane sterben. Die Erkenntnisse sollen helfen, die Tiere besser zu schützen.

von Franziska Drewes, NDR 1 Radio MV

Er ist ein akrobatischer Flieger, besonders markant sein rostrotes Gefieder und sein tiefgegabelter Schwanz. Der Rotmilan steht auf der Vorwarnliste bedrohter Arten. Besonders die Windkraft wird immer wieder die Todesursachen schlechthin herangezogen. Doch ist das wirklich so? Eine Studie untersucht, woran Rotmilane sterben. Das EU-Forschungsprojekt erhebt Daten über GPS-Sender und wertet diese so umfangreich wie nie zuvor aus.

Sülte: Separate Felder sollen Greifvögel weglenken

Sogenannte Schlagopfer: Immer wieder kollidieren die Greifvögel mit Rotorblättern von Windkraftanlagen, verletzen sich oder sterben.

21 Windräder drehen sich im Wind im kleinen Dorf Sülte bei Schwerin. Der Windpark besteht bereits seit rund 20 Jahren. Irgendwann hat sich in diesem Gebiet ein Rotmilan niedergelassen und einen Horst gebaut. Dieser besteht zwar nicht mehr, dafür greifen noch immer bestimmte Schutzmaßnahmen. In direkter Umgebung befinden sich Ackerflächen, die eine spezielle Aufgabe haben: Sie sollen den Rotmilan vom Windpark weglenken. Auf diesen Feldern werden bestimmte Kleegraskulturen aufgebracht, erzählt Kim Müller, er entwickelt Windparks wie etwa in Sülte beim Schweriner Unternehmen Naturwind. “Die Flächen werden in bestimmten Abständen gemäht, um Kleinsäuger anzuziehen, die dann wiederrum als Nahrung für den Rotmilan dienen.” Schutzmaßnahmen für Windparks, in deren Nähe auch Rotmilane leben, sind gesetzlich vorgeschrieben.

Fressfeinde sind häufigste Todesursache für Rotmilan

Das EU- Forschungsprojekt Life-Eurokite erforscht grenzübergreifend die Todesursachen des Rotmilans. Start war im Dezember 2019. Ein erstes Zwischenergebnis liegt nun vor. Die Daten zeigen, dass Windkraft nicht die Todesursache Nummer Eins ist. Rotmilane sterben vor allem, weil sie von anderen Tieren, wie dem Uhu oder dem Habicht, gefressen werden. Dem folgt der Tod durch Vergiftung. “Es ist wirklich so, dass mehr als ein Viertel der Rotmilane durch illegale menschliche Aktivitäten sterben. Von denen, die gestorben sind, sind zirka 20 Prozent durch Vergiftung gestorben, und zwar durch illegale Vergiftung in Europa und das ist unfassbar”. Der Österreicher Dr. Rainer Raab ist Technischer Manager des groß angelegten Forschungsprojektes. Er erklärt, dass die Greifvögel beispielsweise an Aas fressen, dass zuvor mit Gift illegal präpariert wurde.

Europaweites Forschungsobjekt liefert Zwischenergebnisse

Der Rotmilan ist im Flug an seinem rostrotem Gefieder, dem gegabelten Schwanz und den markanten weißen Flügelfelder leicht zu erkennen.

Der Rotmilan brütet vor allem in Ländern der Europäischen Union. Deshalb misst die EU dem Vogel eine besondere Priorität beim Artenschutz bei und unterstützt das Projekt Life Eurokite auch finanziell. Es gibt weitere Co-Finanzierer und 18 Projektpartner, die europaweit agieren. Mit dabei ist unter anderem das Rotmilanzentrum in Halberstadt. Daten von bislang 1.555 besenderten Rotmilanen werden mehrmals täglich ausgewertet. Als Jungtiere, meist noch im Nest werden sie besendert. Aber auch erwachsene Tiere tragen einen Sender zwischen den Flügeln als eine Art Rucksack, in dem sich ein kleiner GPS-Sender befindet. “Wir schauen zwei- bis dreimal am Tag nach, ob alle Vögel noch am Leben sind. Da gibt es klare Signale, beispielsweise Temperaturabfall, der Vogel könnte tot sein. Stellen wir das fest, wird der Partner im jeweiligen Land informiert. Und innerhalb von wenigen Stunden wird versucht, den Vogel im Freiland zu finden.Der Zoologe und Ornithologe Dr. Rainer Raab erklärt weiter, dass bislang rund 600 tote Rotmilane aufgespürt und im Labor akribisch pathologisch untersucht wurden. Es können Monate vergehen, bis die genaue Todesursache feststeht

Vor allem unerfahrene Rotmilane von Windkraft bedroht

Aus den bereits ausgewerteten Daten geht hervor, dass häufig unerfahrene, junge Rotmilane von Windkraftanlagen erfasst werden. Da Rotmilane Zugvögel sind, fliegen die Tiere mit vier bis zwölf Monate schon längere Strecken. “In diesem Alter haben sie große Probleme. Sie fliegen zum ersten Mal ins Winterquartier oder kommen gerade von dort zurück. Hier passieren die meisten Unfälle aus jetziger Sicht mit jetziger Datenlage.”

Kollisionen im Straßenverkehr, Stromschläge, illegale Abschüsse und Unfälle mit Zügen sind weitere Todesursachen noch vor der Windkraft. Sie landet nach jetzigem Stand auf Platz sieben. Aus dem Zwischenergebnis lesen die Wissenschaftler auch ab, dass sich Rotmilane an Windparks in ihrem eigenen Brutgebiet gewöhnen, sie stellen sich auf diese Anlagen ein. Gelangen die Tiere in die Rotoren, dann sind sie in vielen Fällen jung, geschwächt oder verletzt.

Nach Wildunfällen: Rotmilane kollidieren mit Zügen

Verendetes Wild an Zugstrecken und Straßen ist verlockend für den Rotmilan. Doch auch er selbst läuft dann Gefahr, dem Verkehr zum Opfer zu fallen.

Dieses Zwischenergebnis hat Dr. Rainer Raab besonders überrascht. Nicht wenige der untersuchten Rotmilane sind von einem Zug erfasst worden. Die Forscher haben sich gefragt, wie es zu diesen Unfällen kommt. “Das hängt damit zusammen, dass ein Zug beispielsweise ein Reh überfährt. Das tote Reh liegt dann auf den Bahngleisen. Dann sehen die Greifvögel das Aas, landen, fressen daran und werden selbst vom nächsten Zug getötet.”  Das EU-Forschungsprojekt läuft noch bis Anfang 2027. Es will auch sogenannte Hotspots herausfiltern, Orte, an denen besonders viele Rotmilane sterben, etwa durch ungeschützte Stromleitungen. Im Zuge des Projektes sollen neue Schutzmaßnahmen entwickelt werden. Eine Idee ist, Zugstrecken einzuzäunen, an denen besonders viele Rotmilane sterben.

Künstliche Intelligenz soll Schutz für Vögel bringen

Parallel werden bereits spezielle Kamerasysteme getestet. Sie wurden auch schon erfolgreich in Mecklenburg-Vorpommern erprobt, etwa in Sülte und Plate, erzählt Kim Müller vom Schweriner Unternehmen Naturwind. “Die Systeme senden ein Signal an die Windkraftanlage, wenn sich der Rotmilan in einen gefährdeten Bereich begibt. Dann wird das Windrad abgeschaltet und wenn er wieder wegfliegt, wird es wieder angeschaltet.” Der Schweriner Windparkentwickler geht davon aus, dass diese künstliche Intelligenz noch in diesem Jahr erstmals in Mecklenburg-Vorpommern fest installiert wird. Noch läuft das Genehmigungsverfahren.