„Die Corona-Erklärer“ Großbritannien lässt Impfstoff zu, Deutschland muss weiter warten – das steckt dahinter
2. Dezember 2020
Die britische Aufsichtsbehörde für Arzneimittel hat den von Biontech und Pfizer entwickelten Corona-Impfstoff per Notfallfallgenehmigung zugelassen. Erste Dosen sollen schon in den kommenden Tagen ausgeliefert werden; nächste Woche die ersten Impfungen starten. Großbritannien ist damit das erste Land weltweit, das dem neuartigen mRNA-Impfstoff BNT162b2 eine Zulassung erteilt hat.
Für Deutschland fehlt eine solche Zulassung bisher. Zuständig dafür ist anders als bei den Briten in erster Instanz die Europäische Arzneimittelagentur Ema. Für Großbritannien ist diese Kontrolleinheit seit vergangenem Jahr obsolet. Der Grund: der Brexit. Aufgrund ihres Austritts aus der Europäischen Union ist Großbritannien seit dem 31. Januar nicht mehr an die Ema gebunden. Die Entscheidung über die Zulassung von Arzneimitteln obliegt seither wieder allein den nationalen Behörden.
Großbritannien entscheidet unabhängig von der EU
Von diesem Recht haben die Briten jetzt offenbar sehr schnell Gebrauch gemacht: Die Eilzulassung erfolgte binnen eines Tages. Erst am Dienstag hatten Biontech und Pfizer den offiziellen Zulassungsantrag gestellt und die dafür relevanten Studiendaten bei den Behörden eingereicht.
Der Ema liegen Daten und Antrag ebenfalls vor – allerdings sehen die Regularien der EU eine Notfallgenehmigung wie sie in Großbritannien und auch zum Beispiel in den USA rechtlich möglich ist, nicht vor. Zwar bewertet die Ema das Vakzin von Biontech und Pfizer – genauso wie das Präparat von US-Hersteller Moderna – bereits in Rahmen eines sogenannten „Rolling-Review“-Verfahrens. Das bedeutet, die Beurteilung ihrer Sicherheit und Wirksamkeit hatte bereits begonnen, bevor am Dienstag alle dafür regulär erforderlichen Daten vorgelegen haben. Das soll den Prüfprozess beschleunigen.
EU-Entscheidung über Biontech-Zulassung bis 29. Dezember
Bis er abgeschlossen ist, kann es dennoch noch einige Tage oder sogar Wochen dauern. Denn trotz des insgesamt beschleunigten Verfahrens kann laut EU-Recht keine Prüfphase übersprungen werden, sondern sie lediglich parallel ablaufen. Bis zum 29. Dezember will aber auch die Ema zu einem Ergebnis kommen und, sofern sich alle bisher vielversprechend scheinenden Daten bestätigen, die Zulassung auch für den EU-Markt erteilen. Bis zum 12. Januar soll die Entscheidung über den US-Kandidaten von Moderna fallen.
Hintergrund: RNA-Impfstoffe
RNA-Impfstoffe bestehen aus sogenannter Boten-RNA, auch Messenger-RNA (mRNA) genannt, und nicht wie andere Impfstoffe aus winzigen Viruspartikeln. Diese mRNA wird im Labor hergestellt und enthält eine präzise Bauanleitung für erregerspezifische Antigene. Das sind für den jeweiligen Erreger typische Eiweißstoffe, die eine Immunreaktion im Körper provozieren. Für die Impfung wird die mRNA zunächst in kleinste Transportpartikel verpackt, die dann unter die Haut gespritzt werden. Dort dient sie dem Körper als Kopiervorlage: Der Organismus ist also konfrontiert mit Virus-typischen Antigenen und bildet daraufhin die erwünschten Antikörper, die sich gegen die Antigene des Virus richten.
Der Mechanismus dahinter: Wenn die mRNA-modifizierten Zellen im Impfstoff vorübergehend die Bruchstücke des zu bekämpfenden Virus präsentieren, lernt die Immunabwehr der Geimpften. Im Falle einer tatsächlichen Infektion schützt sie dadurch auch vor dem natürlichen Erreger. Die Folge: Menschen sind immun gegen das Virus.
Wie läuft der Prüfprozess ab?
Die EU-Statuten schreiben allerdings noch eine weitere Genehmigungsschleife vor: Gibt die Ema grünes Licht, muss anschließend auch die Europäische Kommission zustimmen. Sie kann den Impfstoff dann für alle Mitgliedsländer genehmigen. Dieser Schritt soll im Corona-Fall jedoch ebenfalls sehr schnell erfolgen; ein Sprecher der Kommission sprach zuletzt von einer Entscheidung, die binnen weniger Tage denkbar sei. Davor werde Rücksprache mit einem Expertengremium gehalten, in dem alle EU-Staaten vertreten sind. Auch dieses muss mit qualifizierter Mehrheit der Genehmigung zustimmen. Alle Beteiligten hätten aber dasselbe Interesse, dass sichere und wirksame Mittel rasch verfügbar würden, so der Sprecher.
Ist die Genehmigung erteilt, gilt die Zulassung des Corona-Impfstoffs zunächst zeitlich begrenzt. Denn: Relevante Daten etwa zu möglichen Langzeitfolgen oder Unterschieden in der Wirksamkeit bei unterschiedlichen Subgruppen liegen noch nicht vollständig vor. Sie müssen so bald als möglich nachgereicht werden. Dann kann eine Zulassung auch vollumfänglich erteilt werden. Die begrenzte Zulassung ist für ein Jahr gültig. Danach kann sie verlängert werden.
Experten halten Impfstoff für sicher
Bislang halten Experten den mRNA-Impfstoff von Biontech und Pfizer allerdings nicht nur für hochwirksam, sondern auch für sehr sicher. „Den veröffentlichten Informationen zu den bisherigen Impfstudien nach gibt es bei den mRNA-Impfstoffen bisher keine wesentlichen Sicherheitsbedenken oder Nebenwirkungen“, erklärt Infektiologe Christoph Spinner. Bei den Probanden wurden in der Studienphase lediglich leichte Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit registriert.
Virologe Friedemann Weber entkräftet im Gespräch mit FOCUS Online zudem das Gerücht, die mRNA-Impfstoffe nicht nur von Biontech und Pfizer, sondern auch von Moderna würden die menschliche DNA verändern. „Dass ein mRNA-Impfstoff das menschliche Erbgut verändert, ist extrem unwahrscheinlich.“ Mediziner Christoph Spinner sieht dafür ebenfalls „keinerlei Hinweise“. Zwar würde bei den Impfstoffkandidaten in beiden Fällen Erbinformation in Form sogenannter mRNA injiziert. „Diese Information integriert sich jedoch nicht in das menschliche Erbgut, sondern fungiert als vorübergehende Bauanleitung von Virusbestandteilen, um das Immunsystem zu trainieren.“ Eine Zulassung der Impfstoffe wird deshalb auch in der Europäischen Union erwartet.
FOCUS-Online-Serie: „Die Corona-Erklärer“
Die Corona-Pandemie bestimmt auch zehn Monate nach den ersten Fällen in Deutschland weiter das Geschehen auf der Welt. Bei FOCUS Online beantworten Infektiologe und Privatdozent Christoph Spinner, der Professor für Virologie Friedemann Weber und die Vorständin der Deutschen Gesellschaft für Statistik Katharina Schüller gemeinsam mit Gesundheitsredakteurin Kristina Kreisel die wichtigsten Fragen – tagesaktuell, verständlich und wissenschaftlich fundiert.
USA könnten mit Zulassung bald nachziehen
In den USA könnte eine Notfallgenehmigung für den Biontech-Impfstoff bereits kurz bevor stehen: Dort entscheidet ähnlich wie in Großbritannien auch die nationale Arzneimittelbehörde souverän über die Zulassung. Den Antrag darauf hatte Biontech in den USA schon am 20. November gestellt. Am 10. Dezember könnte die Entscheidung fallen. Für den Moderna-Impfstoff wird sie in der Woche darauf erwartet.