Krieg Tag 115 – So 19.06.2022 ++ Gesamte Front im Donbass unter Beschuss ++
19. Juni 2022
Im Donbass im Osten der Ukraine steht die gesamte Front unter schwerem russischen Beschuss, besonders betroffen ist weiterhin Sjewjerodonezk. Moskau meldete die Zerstörung von westlichen Waffen.
- Schwerer Beschuss an der gesamten Front im Donbass
- Die russische Armee rückt wieder auf Charkiw vor
- Ehemalige ukrainische Kommandeure in Mariupol sollen nach Russland gebracht worden sein.
- Selenskyj verspricht Rückeroberung des Südens
- NATO-Generalsekretär Stoltenberg rechnet mit langem Krieg
14:51 Uhr
Ungarn: Gasversorgung aus Russland stabil
Ungarn sieht im Gegensatz zu einigen anderen EU-Staaten keine Einschränkungen seiner Gasversorgung aus Russland. Außenminister Peter Szijjarto sagte in einem Radiointerview, der russische Vizeministerpräsident Alexander Nowak und Gazprom-Chef Alexej Miller hätten ihm zugesichert, dass der russische Staatskonzern seinen Liefervertrag mit Ungarn einhalten werde. Laut Szijjarto läuft die Gasversorgung stabil und ohne Unterbrechungen. Deutschland, Italien und die Slowakei erhalten nach eigenen Angaben seit einigen Tagen nur verringerte Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1.
Ukraine verbietet Musik russischer Künstler
Das ukrainische Parlament hat die Musik von Künstlern mit russischer Staatsbürgerschaft in der Öffentlichkeit verboten. Die Oberste Rada stimmte mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für den Gesetzentwurf, teilte der Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak auf Telegram mit. In der Begründung des Gesetzes hieß es, dass das „musikalische Produkt des Aggressorstaats (Russland) auf separatistische Stimmungen in der Bevölkerung einwirken“ könne. Russische Musik würde die Annahme einer russischen Identität attraktiver machen und ziele auf eine Schwächung des ukrainischen Staates ab. Ausnahmen gelten nur für Künstler, die den russischen Einmarsch in die Ukraine öffentlich verurteilt haben. Zudem wurde der Import und die Verbreitung von Büchern und anderen Printprodukten aus Russland, Belarus und den russisch besetzten Gebieten komplett verboten. Seit 2016 unterlagen Bücher aus Russland bereits einer Zensur.
Donbass: Starker Beschuss an der gesamten Front
Aus dem Donbass im Osten der Ukraine wird entlang der gesamten Frontlinie starker Beschuss gemeldet. Besonders betroffen ist nach wie vor die Stadt Sjewjerodonezk, wie ARD-Korrespondent Vassili Golod berichtet. Russland kontrolliert zwar große Teile, aber nicht die ganze Stadt. Auch die umliegenden Orte stehen unter starkem Beschuss, viele Menschen wurden evakuiert.
Moskau meldet Tötung von 50 hochrangigen Offizieren
Das russische Militär hat nach eigenen Angaben mit einem Raketenangriff einen Führungsgefechtsstand der ukrainischen Streitkräfte mit mehr als 50 hochrangigen Offizieren zerstört. Das sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Andere Raketen hätten eine Eisenbahnstation im Gebiet Dnipropetrowsk getroffen, wo gerade ukrainisches Militär verladen worden sei. Auch im Gebiet Donezk sei eine größere ukrainische Einheit mit Raketen beschossen worden.
Konfliktparteien als QuelleAngaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Papst ruft zu Hilfe für Ukraine auf
Papst Franziskus hat abermals zu Hilfe für die notleidende Bevölkerung im Kriegsland Ukraine aufgerufen. Das ukrainische Volk dürfe nicht vergessen werden, sagte er beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz. Gläubige aus aller Welt forderte er auf, sich selbst zu fragen: „Was kann ich heute für die Bevölkerung in der Ukraine tun?“ Jeder sei angehalten, sich diese Frage im Herzen zu beantworten. Bereits zum Abschluss der Generalaudienz am Mittwoch hatte Franziskus gemahnt, den Krieg in der Ukraine nicht aus dem Blick zu verlieren. Die dortige Bevölkerung erlebe „ein wahres Martyrium“, so der 85-Jährige. „Gewöhnen wir uns nicht daran, als ob der Krieg etwas Fernes wäre.“
Moskau: Westliches Kriegsgerät zerstört
Die russischen Truppen haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau in Charkiw ein Panzer-Reparaturwerk mit Iskander-Raketen beschossen. Zudem seien in Mykolajiw zehn Haubitzen und bis zu zwanzig Militärfahrzeuge zerstört worden. Dieses Kriegsgerät sei in den vergangene zehn Tagen von westlichen Ländern an die Ukraine geliefert worden.
Konfliktparteien als QuelleAngaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Hoffnungen ruhen auf Waffenlieferungen
Den Menschen in der Ukraine ist bewusst, dass der Krieg lange dauern kann, sagt ARD-Korrespondent Vassili Golod. Die Hoffnungen des Landes ruhten auf Waffenlieferungen.
„Den Menschen hier ist bewusst, dass dieser Krieg lange dauern kann“, Vassili Golod, WDR zzt.Kiew, zur Lage in der Ukraine
Analyse: Soldaten leiden unter schweren Gefechten
Nach Ansicht des britischen Verteidigungsministeriums leidet auch die ukrainische Kampfmoral unter den schweren Gefechten im Donbass. „Ukrainische Kräfte haben wahrscheinlich in den vergangenen Wochen unter Desertionen gelitten“, schreibt das Ministerium bei Twitter ohne Angaben zu den Quellen zu machen.
Auf russischer Seite sei das Problem niedriger Moral sogar größer. Seit Beginn des russischen Angriffs hatte es immer wieder Berichte über russische Soldaten gegeben, die Fahnenflucht begingen. „Es gibt weiterhin Fälle, in denen gesamte russische Einheiten Befehle verweigern, und es kommt weiterhin zu bewaffneten Konfrontationen zwischen Offizieren und Soldaten“ so die Mitteilung weiter.
Hintergrund für die niedrige russische Moral seien unter anderem eine als unfähig wahrgenommene Führung, begrenzte Möglichkeiten zur Rotation von der Front, hohe Verluste, Stress, schlechte Logistik und Probleme mit der Bezahlung.
Offenbar erneut Kiew mit Raketen angegriffen
Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist am Morgen erneut Luftalarm ausgelöst worden. Nach offiziellen Angaben schoss die Luftabwehr russische Raketen über der Stadt ab. „Im Stadtbezirk Wyschhorod waren heute Morgen Explosionen zu hören. Die Luftabwehr hat feindliche Flugziele beschossen“, teilte der Militärgouverneur des Gebiets Kiew, Olexij Kuleba, mit.
Seinen Angaben zufolge gab es keine Schäden und Verletzten. Er bat die Kiewer allerdings darum, weiterhin nach dem Luftalarm die Schutzkeller aufzusuchen.
Explosion in ukrainischem Tanklager
Nach russischem Raketenbeschuss ist es in einem Treibstofflager im Osten der Ukraine zu einer oder mehreren Explosionen gekommen. Ein Mensch sei getötet, zwei seien verletzt worden, teilte der Leiter der Regionalverwaltung, Valentyn Resnitschenko, mit. Gestern sollen drei russische Raketen das Lager getroffen haben, danach brachen Brände aus.
Hobbypiloten transportieren Ukraine-Hilfen
Der Transport von Hilfsgütern in die Ukraine über die Straße ist langwierig – viel schneller geht es durch die Luft. Von Mönchengladbach aus bringen Hobbypiloten in ihren kleinen Maschinen Hilfsgüter ins polnisch-ukrainische Grenzgebiet. Auf dem Rückweg sitzen häufig Patienten mit in den Maschinen. WDR-Reporter Rupert Wiederwald hat Piloten getroffen.
10:09 Uhr
Russische Angriffe nahe Charkiw
Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums rücken russische Einheiten erneut auf Charkiw vor. „Russland versucht, aus Charkiw wieder eine Frontstadt zu machen“, sagte Wadym Denysenko, Berater des Ministeriums, im ukrainischen Fernsehen. Die Großstadt im Osten des Landes solle wieder mit Artillerie beschossen werden können.
Auch die Experten des US-Thinktanks Institute for the Study of War berichten von russischen Angriffen nahe Charkiw. Als Motive für den Vormarsch nennen sie allerdings den Umstand, dass sich derzeit russische Versorgungsrouten in Reichweite der ukrainischen Artillerie befinden. Die russische Armee versuche, den Beschuss dieser Routen zu unterbinden.
Gazprom pumpt mehr Erdgas nach Europa
Heute soll wieder mehr russisches Erdgas nach Westeuropa fließen. Nach Angaben des Staatskonzerns Gazprom werden 41,7 Millionen Kubikmeter Gas durch die Pipelines strömen. Gestern waren es demnach 41,4 Millionen Kubikmeter gewesen.
Sjewjerodonezk unter Beschuss
Sjewjerodonezk soll erneut unter schwerem russischem Artillerie- und Raketenbeschuss liegen. Das teilte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, mit. Erneut seien Gebiete rund um die zerstörten Brücken getroffen worden. Über diese Brücken versorgte die ukrainische Armee ihre Einheiten in der Stadt, bevor sie durch russischen Beschuss zerstört wurden.
Kommandeure aus Mariupol sollen in Russland sein
Zwei ukrainische Kommandeure, deren Einheiten in Mariupol gekämpft haben, sollen nach Russland gebracht worden sein. Das meldet die staatliche russische Agentur TASS. Ein Vize-Kommandeur des Azow-Regiments, der Kommandeur der 36. Marineinfanterie Brigade und weitere Offiziere seien „für Ermittlungen“ aus der Region Donetzk abgeholt worden.
Sowohl die Angehörigen des Azow-Regiments als auch die Marineinfanterie leisteten wochenlang im Azow-Stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol erbitterten Widerstand gegen russische Angriffe. Experten gehen von hohen Verlusten auf beiden Seiten aus. Seit der Gefangennahme der ukrainischen Soldaten gibt es kaum Informationen über ihren Verbleib.
Russland rückt bei Sjewjerodonezk vor
Russische Truppen rücken rund um die umkämpfte Stadt Sjewjerodonezk in der Region Luhansk offenbar weiter vor. „Durch Beschuss und die Erstürmung hat der Feind in der Ortschaft Metjolkine einen Teilerfolg erzielt und versucht sich dort festzusetzen“, teilte der ukrainische Generalstab mit.
Metjolkine liegt südöstlich von Sjewjerodonezk. Zuvor hatte bereits der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow erklärt, russische Kräfte hätten die Ortschaft vollständig eingenommen.
Das weitgehend zerstörte Sjewjerodonezk ist offenbar noch immer nicht vollständig unter Kontrolle der russischen Armee, sie hat dort aber militärisch die Oberhand.
Konfliktparteien als QuelleAngaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Selenskyj verspricht Rückeroberung des Südens
Nach der Rückkehr von seiner Reise in den Süden des Landes hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Rückeroberung der von russischen Truppen besetzten Gebiete angekündigt. „Wir werden niemandem den Süden abgeben. Alles, was uns gehört, holen wir zurück“, sagte Selenskyj in einer Videoansprache.
Die Ukraine werde auch den sicheren Zugang zum Meer wiederherstellen, versicherte er. Sein Land werde alles tun, um die Lebensmittelexporte über die Häfen wieder aufzunehmen, sobald dies mit internationaler Hilfe sicher zu bewerkstelligen sei. Sicherer Schiffsverkehr ist im Schwarzen Meer derzeit unmöglich. In den Gewässern vor Odessa sollen Minen liegen, dazu kommt die Kontrolle des Meeres durch die russische Kriegsmarine.
Russische Truppen nahe Krasnopillja zurückgeschlagen
Laut einer Mitteilung des ukrainischen Generalstabs haben ukrainische Streitkräfte russische Truppen in der Nähe der Stadt Krasnopillja zurückgeschlagen. Die russischen Soldaten hätten sich auf einer Aufklärungsmission befunden. Sie hätten schwere Verluste erlitten. Ukrainische Behörden melden zudem, dass in der Nacht Orte weiter westlich in den Regionen Poltawa und Dnipropetrowsk beschossen worden seien.
Johnson fordert zu dauerhafter Unterstützung der Ukraine auf
Der britische Premierminister Boris Johnson hat die westlichen Verbündeten der Ukraine aufgefordert, das Land langfristig zu unterstützen. In einem Gastbeitrag für die “ Sunday Times“ schrieb Johnson, Kiews Unterstützer müssten sicherstellen, dass die Ukraine „die strategische Ausdauer hat, um zu überleben und schließlich zu gewinnen“. Alles werde jetzt davon abhängen, „ob die Ukraine ihre Verteidigungsfähigkeit schneller stärkt, als Russland seine Angriffsfähigkeit erneuert“. Aufgabe der Verbündeten sei es „dafür zu sorgen, dass die Zeit für die Ukraine spielt“.
Johnson formulierte einen Vier-Punkte-Plan für „dauerhafte finanzielle und technische Hilfe“ für die Ukraine. Teile davon sollten „für die kommenden Jahre“ beibehalten und eventuell verstärkt worden. Ausdrücklich warnte Johnson davor, russische Gebietsgewinne in der Ukraine dauerhaft hinzunehmen. Dies dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu ermöglichen, werde die Welt nicht friedlicher machen. Johnson schrieb wörtlich: „Eine solche Farce wäre der größte Sieg für einen Aggressor in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.“
Zivilisten wollen Azot-Chemiewerk offenbar nicht verlassen
Die ukrainischen Zivilisten in Schutzräumen des Chemiewerks Azot in der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk wollen nach Angaben der Gebietsführung nicht evakuiert werden. „Es gibt ständigen Kontakt zu ihnen. Man hat ihnen mehrfach eine Evakuierung angeboten, aber sie wollen nicht“, sagte der Gouverneur des ostukrainischen Gebietes Luhansk, Serhij Hajdaj, am Samstag im Fernsehen. In dem Werk hätten 568 Zivilisten Schutz gesucht, darunter 38 Kinder. Der Ort sei nicht mit dem Stahlwerk Azovstal in der Hafenstadt Mariupol zu vergleichen, sagte Hajdaj. „Das ist keine unterirdische Stadt. Das sind einzelne Notunterkünfte, die getrennt, nicht untereinander verbunden sind.“
Die russische Seite hatte für Mittwoch die Schaffung eines humanitären Korridors angekündigt, durch den Zivilpersonen aus dem Chemiewerk in Sjewjerodonezk auf russisch kontrolliertes Gebiet fliehen sollten. Allerdings misstrauten Ukrainer den russischen Zusagen. Die Russen wiederum warfen ukrainischen Soldaten vor, Zivilisten mit Gewalt an der Flucht zu hindern.
Stoltenberg rechnet mit jahrelangem Krieg
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg rechnet mit einem jahrelangen Krieg in der Ukraine. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass er Jahre dauern könnte“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Deshalb dürfe man nicht nachlassen in der Unterstützung der Ukraine gegen Russland. Die Kosten dafür seien hoch, weil die Militärhilfe teuer sei und die Preise für Energie und Lebensmittel steigen. Aber das sei kein Vergleich zu dem Preis, den die Ukraine jeden Tag mit vielen Menschenleben zahle, sagte Stoltenberg.
Wenn man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht entschieden entgegentrete, „dann bezahlen wir einen viel höheren Preis“. Der NATO-Chef erwartete, dass die Ukraine mit Hilfe weiterer Waffenlieferungen aus dem Westen die russischen Truppen wieder aus dem Donbass vertreiben kann. Das westliche Verteidigungsbündnis werde nicht selbst in die Kämpfe eingreifen. „Wir helfen dem Land, aber wir werden keine NATO-Soldaten in die Ukraine senden.“