Verbreitung des Virus:: Drosten korrigiert drei Corona-Prognosen: Pandemie „könnte noch einige Winter dauern“
1. Juli 2022Das Ende der Corona-Pandemie sehnen die Menschen herbei. Noch zu Beginn des Jahres gab sich Virologe Christian Drosten hoffnungsvoll, dass der Moment 2022 kommt. Nun allerdings rückt dieser in weite Ferne. Wie der Corona-Erklärer jetzt in die Zukunft blickt.
Mit dem bezeichnenden Satz „Ich würde mich tatsächlich gerne korrigieren“ ist das Interview des Charité-Virologen Christian Drosten im „Spiegel“ überschrieben. Das bewegt einige. Denn viele Menschen haben sich auf seine Corona-Prognosen verlassen.
Darum sei gleich zu Beginn eines klargestellt: Es geht hier nicht darum, zu sagen, dass Drosten daneben lag. Vielmehr soll erklärt werden, warum der Experte so manch zentrale Aussage nun revidiert oder spezifiziert und seine Meinung jetzt eine andere ist als noch vor ein paar Monaten. Denn einerseits ist das der normale Prozess im wissenschaftlichen Arbeiten – dass Forschende Erkenntnisse hinzugewinnen. Andererseits ist die Entwicklung des Coronavirus eben nicht vorhersehbar, genauso wenig wie das Verhalten der Menschen oder die Entscheidungen der Politik.
Drosten-Aussage 1: Endemischer Zustand endet noch im Jahr 2022
„Den endemischen Zustand werden wir bis Ende des Jahres erreicht haben, wir sind praktisch da“, sagte Christian Drosten im Januar auf einer Pressekonferenz.
Seit Januar gibt es allerdings wieder neue Omikron-Sublinien. Darum erläutert der Virologe im „Spiegel“-Interview, er würde sich tatsächlich gern korrigieren: „Ich glaube nicht mehr, dass wir Ende des Jahres den Eindruck haben werden, die Pandemie sei vorbei.“
Neue Prognose: Nach wie vor geht Drosten davon aus, dass die Bevölkerungsimmunität durch Impfungen und Infektionen irgendwann so stark sein werde, dass das Virus an Bedeutung verliert. Dann seien wir im endemischen Zustand. Das allerdings „könnte schlimmstenfalls noch einige Winter dauern“.
Warum? Drosten sei damals von bestimmten Grundvoraussetzungen ausgegangen – zum Beispiel, dass es eine konsequente politische Linie in der Pandemiebekämpfung und einen gut wirksamen Update-Impfstoff geben werde und dass sich das Virus nicht mehr groß verändere. „Ansonsten ist es natürlich so, dass der endemische Zustand nicht einfach plötzlich da ist, und wir so etwas wie einen Welt-Endemietag feiern können“, führt der Virologe aus. „Der endemische Zustand, das ist eine Definitionsfrage. Er ist erreicht, wenn immer weniger Menschen die Pandemie im Alltag spüren.“
Drosten-Aussage 2: Update-Impfstoff im zweiten Quartal
„Große Teile der Bevölkerung werden wahrscheinlich im zweiten Quartal mit einer Update Omikron-Impfung immunisiert werden“, sagte Drosten ebenfalls im Januar. Damals gaben sich auch die Hersteller Biontech und Moderna zuversichtlich, was den angepassten Impfstoff angeht. Insofern lag die Zeitplanung natürlich nicht in der Macht des Experten.
Neue Prognose: Nach wie vor erachtet Drosten eine Omikron-Kombi-Impfung für viele Menschen als sinnvoll – jetzt im Herbst. Vorgesehen ist diese Impfung erst ab 70 Jahren. „Aber auch mit 50 und älter kann man einen schweren Verlauf haben“, warnt der Virologe. Auch vierfach Geimpfte werde eine solche Impfung etwas nützen. Eine Gewichtung der Immunität in Richtung Omikron ist damit zu erwarten, und ich vermute, die Wirkung wird besser werden, je größer der Abstand zur vorherigen Impfung ist.“
Warum? Die Geschwindigkeit der Mutationen war unerwartet. „Kaum jemand hat mit so schnellen Veränderungen des Virus gerechnet“, erläutert Drosten. „Als die Alpha-Variante kam, war das für mich sehr überraschend, beim Auftauchen von Delta war ich erst einmal skeptisch, bei Omikron musste man sich dann wieder neu orientieren, und seit Januar gibt es schon wieder neue Omikron-Sublinien.“
Drosten-Aussage 3: Corona-Infektion schützt vor weiterer Infektion
Im Herbst sagte Drosten, früher oder später müsse sich jeder infizieren, und auf der Basis einer Impfung sei das auch zu verantworten. Durch die Infektion würde sich eine Schleimhautimmunität ausbilden, die vor weiteren Infektionen schütze.
Neue Prognose: „Wir sehen tatsächlich schon wieder einen exponentiellen Anstieg der Fallzahlen, die BA.5-Variante ist einfach sehr übertragbar“, sagt der Corona-Experte. Ab September fürchtet er, würden wir sehr hohe Fallzahlen haben. Und ergänzt: „Man sieht in anderen Ländern, dass dann auch die Hospitalisierungs- und Todeszahlen wieder ansteigen; das wird auch bei uns leider so sein. Insgesamt werden aber viel weniger Menschen schwer erkranken und sterben als noch 2021.“
Warum? Gleichzeitig zur starken Ansteckungskraft, entkommt BA.5 mehr noch als BA.1 und BA.2 der Immunantwort (Immun-escape-Variante) und die Menschen verlieren Drosten zufolge ihren Übertragungsschutz aus der letzten Impfung. Geimpfte wie Genesene stecken sich wieder an.
„Leider ist eine Infektion langfristig aber unausweichlich“, gibt der Virologe zu bedenken. „Und nach und nach bildet sich tatsächlich ein schleimhautspezifischer Schutz, von dem ich annehme, dass er die Bevölkerungsimmunität insgesamt belastbarer macht.“ Er gehe davon aus, dass sich da irgendwann ein neues Gleichgewicht einpendelt. Drosten betont in diesem Zusammenhang noch einmal: „Auf gar keinen Fall sollte man sich absichtlich infizieren! Man sollte das weiterhin so gut es geht vermeiden, auch wegen des Risikos von Long-Covid.“