Das RKI hat untersucht, wie viele der Deutschen bereits geimpft sind oder anderweitig in Kontakt mit dem Coronavirus kamen. Dabei stellten sie fest: Der Großteil hat bereits Antikörper gegen das Virus aufgebaut. Ein Freifahrtsschein für den Herbst ist das aber keineswegs.
Etwa sieben Prozent der Bevölkerung in Deutschland dürften laut einer Modellierung bis Ende März 2022 weder gegen Corona geimpft noch mit dem Virus selbst in Kontakt gekommen sein. Das geht aus einer sogenannten Preprint-Studie von Wissenschaftlern des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin hervor, die noch nicht von externen Fachleuten begutachtet worden ist. Über die Daten, die je nach Altersgruppe und Bundesland variieren, hatte zuvor die „Süddeutsche Zeitung“ (Dienstag) berichtet.
RKI: Unklar, wie gut geschützt Ungeimpfte sind
Die Autoren machen deutlich, dass in der restlichen Bevölkerung kein einheitliches Maß an Schutz anzunehmen ist: Insbesondere für Menschen, die nicht geimpft, aber (meist mit Omikron) infiziert wurden, gebe es noch größere Unsicherheiten mit Blick auf den kommenden Herbst und Winter, etwa weil der Schutz vor schwerer Erkrankung kurzlebiger sein könnte. Nach vollständiger Grundimmunisierung, Booster und Infektion wird hingegen ein längeranhaltender Schutz vor schwerer Erkrankung angenommen.
Für ältere Menschen ab 60 Jahren mit höherem Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs wird ein Anteil von rund vier Prozent ohne jegliche Immunität angegeben. Bei Kindern werden höhere Werte geschätzt – schließlich ist etwa für die Kleineren noch kein Covid-19-Impfstoff verfügbar. Verfasser der Studie ist unter anderem RKI-Chef Lothar Wieler.
Das Team stellt heraus, dass die Ende 2021 aufgekommene Omikron-Variante für besonders viele Infektionen sorgte. Also die Variante, von der Fachleute annehmen, dass eine Infektion keinen so guten Schutz vor anderen Varianten wie Delta mit sich bringt. Wenn man Omikron-Infektionen nicht berücksichtige, könnten laut dem Paper über alle Altersgruppen hinweg noch rund 16 Prozent der Bevölkerung ohne spezifischen Immunschutz sein.
Immunitätslevel der Deutschen war bislang unbekannt
Hintergrund der Modellierung ist, dass das Immunitätslevel in der Bevölkerung bisher nicht genau beziffert werden konnte. Das liegt etwa an unbemerkt verlaufenen Ansteckungen und an Überschneidungen der Gruppen von Genesenen und Geimpften. Auch zu Mehrfach-Infektionen gibt es bisher kaum Daten.
Modellierungen basieren auf einer Reihe von Annahmen und unterliegen damit Unsicherheiten. Faktoren wie das Nachlassen der Immunität und das Aufkommen von Varianten, die dem Immunschutz ausweichen, berücksichtigten die Autoren wegen schwieriger Vorhersagbarkeit nicht.
Was schützt besser: Infektion oder Impfung?
Dass etwa 93 Prozent der Deutschen bereits geimpft oder genesen sind, heißt also nicht, dass sie alle generell geschützt sind. Zudem gibt es Unterschiede zwischen der Immunität Geimpfter und Genesener.
Immer wieder heißt es zwar, wer eine Corona-Infektion durchgemacht habe, sei gut vor einer weiteren Ansteckung geschützt – womöglich sogar besser als durch die Impfung. Dass sich das nicht so pauschalisieren lässt, bestätigt nun auch eine neue Studie, die im Fachblatt „Nature“ erschien.
Wissenschaftler der Universität Freiburg untersuchten die T-Zell-Antwort von Geimpften und Genesenen. Diese Zellen entstehen bei einer Infektion oder Impfung und spielen neben Antikörpern eine wichtige Rolle bei der Abwehr des Coronavirus. Sie sind Teil der zellulären Immunität und bleiben in der Regel länger im Körper als neutralisierende Antikörper. Somit sind sie besonders wichtig, um erneute Infektionen und schwere Verläufe zu verhindern. Das gelingt, indem die T-Zellen das Spike-Protein des Virus, mit dem es in die Körperzellen gelangt, erkennen und bekämpfen.
Die Freiburger Wissenschaftler stellten in ihrer Studie unter anderem drei Dinge fest:
- Genesene bilden zwar T-Zellen, allerdings keine spezifischen, auf das Spike-Protein abgestimmten.
- Geimpfte hingegen bilden eine deutlich breitere Immunantwort, auch spezifische, auf das Spike-Protein abgestimmte T-Zellen.
- Eine Auffrischungsimpfung von Genesenen führt ebenfalls zu einer breiteren Immunantwort.
Je breiter die Immunantwort, desto besser ist in der Regel der Schutz vor einer erneuten Infektion. Sprich: Die Immunantwort durch eine Impfung ist den Freiburger Ergebnissen nach besser als die, die nur durch die Infektion entsteht. Wer genesen ist, sollte sich demnach trotzdem impfen lassen.
Die Daten betonten die Relevanz von mRNA-Impfungen bei der Bekämpfung neu auftretender Corona-Varianten, einschließlich Omikron, schreiben die Forscher. „Das stützt die Notwendigkeit einer Impfung nach Covid“, interpretiert US-Mediziner Eric Topol die Ergebnisse auf Twitter.
„Die Studie legt nahe, dass Impfungen vor neuen Varianten des Coronavirus wahrscheinlich besser schützen als eine durchgemachte Infektion“, schreibt auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf Twitter. Auch Genese profitierten von der Impfung. „Das wird im Herbst wichtig.“