Krieg Tag 151 – Mo 25.07.2022 ++ Selenskyj nennt Gasdrosselung „Terror“ ++
25. Juli 2022++ Selenskyj nennt Gasdrosselung „Terror“ ++
++ Befehlshaber in Ostukraine ausgewechselt ++
++ Ukraine erwartet Getreideexport noch diese Woche ++
++ Kiew erhält erste drei Gepard-Panzer ++
Faeser: BKA verstärkt Zusammenarbeit mit Ukraine
Deutschland will die Zusammenarbeit mit der Ukraine bei der Aufarbeitung russischer Kriegsverbrechen verstärken. Die schon bestehende Kooperation mit dem Bundeskriminalamt (BKA) solle ausgeweitet werden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Hostomel bei Kiew. Die SPD-Politikerin hält sich zusammen mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (ebenfalls SPD) in der Ukraine auf.
Deutsche Waffenlieferungen hätten bei ihren Gesprächen nicht im Vordergrund gestanden, sagte Faeser. „Aber wir wollen natürlich, und das haben wir ja bislang auch getan, auch mit Waffen helfen.“ Heil kündigte „administrative Beratung und Hilfe“ an – zum Beispiel für Ukrainerinnen und Ukrainer, die durch den Krieg ihre Arbeit verloren haben. Außerdem wolle Deutschland dem Land auf dem Weg in die Europäische Union helfen und auch bei der Übernahme europäischer Rechtsetzung beraten, so Heil weiter – beispielsweise in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
183 Religionsstätten zerstört oder beschädigt
Die russische Armee hat laut ukrainischen Angaben seit dem Überfall vor fünf Monaten 183 Kirchen und andere Sakralbauten in dem Land zerstört oder beschädigt. Laut des zuständigen staatlichen Dienstes wurden 173 christliche sowie je fünf islamische und jüdische Religionsstätten attackiert. Am häufigsten trafen die Angreifer demnach Gotteshäuser der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die sich Ende Mai vom Moskauer Patriarchat losgesagt hatte: 127 Bauwerke von ihr seien ganz oder teilweise zerstört worden.
Die meisten betroffenen Religionsstätten befinden sich den Angaben zufolge in den Regionen Donezk, Luhansk, Kiew und Charkiw. Nur in zehn der insgesamt 24 ukrainischen Verwaltungsbezirke seien bislang alle Sakralbauten vom Krieg verschont geblieben.
Nach Angaben der Vereinten Nationen sind in dem Krieg bislang mehr als 5.000 Zivilistinnen und Zivilisten getötet worden. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) geht davon aus, dass die tatsächliche Opferzahl deutlich höher liegt.
Erste drei Gepard-Panzer in Kiew eingetroffen
Laut ukrainischen Angaben ist die erste Lieferung von Flugabwehrpanzern des Typs Gepard aus Deutschland angekommen. „Heute sind offiziell die ersten drei Geparde eingetroffen“, sagte Verteidigungsminister Olexij Resnikow im ukrainischen Fernsehen. Dazu seien auch mehrere Zehntausend Schuss übergeben worden. Die Panzer sollen in der Ukraine zum Schutz von Städten und anderer sogenannter kritischer Infrastruktur eingesetzt werden.
Die deutsche Rüstungsindustrie wollte bis Ende des Monats mit der Lieferung von Flugabwehrpanzern vom Typ Gepard beginnen – es hatte zunächst aber noch an Munition gemangelt. Vor rund zwei Wochen berichtete dann der „Spiegel“ unter Berufung auf Regierungskreise, das Kanzleramt habe zusammen mit dem Verteidigungsministerium in Norwegen einen Hersteller gefunden, der langfristig liefern kann.
Russisches Ministerium meldet Zerstörung von Munitionslager in Bogdanowzy
Die russischen Streitkräfte haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau ein Munitionsdepot in Bogdanowzy in der Region Chmelnyzkji im westlichen Zentrum des Landes zerstört. Dort seien in den USA hergestellte HIMARS-Raketensysteme gelagert gewesen. Unabhängig bestätigen lassen sich die Angaben nicht.
Konfliktparteien als QuelleAngaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Russland: Turbine soll bald in Pipeline Nord Stream 1 eingebaut werden
Nach russischen Angaben wird die gewartete Gas-Turbine bald in die Pipeline Nord Stream 1 eingebaut. Dies werde geschehen, sobald sie aus Kanada zurücktransportiert worden sei, sagt der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, vor der Presse. Dann werde durch Nord Stream 1 Erdgas in „entsprechenden Mengen“ nach Europa geliefert. „Die Turbine wird installiert, nachdem alle Formalitäten abgeschlossen sind. […] Und das Gas wird in den entsprechenden Mengen gepumpt, den Mengen, die technologisch möglich sind.“
Peskow zufolge müssten weitere Anlagen an der Pipeline gewartet werden, und das damit beauftragte Unternehmen Siemens Energy sei sich dessen bewusst. Die Regierung in Moskau sei nicht an einem vollständigen Stopp der Gaslieferungen nach Europa interessiert.
Kreml: Russische Raketenangriffe in Odessa kein Hindernis für Getreideexport
Die russischen Raketenangriffe in der südukrainischen Hafenstadt Odessa sind nach Ansicht der Moskauer Führung kein Hindernis für die Wiederaufnahme der Getreideexporte über das Schwarze Meer. „Dies kann und sollte den Start des Verschiffens nicht beeinträchtigen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Er betonte, dass sich die Raketenangriffe „ausschließlich“ gegen militärische Infrastruktur gerichtet hätten. Sie „stehen nicht im Zusammenhang mit dem Abkommen über den Getreideexport“.
Der Hafen war am Samstag beschossen worden – nur einen Tag, nachdem Vertreter Kiews und Moskaus in Istanbul zwei getrennte, aber inhaltlich identische Abkommen über die Wiederaufnahme des durch den Krieg blockierten Exports von ukrainischem Getreide auf dem Seeweg unterzeichnet hatten.
Russlands Luftfahrt verliert Millionen Passagiere
Die russische Luftfahrtbranche verliert im Zuge des Kriegs gegen die Ukraine Millionen Passagiere. Wie die russische Zeitung „Wedomosti“ unter Berufung auf das Verkehrsministerium berichtete, gibt es allein infolge der von Moskau erlassenen Flugverbote in Südrussland im laufenden Jahr ein Defizit von 19 Millionen Fahrgästen. Das entspreche etwa einem Fünftel der geplanten Gesamtbeförderungszahlen. Die russische Führung hat den Fluggesellschaften Staatshilfen über umgerechnet 1,7 Milliarden Euro zugesagt.
Die Flugbranche ist einer der am schwersten vom Krieg getroffenen Sektoren in Russland. Der Luftraum über Europa und Nordamerika ist für Russland gesperrt. Zudem werden Lieferung und Wartung von Boeing- und Airbus-Maschinen sanktioniert. Diese bilden das Rückgrat der russischen Fluggesellschaften. Moskau hat daher eilig die Umregistrierung vieler Maschinen beschlossen und den Flugverkehr in eine Reihe von Staaten eingestellt.
London: Russische Engpässe wegen beschädigter Fahrzeuge
Russland wird in der Ukraine nach Einschätzung britischer Geheimdienste auch durch die notwendige Reparatur einer großen Zahl beschädigter Kampffahrzeuge ausgebremst. Neben den bereits bekannten personellen Engpässen stelle es Moskau vor Herausforderungen, tausende im Krieg beschädigte Vehikel zu reparieren und instandzuhalten.
Im regelmäßigen Bericht des britischen Verteidigungsministeriums hieß es, am 18. Juli hätten Geheimdienste eine russische Reparaturwerkstatt rund zehn Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt entdeckt, in der mindestens 300 beschädigte Fahrzeuge gestanden hätten – darunter Panzer, andere bewaffnete Fahrzeuge und Lastwagen für die Versorgung.
Netzagentur zufrieden mit Entwicklung der Gasspeicher
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat sich mit dem derzeitigen Fülltempo der deutschen Gasspeicher weitgehend zufrieden gezeigt. Diese befänden sich „endlich wieder auf einem ordentlichen Einspeicherpfad“, schrieb Müller auf Twitter. Der Füllstand habe am Samstag 65,91 Prozent betragen. Zum ersten September gelte es nun, die 75%-Quote zu schaffen.
Während des vorübergehenden Stopps russischer Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 aufgrund von Wartungsarbeiten wurde in Deutschland zwar Gas eingespeichert, allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Um einen Mangel im Winter zu vermeiden, will Deutschland die Speicher so schnell wie möglich füllen. Bis zum 1. November soll ein Stand von 95 Prozent erreicht worden sein.
Kiew meldet anhaltende Kämpfe im Osten des Landes
Russische Truppen haben ukrainischen Angaben zufolge in der Nacht weitere Sturmversuche östlich und südöstlich der Städte Slowjansk und Kramatorsk im ostukrainischen Gebiet Donezk unternommen. „Der Gegner führt einen Angriff unweit von Spirne, die Kampfhandlungen halten an“, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht mit. Gekämpft werde ebenso um Vororte des Verkehrsknotenpunkts Bachmut. In den meisten Fällen seien die Angriffe abgewehrt und die russischen Truppen zurückgeschlagen worden. Unabhängig sind die Angaben nicht zu überprüfen.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert. Bild: ISW/24.07.2022
Zum Kampfgeschehen im Süden des Landes, im Gebiet Cherson, beschränkte sich der Generalstab auf die Meldung schwerer Artilleriegefechte und russischer Luftangriffe. Derweil teilte das Kommando „Süd“ der ukrainischen Streitkräfte mit, bei eigenen Angriffen zwei Munitionsdepots und eine Kommandostelle der russischen Truppen vernichtet zu haben. Auch für diese Angaben gibt es keine unabhängige Bestätigung. Die Ukraine hatte wiederholt eine Offensive zur Rückeroberung der Südukraine angekündigt.
Esken offen für verzögerten Atomausstieg
SPD-Chefin Saskia Esken hat sich offen für eine Verzögerung des Ausstiegs aus der Atomenergie gezeigt. „Wir sind an der Stelle nicht ideologisch unterwegs“, sagte Esken im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Die Bundesregierung prüfe derzeit die Optionen zu einer möglichen Verlängerung der Laufzeiten.
Mit Blick auf die Schulden des Bundes durch Entlastungsmaßnahmen gegen hohe Energiepreise bekräftigte sie, die Schuldenbremse solle auch kommendes Jahr ausgesetzt werden. Zudem sprach sich Esken für eine Steuer auf hohe Vermögen und eine „Übergewinn-Steuer“ für Unternehmen aus, die von der Krise profitiert haben sollen.
Zuvor hatte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen bei Anne Will einen sogenannten Streckbetrieb von Atomkraftwerken in Deutschland über das Jahresende hinaus nicht ausgeschlossen.
Britischer Geheimdienst: „Dilemma“ für russische Kommandeure
In der Ukraine werden nach Informationen des britischen Geheimdienstes die Kämpfe an den Fronten im Süden und Osten des Landes fortgesetzt, ohne dass sich eine Seite durchsetzen kann. Das britische Verteidigungsministerium twitterte, die russischen Kommandeure steckten in dem Dilemma zu entscheiden, ob sie die Offensiv-Kräfte im Osten oder die Abwehr der ukrainischen Offensive im Süden stärken sollten.
Faeser und Heil erstmals in der Ukraine
Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Sozialminister Hubertus Heil (beide SPD) sind zu einem Besuch in der Ukraine angekommen. Zum Auftakt ihrer Reise wollen sie die vom Krieg zerstörte Stadt Irpin besuchen. Der rund 30 Kilometer nordwestlich von Kiew gelegene Vorort der Hauptstadt ist inzwischen weitgehend zerstört und gleicht einer Geisterstadt. Vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs lebten hier rund 50.000 Menschen. Wie in dem nahegelegenen Kiewer Vorort Butscha sollen durch russische Besatzer auch in Irpin schlimme Kriegsverbrechen begangen worden sein.
Von der Leyen mahnt Energiesolidarität an
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert, dass sich auch Länder mit geringer Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen an Einsparanstrengungen beteiligen. „Auch Mitgliedstaaten, die kaum russisches Gas beziehen, können sich den Folgen eines möglichen Lieferstopps in unserem Binnenmarkt nicht entziehen“, sagte von der Leyen der Nachrichtenagentur dpa kurz vor dem Sondertreffen der Energieministerinnen und -minister am Dienstag.
Ziel sei, sich von Entscheidungen des Kremls unabhängig zu machen, so von der Leyen weiter. Er sei kein verlässlicher Partner für die Energieversorgung Europas. Von der Leyen hatte bereits am Mittwoch gesagt, sie halte es für wahrscheinlich, dass Russland die Gaslieferungen in die EU komplett einstellt. Um die Folgen dessen abzufedern, sollen ihr zufolge bis März 15 Prozent des EU-weiten Verbrauchs eingespart werden. Das entspreche 45 Milliarden Kubikmetern Gas.
Auch FDP offen für direkte Panzerlieferungen an Ukraine
Wegen der stockenden Waffenlieferungen in die Ukraine per Ringtausch zeigt sich nun auch die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann offen für die direkte Lieferung deutscher Panzer in das von Russland angegriffene Land. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags räumte ein, dass die osteuropäischen Bündnispartner für ihre Waffenlieferungen in die Ukraine bisher nicht so schnell wie erwartet mit Ersatz hätten ausgestattet werden können. „Wenn das für die Partner problematisch ist, sollten wir den Ringtausch einstellen und direkt an die Ukraine liefern – gegebenenfalls auch den (Kampfpanzer) Leopard 2. Die Zeit drängt“, sagte Strack-Zimmermann der Nachrichtenagentur dpa.
Russland fordert neues Tribunal für Ukraine
Russland will mehr als 200 ukrainische Soldaten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor einem neuen internationalen Tribunal anklagen. Vertreter des Oberkommandos der ukrainischen Streitkräfte sowie Kommandeure hätten die Zivilbevölkerung angegriffen, zitiert die russische Tageszeitung „Rossijskaja Gaseta“ Alexander Bastrykin, den Leiter des russischen Untersuchungsausschusses. Die Ukrainer seien in „Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit verwickelt, die nicht verjähren“. Russland habe 92 Kommandeure und ihre Untergebenen angeklagt und 96 weitere Personen zur Fahndung ausgeschrieben. Das Tribunal werde nach Angaben Russlands von Ländern wie Bolivien, Iran und Syrien unterstützt. Die Vereinigten Staaten und mehr als 40 weitere Länder hatten sich Anfang des Monats darauf verständigt, Ermittlungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine zu koordinieren.
Russlands Außenminister Lawrow zu Besuch im Kongo
Russlands Außenminister Sergej Lawrow ist für die zweite Etappe seiner Afrika-Reise im Kongo angekommen. Sein Flugzeug landete am Sonntagabend auf dem Flughafen von Ollombo, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. Am Montag soll Lawrow laut offiziellem Programm Staatschef Denis Sassou Nguesso treffen. Nguessos Regierung in Brazzaville bezeichnet sich mit Blick auf Russlands Krieg in der Ukraine als „neutral“.
Lawrow hatte seine Afrikareise zuvor in Ägypten begonnen. In Kairo versicherte er seinem ägyptischen Amtskollegen, Sameh Schukri, dass Moskau sich für die Wiederaufnahme von Getreideexporten nach Afrika einsetze. Weitere Reiseziele des russischen Chefdiplomaten in den kommenden Tagen sind Uganda und Äthiopien.