Nord Stream 2 und Klimastiftung: SPD schießt gegen Opposition

Nord Stream 2 und Klimastiftung: SPD schießt gegen Opposition

21. April 2022 Aus Von ...Susanne Kimmpert
Stand: 21.04.2022 18:01 Uhr

Der Generalsekretär und Fraktionsvorsitzende der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, Julian Barlen, bezeichnet die aktuelle Kritik an Ministerpräsidentin Schwesig und ihrem Russland-Kurs als „laufende Kampagne“. Barlen äußert in einem internen Schreiben an alle SPD-Mitglieder massive Vorwürfe gegen die Opposition. Derweil erteilte Schwesig Rücktrittsforderungen eine Absage.

Im Anschluss an eine Sitzung der Parteispitze hatte Barlen eine Mail mit dem Betreff „Einschätzung zur aktuellen Situation“ an alle Mitglieder der SPD versandt. In dem Schreiben, das dem NDR vorliegt, wirft er der Opposition in Bund und Land angesichts der massiven Kritik an der Russlandpolitik der SPD im Nordosten vor, ein „Kesseltreiben“ zu veranstalten und Putins Krieg parteipolitisch auszuschlachten. Barlen beklagt unter anderem die „Radikalität und politische Aggressivität der Opposition gegenüber der SPD und unserer Ministerpräsidentin“ und bezeichnet diese als „mehr als befremdlich.“

„Anstatt sich angesichts der Gräuel inmitten Europas und aus Respekt vor den Opfern politisch zu versammeln, sich unterzuhaken und gemeinsam stark für Frieden und ein gutes Miteinander einzutreten, zieht es die Opposition in Bund und Land leider vor, ein regelrechtes Kesseltreiben zu veranstalten. Der Verdacht liegt nahe, dass es wahrhaftig nicht um die Stiftung oder die Ostseepipeline Nordstream 2 geht, sondern Putins Krieg parteipolitisch ausgeschlachtet werden soll. Das empfinde ich als schäbig. Gerade bei der CDU ist es angesichts von 16 Jahren Verantwortung im Kanzleramt und auch am Kabinettstisch in Schwerin vor allem unehrlich und selbstverleugnend.“ SPD-Generalsekretär Julian Barlen

Massive Kritik an CDU und Grünen

Die CDU bezeichnet Barlen in dem Schreiben als unehrlich und selbstverleugnend. Schließlich hätten die Christdemokraten 16 Jahre lang Verantwortung im Kanzleramt und am Kabinettstisch in Schwerin getragen. Die Haltung der CDU sei unglaubwürdig, so Barlen. Die Fakten zur Gründung der umstrittenen Klimastiftung MV, mit der US-Sanktionen gegen am Bau der Ostseepipeline beteiligte Firmen umgangen wurden, hätten transparent auf dem Tisch gelegen. Die Kritik der Grünen bezeichnet Barlen in dem Schreiben als absurd. Außerdem stünden alle Kritikpunkte im Widerspruch zu der überwiegenden, sehr besonnenen und unterstützenden Position der Bevölkerung, die die SPD per Zuschriften erreichen würden, so Barlen. Er wertet in der Mail auch das gute Abschneiden der SPD bei der Landtagswahl in MV im September 2021, wo die Sozialdemokraten auf 39,6 Prozent der Stimmen kamen, als sehr hohe Zustimmung der Bevölkerung zur Russlandpolitik der Landesregierung. „Das sollten alle, die jetzt auf MV einschlagen, wissen“, so der SPD-Politiker.

Barlen skizziert Umstände zur Vorbereitung der Klimastiftung

Barlen geht auch auf die näheren Umstände der juristischen Vorbereitung der Stiftung ein. Aus Akten, die die Landesregierung für Journalisten freigegeben hatte, war hervorgegangen, dass Nord Stream 2 aktiv Einfluss bei der Gestaltung der Stifungssatzung nehmen konnte. So informierte der damalige Energieminister Christian Pegel den damaligen Staatskanzlei-Chef und heutigen Finanzminister Heiko Geue (beide SPD) etwa am 23. November 2020, dass der Nord Stream 2 AG in Sachen Satzung „drei Änderungen am Herzen“ lagen, die er eingefügt habe. Die enge Zusammenarbeit der Landesregierung Nord Stream 2, einem Tochterunternehmen des russischen Staatskonzerns Gazprom, hatte viel Kritik und bundesweit Schlagzeilen ausgelöst.

Ein „normaler Vorgang“?

Barlen räumt in dem aktuellen Brief an alle SPD-Mitgleider ein, dass es möglicherweise „einzelne Anregungen von Nordstream 2“ gegeben habe, die von Pegel übernommen worden sein könnten. Alles in allem habe dieser die Satzung aber „eigenhändig“ zusammengestellt und sich dabei „unterschiedlicher Mustersatzungen und Vorlagen bedient“. Barlen kommt in dem Schreiben zu de

Vorwurf, nicht faktenbasiert über deutsch-russischen Partnerschaftsverein zu berichten

Barlen wirft auch dem NDR vor, im Zuge der Berichterstattung über den Verein „Deutsch-Russische Partnerschaft“ nicht faktenbasiert gearbeitet zu haben. Der NDR hatte berichtet, dass dem 2019 gegründeten Verein, der von Sozialdemokraten auch als „Leuchtturmprojekt der SPD MV“ bezeichnet wird, auch in diesem Jahr noch 350.000 Euro Landeshilfe als Anschubfianzierung ausgezahlt werden sollen. Laut Barlen werden die Mittel vom Strategiefonds ausgegeben, nur der Landtag könne die Zweckbindung der Mittel verändern. „Die Landesregierung hat die Möglichkeit, die Mittel nicht auszureichen. Das wird auch nicht passieren“, so Barlen. Allerdings erwähnt Barlen nicht, dass aus einem Schreiben des SPD-geführten Finanzministeriums an die Staatskanzlei von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) vom 28. März – mehr als vier Wochen nach dem Angriff auf die Ukraine – hervorgeht, dass die Landeshilfe ausgezahlt werden soll.

Liskow: Dachten, es gehe um ein „Materiallager“

CDU-Landeschef Franz-Robert Liskow räumte am Donnerstag bei NDR MV Live ein, dass die Landes-CDU als Koalitionspartner an der Stiftungsplanung beteiligt und der Gründung zugestimmt habe. Dies sei vielleicht „naiv“ gewesen, so Liskow. „Man muss aber ganz klar sagen, dass wir im Vorfeld relativ kurz vorher informiert worden sind, dass diese Stiftung gegründet werden soll.“ Aber die CDU sei im Vorfeld nicht im gesamten Prozess eingeweiht gewesen. „Uns gegenüber wurde immer von einer Art Materiallager gesprochen, um die Sanktionen sozusagen zu umgehen. Dass es dann im Anschluss so gekommen ist, dass aktiv in den Bau der Pipeline eingegriffen wird, das war uns nie bewusst, zu dem Zeitpunkt als diese Stiftung gegründet worden ist.“ Mit Blick auf den geplanten Untersuchungsausschuss sagte Liskow: „Wir haben ein reines Gewissen.“

Schwesig sieht keinen Grund für Rücktritt

Ministerpräsidentin Schwesig sieht wegen der Kritik an ihrer Russlandpolitik keinen Grund für einen Rücktritt, wie sie nach Angaben eines Regierungssprechers am Donnerstag bei einem Treffen der norddeutschen Landesregierungen in Kiel erklärte. „Vor einem halben Jahr gab es eine Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, und die Bürgerinnen und Bürger haben mich mit großer Mehrheit in meinem Amt bestätigt, mit einem starken Bürgervotum“, sagte sie. Auch für Liskow stellt sich diese Frage derzeit nicht. Der geplante Untersuchungsausschuss habe seine Arbeit noch nicht aufgenommen. „Wir kennen die Unterlagen nach wie vor nur aus den Medien.“ Zuerst müsse man die Unterlagen sichten. „Dann muss man auch die Frage nachher beantworten: Sind die Vorwürfe, die im Raum stehen, sind die tatsächlich so, wie sie im Raum stehen? Oder gibt es neue Vorwürfe, gibt es weniger Vorwürfe? Dann muss man diese Frage neu bewerten.“

Grüne: „Hilfeschrei“, der von „großer Nervosität“ zeuge

Anne Shepley, stellvertretende Fraktions-Vorsitzende der Grünen bezeichnete die Kritik Barlens auf Anfrage des NDR als „Zeichen großer Hilflosigkeit“, die die Regierung erfasst habe. „Es wäre so einfach, für Aufklärung zu sorgen, wenn die Ministerpräsidentin und die Landesregierung sich endlich ehrlich machen würden in der Causa Nord Stream 2 und Klimastiftung.“ Stattdessen werde versucht, die engen Verstrickungen mit Russland totzuschweigen. „Der Brandbrief an die Mitglieder kann nur als Hilfeschrei gewertet werden, der von großer Nervosität zeugt.“ Die fortgesetzte Intransparenz werde aber nicht helfen, meint Shepley. „Um die Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern zu schützen, werden wir weiter Antworten auf die drängenden Fragen mit Nachdruck einfordern.“

FDP: „Wagenburgmentalität“ bei der SPD

FDP Landeschef René Donke sprach von „einer Art Wagenburgmentalität“, auf die die SPD-Mitglieder eingeschworen würden. „Weder findet ein Kesseltreiben statt, noch reagiert irgendjemand aggressiv oder radikal, wenn eine Aufklärung und Untersuchung gefordert wird, Personalfragen wurden von uns ja noch nicht einmal gestellt“, so Domke. „Wir reden inzwischen über absurde Vorgänge verschwundener Steuererklärungen, Wissenslücken, wechselseitigen Schuldzuweisungen immer mit dem Hintergrund der Interessen weniger, die aus dieser Pipeline Profit ziehen wollten.“