Krieg Tag 85 – Do 19.05.2022 ++ Biden wirbt für NATO-Norderweiterung ++
19. Mai 202213:05 Uhr
Mehr als 50.000 Geflüchtete finden Arbeit in Tschechien
Mehr als 50.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine haben in Tschechien bereits eine Arbeit gefunden. Das ging aus den Zahlen der Arbeitsämter hervor. Die meisten fanden demnach eine Beschäftigung in der Fertigung, im Baugewerbe, im Verkehrswesen und im Dienstleistungsbereich.
Seit dem Beginn der russischen Invasion Ende Februar haben mehr als 348.000 Ukrainer in Tschechien Zuflucht gefunden und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Es wird geschätzt, dass mehr als ein Drittel davon inzwischen wieder in die Heimat zurückgekehrt oder in andere Länder weitergereist sind.
Die Regierung in Prag hat eine Reihe von Verschärfungen beschlossen, die noch vom Parlament gebilligt werden müssen. Wer in einer Flüchtlingsunterkunft versorgt wird, hat künftig keinen Anspruch mehr auf finanzielle Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Krankenversicherung ist für Erwachsene nur noch während der ersten 180 Tage seit der Ankunft kostenlos. Ukrainer, die auch die Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedslandes haben, sollen keine Unterstützung mehr erhalten.
EU-Parlament für Sanktionen gegen Schröder
Das Europaparlament hat sich mit großer Mehrheit für EU-Sanktionen gegen Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgesprochen. Grund ist die anhaltende Tätigkeit des SPD-Politikers für russische Staatsunternehmen wie den Energiekonzern Rosneft, wie aus einer heute in Brüssel angenommenen Resolution hervorgeht.
Der Schritt des Parlaments dürfte den Druck auf die zuständige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und den Außenbeauftragten Josep Borrell erhöhen, einen Vorschlag für die Aufnahme Schröders auf die EU-Sanktionsliste vorzulegen. Sollte dieser dann angenommen werden, könnten in der EU vorhandene Vermögenswerte Schröders eingefroren werden.
Wie wirksam wären Importzölle?
Das geplante EU-Embargo von russischem Öl ist umstritten. Die Bundesregierung prüft auch Importzölle als Alternative. Ein FAQ zur Wirksamkeit und den direkten Folgen beider Maßnahmen.
Hilfswerk fördert Wiederaufbau eines Priesterseminars
Das katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ übernimmt die Kosten für die Instandsetzung eines geplünderten Priesterseminars in der Ukraine. Die römisch-katholische Einrichtung in Worsel am Rand von Kiew war zu Kriegsbeginn von russischen Truppen überfallen und schwer beschädigt worden, wie „Kirche in Not“ mitteilte. Russische Soldaten hätten mindestens zwei Nächte dort verbracht, die Studenten sich in letzter Minute in Sicherheit bringen können.
„Die Soldaten haben alles mitgenommen, was sie finden konnten. Küchengeräte, Waschmaschinen, Computer“, zitierte das Hilfswerk Seminarleiter Ruslan Mychalkow. Sie hätten die Zimmer der Seminaristen durchwühlt und auch einen von Papst Johannes Paul II. gestifteten Kelch gestohlen. Die Kosten für den Wiederaufbau werden auf rund 150.000 Euro geschätzt.
Schülerinnen und Schüler in Münster demonstrieren
Tausende Schülerinnen und Schüler sind in Münster auf die Straße gegangen, um unter dem Motto „Ein Schritt Richtung Frieden“ gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu demonstrieren. Die Jugendlichen trugen Schilder mit selbstgemalten Friedenstauben und „Peace“-Zeichen, wie ein dpa-Reporter berichtete. Eine Polizeisprecherin schätzte, dass rund 3300 Teilnehmer vor Ort waren.
Erdogan bekräftigt Nein zu NATO-Erweiterung
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält am Veto seines Landes gegen die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die NATO einstweilen fest. „Wir haben den Verantwortlichen in der NATO gesagt, dass wir nein zum Beitritt Finnlands und Schwedens sagen werden. Und so werden wir auch weiter verfahren“, sagte Erdogan im Staatssender TRT.
Am Mittwoch hatte die Türkei den Start der Aufnahmegespräche mit beiden nordischen Ländern im NATO-Rat blockiert. Begründet wird dies mit angeblicher Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der syrischen Kurdenmiliz YPG. Finnland und Schweden wollen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in die westliche Militärallianz.
Verpflichtende Gasreserven in der EU
Zur Sicherung der Energieversorgung in der EU müssen Gasspeicher künftig vor dem Winter zu einem Mindestmaß befüllt werden. Vertreter der EU-Staaten und des Europaparlaments einigten sich auf ein entsprechendes Gesetz. Es sieht vor, dass die Gasspeicher in diesem Jahr bis zum 1. November zu 80 Prozent gefüllt werden, und in den kommenden Jahren zum gleichen Stichtag zu 90 Prozent. Die Verpflichtung soll Ende 2025 auslaufen, wie der Rat der EU-Staaten mitteilte.
Die EU-Kommission hatte das Gesetz im März vorgeschlagen, um die Gasversorgung angesichts des Kriegs in der Ukraine zu sichern und Preisausschläge eindämmen. Die EU hat sich vorgenommen, so schnell wie möglich von russischen Energie-Lieferungen loszukommen. In Deutschland gilt bereits seit dem 30. April ein neues Gasspeichergesetz, nach dem die Speicher schon zum 1. November dieses Jahres zu 90 Prozent gefüllt sein müssen.
Moskau: Wirtschaft bricht weniger stark ein
Die russische Wirtschaft wird nach den Worten von Präsidentenberater Maxim Oreschkin in diesem Jahr weit weniger einbrechen als angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt werde um maximal fünf Prozent fallen, sagte Oreschkin. Das Wirtschaftsministerium hatte erst am Dienstag ein Minus von 7,8 Prozent vorausgesagt, nachdem es zuvor sogar einen Einbruch von mehr als zwölf Prozent prognostiziert hatte.
Russland will Öl nun nach Asien liefern
Russland wird von Europa abgewiesenes Öl dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Alexander Nowak zufolge nach Asien und andere Regionen exportieren. Europa müsse das benötigte Öl dann anderswo und teurer beschaffen. Russland werde Exportmärkte finden, der Sektor befände sich nicht in einer Krise.
Ukraine bekräftigt Bedingungen für Waffenruhe
Ein Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Bedingungen seitens der Ukraine für eine Waffenruhe bekräftigt. Mychajlo Podoljak sagte, das Land werde keinen Waffenstillstand akzeptieren, solange die russischen Streitkräfte nicht vollständig aus der Ukraine abgezogen seien. „Bieten Sie uns keinen Waffenstillstand an – das ist ohne einen vollständigen Abzug der russischen Truppen unmöglich“, schrieb Podoljak auf Twitter.
In Anspielung auf ein Friedensabkommen für die Ostukraine aus dem Jahr 2015, das von Frankreich und Deutschland vermittelt und in der belarusischen Hauptstadt Minsk unterzeichnet wurde, schrieb Podoljak: „Die Ukraine hat kein Interesse an einem neuen ‚Minsk‘ und der Wiederaufnahme des Krieges in einigen Jahren.“
Italien: Unabhängigkeit von russischem Gas wohl erst später
Italien wird nach Einschätzung von Regierungschef Mario Draghi länger brauchen als bislang gedacht, um unabhängig von Erdgaslieferungen aus Russland zu werden. Draghi sagte vor dem Senat in Rom, Schätzungen der Regierung gingen von der zweiten Jahreshälfte 2024 aus. Italien ist stark abhängig von russischem Gas – im vergangenen Jahr kamen 40 Prozent der Lieferungen aus Russland.
Der Minister für den ökologischen Umbau in Italien, Roberto Cingolani, hatte im April gesagt, binnen 18 Monaten werde das Land kein russisches Gas mehr benötigen – der Zeitraum wäre im Herbst 2023 verstrichen. Italien versucht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, das Gas aus Russland durch Gas aus anderen Ländern zu ersetzen, etwa aus Algerien.
G7-Entwicklungsminister vereinbaren Bündnis für Ernährungssicherheit
Die Entwicklungsminister der führenden westlichen Industrienationen G7 haben ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit vereinbart. Eine entsprechende Übereinkunft wurde laut dpa beim Treffen der Minister in Berlin erzielt. Erklärtes Ziel des Bündnisses ist es, zusätzliche Finanzierung und eine enge Koordination der Maßnahmen zur Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Diese ist wegen Getreidemangels als Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine gefährdet. Russland blockiert Schiffslieferungen mit Weizen aus der Ukraine, auf die aber viele Staaten in Afrika und Asien angewiesen sind.
Kiew beklagt „zweitklassige Behandlung“ durch „bestimmte“ EU-Länder
Die ukrainische Regierung hat eine klare EU-Beitrittsperspektive gefordert und die Haltung einiger EU-Länder in dem Prozess deutlich kritisiert. Außenminister Kouleba beklagte auf Twitter eine „zweitklassige Behandlung“ durch „bestimmte“ EU-Länder. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuvor in einer Rede im Bundestag Erwartungen gedämpft, dass die Ukraine einen schnelleren EU-Beitrittsprozess durchlaufen könnte: „Dass es auf dem Weg in die EU keine Abkürzungen gibt, ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber den sechs Ländern des westlichen Balkans.“
Montenegro, Serbien, Nordmazedonien und Albanien sind seit vielen Jahren EU-Beitrittskandidaten, Nordmazedonien schon seit 2005. Scholz betonte, dass die EU jetzt liefern müsse, was den Beitrittsprozess dieser Länder angeht. Für Juni kündigte er eine Reise in die Region mit der Botschaft an: „Der westliche Balkan gehört in die Europäische Union.“
Putin-Tochter soll mit Ex-Chef des Münchner Staatsballetts liiert sein
Eine Tochter des russischen Staatschefs Wladimir Putin führte offenbar eine bislang unbekannte Beziehung mit dem Ex-Chef des Münchner Staatsballetts. Darauf deuten eine Reihe von Unterlagen hin, die der russischen Enthüllungsplattform IStories und dem „Spiegel“ vorliegen. Katerina Tichonowa, Putins jüngste eheliche Tochter, reiste demnach zwischen 2017 und 2019 Dutzende Male nach München, wo der russische Starchoreograf Igor Selensky bis heute gemeldet ist. Auf ihren Reisen nutzte sie offenbar einen Zweitpass, der auf den Nachnamen Kuznetsowa ausgestellt ist. Sowohl Tichonowa als auch Selensky ließen „Spiegel“-Anfragen unbeantwortet, berichtet das Blatt.
Der 1969 geborene Russe Selensky galt als einer der erfolgreichsten Balletttänzer Russlands. 2016 wurde er schließlich als Direktor des Bayerischen Staatsballetts berufen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war der als Putin-nah geltende Künstler von seinem Posten zurückgetreten. Als Grund nannte Selensky „private Familienangelegenheiten“. Wo er sich derzeit aufhält, ist unklar. Gegen Putins eheliche Töchter, Marija Worontsowa und Katerina Tichonowa, verhängte die EU Anfang April Sanktionen. Ihr Vermögen wurde eingefroren, zudem gilt ein Einreiseverbot.
Geflüchtete mit guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Ukrainische Geflüchtete haben gute Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt – denn die meisten von ihnen sind gut ausgebildet und hierzulande herrscht ein Mangel an Fachkräften. Wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ergab, haben 93 Prozent der befragten geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainer Abitur oder studiert, 86 Prozent von ihnen waren vor der Flucht vor dem Krieg berufstätig. In Deutschland wiederum fehlen allein rund 15.700 Pflegefachkräfte und 16.000 Erzieherinnen und Erzieher.
Das IW befragte Ende März gut 1900 Menschen aus der Ukraine, die sich zu dem Zeitpunkt maximal zwölf Wochen in Deutschland aufgehalten hatten. Befragt wurden vorwiegend Erwachsene im erwerbstätigen Alter, ganz überwiegend Frauen. Von den Befragten gaben 52 Prozent der Menschen an, in Deutschland arbeiten zu wollen.
Ukraine meldet vier Tote bei russischen Angriffen im Osten
In der Ostukraine haben Angriffe der russischen Streitkräfte nach Behördenangaben vier Zivilisten das Leben gekostet. Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, sagte, die Menschen seien am Vortag getötet worden, als russische Truppen die Stadt Sjewjerodonezk bombardiert hätten. Drei Einwohner seien verletzt worden. Die Kämpfe dauerten auch am Morgen noch an.
Kommandeur der russischen Schwarzmeer-Flotte wohl entlassen
Der Kommandeur der russischen Schwarzmeer-Flotte, Igor Ossipow, ist nach Informationen der britischen Geheimdienste seines Postens enthoben worden. Dies teilte das britische Verteidigungsministerium auf Twitter mit. Die Schwarzmeer-Flotte hatte Mitte April ihr Flaggschiff „Moskwa“ („Moskau“) verloren – nach ukrainischer Darstellung durch Beschuss mit zwei Raketen. Zudem wurde nach britischen Angaben der russische Generalleutnant Sergej Kissel nach erfolglosen Angriffen in der Region Charkiw abgelöst. Von russischer Seite gab es dafür keine Bestätigung.
Über die angebliche Entlassung der beiden hochrangigen Militärs hatte kürzlich schon der ukrainische Geheimdienst berichtet. Zudem war aufgefallen, dass Ossipow am 9. Mai bei der Militärparade zum 77. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Sewastopol auf der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim fehlte.
Moskau: 1730 Kämpfer aus Asow-Stahlwerk haben sich seit Montag ergeben
Mehr als die Hälfte der im Stahlwerk Asowstal eingekesselten ukrainischen Kämpfer sollen das Werk verlassen haben und sich in russischer Kriegsgefangenschaft befinden. Das berichtet die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf den Anführer der pro-russischen Separatisten, Denis Puschilin. Die Ukraine und Russland machen widersprüchliche Angaben darüber, wie viele Kämpfer das Werk verlassen haben. Dass Verteidigungministerium in Moskau teilte mit, dass sich seit Montag 1730 Asowstal-Kämpfer ergeben hätten. Von ukrainischer Seite gab es für diese Zahl weiter keine Bestätigung. Unklar ist weiter auch, ob sich Moskau – wie von Kiew erhofft – auf einen Austausch der Soldaten gegen russische Kriegsgefangene einlässt.
Mehr als 1700 ukrainische Kämpfer verlassen laut russischen Angaben Asow-Stahlwerk
Das Internationale Rote Kreuz registrierte Hunderte ukrainischen Kriegsgefangenen, die das Stahlwerk verlassen hätten. Auf russische und ukrainische Bitte hin habe ein IKRK-Team am Dienstag vor Ort begonnen, bei ukrainischen Kämpfern, die das Stahlwerk verließen, persönliche Daten abzufragen. Darunter seien auch Verwundete. Die Prozedur dient laut IKRK dazu, nachverfolgen zu können, wo sich die Kriegsgefangenen befinden – und sie dabei zu unterstützen, im Kontakt mit ihren Angehörigen zu bleiben. Das IKRK erklärte, es beteilige sich nicht am Transport der Kriegsgefangenen und verwies auf die Verpflichtung aller Vertragsstaaten der Genfer Konventionen, dem Roten Kreuz Zugang zu Kriegsgefangenen zu gewähren.
Bundeswehr fliegt Kriegsverletzte nach Deutschland
Die Bundeswehr fliegt erneut kriegsverletzte Ukrainer aus Polen zur medizinischen Behandlung nach Deutschland. Dazu startete heute das Spezialflugzeug A310 MedEvac in Köln, wie die Luftwaffe auf Twitter mitteilte. Bisher seien 111 Patienten über diesen Weg ausgeflogen worden. Der A310 MedEvac ist die fliegende Intensivstation der Luftwaffe. Verletzte werden in der Luft von Sanitätssoldaten weiterbehandelt. Die Patienten sollten diesmal nach Norddeutschland gebracht werden und in Hamburg landen.
Merz: Müssen Ukraine weiter unterstützen
Oppositionsführer Friedrich Merz sagt der Ukraine weitere Unterstützung zu. „Wir wollen und wir müssen dem Land finanziell und humanitär weiter helfen“, sagt der CDU-Chef im Bundestag. Dazu gehörten auch Waffenlieferungen, „damit dieses Land sein Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann“.
Scholz: „Einen Diktatfrieden wird es nicht geben“
Bundeskanzler Olaf Scholz hat zu einer entschlossenen Verteidigung des Friedens aufgerufen. Krieg sei auch in Europa nicht unvorstellbar geworden, sagte der SPD-Politiker in einer Regierungserklärung im Bundestag. „Frieden ist nur dann selbstverständlich, wenn wir bereit sind, ihn zu verteidigen. Das ist die Lehre, die wir aus Russlands brutalem Angriff auf die Ukraine ziehen.“ Scholz sagte, die EU habe in den vergangenen Jahren unterschiedliche Herausforderungen und Krisen bewältigt. Der Krieg in der unmittelbaren Nachbarschaft sei ohne jeden Zweifel die größte. „In einem aber ähnelt auch diese Krise den vorangegangenen. Einmal mehr erleben wir: Je größer der Druck von außen ist, desto entschlossener und geeinter handelt die Europäische Union.“ Bei vielen Reformen sei nicht zwingend eine Vertragsänderung erforderlich, sagte Scholz zum bevorstehenden EU-Gipfel Ende Juni. Als größtes Mitgliedsland trage Deutschland dabei eine besondere Verantwortung.
Auch der Zusammenhalt des transatlantischen Bündnisses sei eng wie nie, stellte Scholz fest. Er begrüßte die Aufnahme Schweden und Finnlands in die NATO.
Scholz betonte, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, die Ukraine müsse erhalten bleiben. Einen „Diktatfrieden“ für die Ukraine lehnte er ab. Dies würden weder die Ukrainer selbst noch die westliche Welt akzeptieren, sagt Scholz. Erst wenn der russische Präsident Wladimir Putin dies verstehe, seien Friedensverhandlungen möglich. Er verteidigte seine Position hinsichtlich deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine: „Einem brutal angegriffenen Land bei der Vereidigung zu helfen, darin liegt keine Eskalation. Sondern ein Beitrag dazu, den Angriff abzuwehren und damit schnellstmöglich die Gewalt zu beenden.“
Melnyk nennt Kanzleramt „Bremser“ bei Waffenlieferungen
Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, hat der Bundesregierung ein weiteres Mal mangelnde militärische Unterstützung für sein Land vorgeworfen. Zwar habe der Bundestag am 28. April die Lieferung schwerer Waffen beschlossen – aber „seitdem hat die Ukraine keine schweren Waffen aus Deutschland erhalten“, sagte Melnyk den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der schon wiederholt mit kritischen Äußerungen über die Bundesregierung und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgetretene Melnyk sagte, es scheine, „dass die Bundesregierung nicht den Willen hat, uns so schnell wie möglich mit schweren Waffen zu helfen.“ Die Zurückhaltung erklärte er mit einem fehlenden Willen im Kanzleramt: „Auf der Arbeitsebene verschiedener Ministerien – auch des Verteidigungsministeriums – sowie im Bundestag wird auf das Kanzleramt als Bremser verwiesen.“
Lindner stellt Ukraine weitere Hilfen in Aussicht
Bundesfinanzminister Christian Lindner stellt der Ukraine vor dem G7-Treffen in Bonn weitere deutsche Hilfen in Aussicht. Er werde in Kürze eine konkrete Zahl nennen. Die neue Hilfe solle noch in die Bereinigungssitzung im Bundestag zum Haushalt 2022 eingebracht werden. Hier wird spätestens in der Nacht zu Freitag mit einem Ergebnis gerechnet.
Lindner geht davon aus, dass die großen Industrienationen die Ukraine insgesamt mit milliardenschweren Budgethilfen unterstützen werden. Er sei optimistisch, dass man zu einer Einigung komme, sagte der FDP-Politiker. Laut Linder wird der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal zum G7-Treffen zugeschaltet.
25 Millionen Tonnen Weizen in der Ukraine
Schon durch die Klimakrise und die Corona-Pandemie hat sich die Nahrungsmittelknappheit verschärft. Durch den Krieg in der Ukraine droht die die Versorgungslage zu eskalieren. 25 Millionen Tonnen Weizen stecken in der Ukraine fest. Weil Häfen durch den Krieg blockiert sind, wird nun nach anderen Transportmöglichkeiten dringend gesucht. Ein Bericht von Kerstin Breinig.
Japan verdoppelt Finanzhilfe für Ukraine
Japan will seine bereits zugesagten Hilfen für die Ukraine nach Angaben von Ministerpräsident Fumio Kishida auf 600 Millionen Dollar verdoppeln. „Unser Land steht zur Ukraine“, sagt Kishida. Beim Gipfeltreffen zwischen den USA und Japan in der kommenden Woche und einem Treffen der Quad-Gruppe mit Australien und Indien werde Japan seine grundlegende Haltung betonen, die Ukraine zusammen mit anderen Nationen zu unterstützen.
Faeser will russischen Journalisten Aufnahme erleichtern
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will russischen Journalisten angesichts der Repressalien gegen die Medien in deren Heimat den Aufenthalt in Deutschland erleichtern. Die Bundesregierung arbeite an einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das diese Einwanderung erleichtern soll, sagte sie dem „Spiegel“. Auch ein Aufnahmeprogramm sei eine Möglichkeit. Derzeit erfolge eine Abstimmung unter den Parteien der Ampel-Koalition, sagte die Ministerin. Die Bundesregierung wolle noch vor der Sommerpause die Lage für russische Medienschaffende in Deutschland verbessern.
Russische Grenzregion Kursk wirft Ukraine Beschuss vor
Ukrainische Truppen sollen einen Grenzort in der russischen Region Kursk mit Granaten beschossen haben. Das teilte der russische Gouverneur Roman Starowoit auf dem Messengerdienst Telegram mit. Dabei soll mindestens ein Zivilist getötet worden sein. In der Ortschaft Tjotkino sollen eine Alkoholfabrik sowie weiteren Gebäude getroffen worden sein. Von unabhängiger Seite lassen sich diese Angaben nicht überprüfen.
USA und Ukraine werfen Russland in Mariupol Plünderungen und Misshandlungen vor
Die USA haben den russischen Streitkräften schwere Misshandlungen in der umkämpften Hafenstadt Mariupol vorgeworfen. Ein US-Vertreter sagte, die russischen Soldaten hätten ukrainische Beamte dort „verprügelt“ und mit „Stromschlägen“ malträtiert. Außerdem würden sie „Häuser plündern“. Russische Beamte seien „besorgt, dass diese Taten die Einwohner von Mariupol noch mehr zum Widerstand gegen die russische Besatzung anspornen könnten“, sagte er. Die Stadtverwaltung von Mariupol teilte auf Telegram mit, dass die Russen versuchten, den „Handelshafen wieder in Ordnung zu bringen, um Getreide, Metallwaren und andere Produkte im Wert von Millionen Dollar zu exportieren“. Es handle sich um „Diebstahl“.
Unterdessen erklärte die ukrainische Armee dass die „Besatzer 43 Ortschaften in den Regionen Donezk und Luhansk“ angegriffen hätten. Dabei seien „mindestens 15 Zivilisten“ getötet worden. Die Russen versuchen einem Vertreter der Lokalverwaltung zufolge, in der Nähe von Popasna und in Richtung Sjewjerodonezk durchzubrechen. Das US-Institute of War Studies (ISW) sprach in diesem Zusammenhang von der Vorbereitung einer großen Schlacht um Sjewjerodonezk. Durch die Einnahme der Stadt würde der Kreml die De-facto-Kontrolle über die Region Luhansk erlangen.
Geheimdienstinformationen für Ukraine
Westliche Staaten unterstützen die Ukraine bei ihrem Widerstand gegen das russische Militär – und zwar nicht nur mit Waffen, Munition, Ausrüstung, Ausbildung und Hilfsgütern, sondern auch mit geheimdienstlichen Informationen.
USA: Brink einstimmig zur Botschafterin in der Ukraine gewählt
Der US-Senat bestätigt einstimmig die erfahrene Diplomatin Bridget Brink als Botschafterin in der Ukraine. Der Posten war seit drei Jahren unbesetzt. Die aus Michigan stammende Brink spricht Russisch und ist derzeit US-Botschafterin in der Slowakei. Sie ist seit 25 Jahren Diplomatin und hat in Usbekistan und Georgien sowie in verschiedenen leitenden Positionen im Außenministerium und im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses gearbeitet. Die Vereinigten Staaten haben am Mittwoch ihre Auslandsvertretung in Kiew wieder eröffnet. US-Diplomaten verließen die Botschaft fast zwei Wochen vor Beginn der russischen Invasion.
Selenskyj bereitet Ukrainer auf längeren Krieg vor
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bereitet die Bevölkerung seines von Russland angegriffenen Landes auf einen längeren Krieg vor. In seiner Videoansprache vom Abend machte er den Menschen in den russisch besetzten Gebieten im Süden Hoffnung, dass die Ukraine sie befreien werde. „Cherson, Melitopol, Berdjansk, Enerhodar, Mariupol und alle unsere Städte und Gemeinden, die unter Besatzung, unter vorübergehender Besatzung sind, sollen wissen, dass die Ukraine zurückkehren wird‘, sagte er. Wie lange dies dauern werde, hänge von der Lage auf dem Schlachtfeld ab. „Wir versuchen es so schnell wie möglich. Wir sind verpflichtet, die Besatzer zu vertreiben und der Ukraine echte Sicherheit zu garantieren“, sagte er in Kiew.
Selenskyj-Berater: Abweichende Angaben zum Angriff auf russischen Zug
Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj widerspricht der Darstellung ukrainischer Reservisten, sie hätten mit einem Sprengsatz direkt unter einem Waggon einen gepanzerten Zug mit russischen Truppen an Bord in einem besetzten Teil der Ukraine in die Luft gesprengt. „Die Reservisten haben ihn getroffen, obwohl sie den gepanzerten Zug selbst nicht in die Luft gesprengt haben“, sagt Olexij Arestowitsch in einem Video in den sozialen Medien. Es seien die Gleise vor dem Zug gesprengt worden. Die Russen seien „glimpflich davongekommen“. Der Vorfall zeige aber, dass der ukrainische Widerstand die russischen Streitkräfte massiv behindere. Zum Ausmaß der Schäden werden keine Angaben gemacht. Eine Stellungnahme des russischen Verteidigungsministeriums liegt nicht vor.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Selenskyj sagt Opfern der russischen Besatzung Hilfe zu
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat allen Opfern der russischen Besatzung in seinem Land besondere Hilfen des Staates zugesagt. Er habe ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Details nannte er nicht. Die Hilfe gelte auch für „alle Gefangenen des Kreml“, wie er sich ausdrückte, auf der Krim oder im russisch besetzten Teil des Donbass. Selenskyj erinnerte dabei an den 18. Mai 1944, einen wichtigen Gedenktag in der Ukraine. Damals hatte der Sowjetdiktator Josef Stalin die Krimtataren deportieren lassen wegen angeblicher Kollaboration mit der deutschen Besatzung. Bei der Annexion durch Russland 2014 habe eine zweite Welle „alles Freie auf der Halbinsel Krim“ zerstört, sagte der Präsident.
Melnyk: NATO-Beitritt der Ukraine würde Risiko von Atomkrieg senken
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hält einen NATO-Beitritt seines Landes für ebenso schnell umsetzbar wie den von Finnland und Schweden. „Klar ist: Wir wollen schnell in die NATO. Das kann genauso rasch gehen wie im Fall von Schweden oder Finnland. Es bräuchte nur eine rein politische Entscheidung, um die Ukraine zügig ins Bündnis zu integrieren“, sagte Melnyk den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wenn die Ukraine im Bündnis wäre, sinkt das Risiko eines Atomkrieges. Dann würde Putin wissen: Würde die Ukraine mit Nuklearwaffen angegriffen, müsste er mit einem atomaren Gegenschlag rechnen. Das würde ihn davon abhalten.“