Scholz zu Gasstreit – „Turbine kann jederzeit geliefert werden“

Scholz zu Gasstreit – „Turbine kann jederzeit geliefert werden“

3. August 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 03.08.2022 11:07 Uhr

Nach Angaben von Kanzler Scholz kann die in Mülheim zwischengelagerte Gasturbine jederzeit nach Russland gebracht werden. Die von Gazprom vorgebrachten technischen Gründe seien nicht nachvollziehbar.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat Russland für Verzögerungen beim Rücktransport der in Kanada gewarteten Turbine für die Ostseepipeline Nord Stream 1 verantwortlich gemacht. Die Turbine könne jederzeit nach Russland transportiert werden, sagte Scholz bei einem Werksbesuch bei Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr, wo die Turbine lagert. „Es muss nur jemand sagen: Ich möchte sie haben, dann ist sie ganz schnell da.“

Dem russischen Energieriesen Gazprom, dem Eigentümer der Turbine, warf der Kanzler vor, alle für eine Verringerung der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 vorgebrachten technischen Gründe seien auf einer Faktenbasis nicht nachvollziehbar. „Es ist offensichtlich, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts dem Weitertransport dieser Turbine und ihrem Einbau in Russland entgegensteht“, sagte Scholz. „Sie kann jederzeit transportiert und genutzt werden. Die Reduzierung der Gaslieferungen über Nord Stream 1, die Nichterfüllung der Gaslieferungsverträge, hat keinerlei technische Gründe.“

„Gassanktionen stehen Nutzung nicht entgegen“

Die Turbine sei nicht nur in perfektem Zustand, ihrer Nutzung stünden auch keinerlei Gassanktionen entgegen, so Scholz. Die russischen Abnehmer müssten lediglich mitteilen, dass sie die Turbine auch haben wollen und die nötigen Auskünfte für den Zolltransport nach Russland geben. „Alle anderen Genehmigungen liegen vor.“ Man müsse sich angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine aber bewusst sein, „dass es jederzeit irgendwelche vorgeschobenen, vorgebrachten Gründe geben kann, die dazu führen, dass irgendetwas nicht funktioniert“, sagte Scholz.

Auch der Vorstandschef von Siemens Energy, Christian Bruch, sagte anlässlich des Besuchs von Scholz: „Technisch können wir es aus unserer Sicht nicht nachvollziehen.“ Was die Turbine angehe, so fehle für deren Lieferung nach Russland lediglich eine Anforderung durch Gazprom. Auch sei die in Mülheim auf ihren Weitertransport wartende Turbine nur eine von mehreren dieser Geräte, sagte Bruch weiter. In Russland gebe es „sechs solcher Turbinen plus zwei kleinere“. Für die vollständige Auslastung von Nord Stream 1 seien fünf Turbinen nötig. Derzeit laufe nur eine davon – „deswegen sind wir bei 20 Prozent“ Auslastung der Pipeline, sagte der Siemens-Energy-Chef.

Scholz verteidigt Lieferung

Im Interview mit der kanadischen Zeitung „The Globe and Mail“ hatte Scholz zuvor die Lieferung der Turbine verteidigt, die wegen der Umgehung von Sanktionen umstritten ist. „Mit der Lieferung der Turbine haben wir Putins Bluff auffliegen lassen“, sagte er. „Er kann diesen Vorwand nicht mehr verwenden und keine technischen Gründe mehr für ausbleibende Gaslieferungen ins Feld führen.“

Seit Juni hat Russland die Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 zurückgefahren. Der Energiekonzern Gazprom begründete dies mit einer wegen der Sanktionen fehlenden Turbine von Siemens Energy. Vergangene Woche hatte das Unternehmen unter Verweis auf weitere Reparaturarbeiten die Gaslieferungen noch einmal gedrosselt, so dass inzwischen nur noch 20 Prozent der maximal möglichen Menge durch die Röhren fließen. In Europa gilt die Begründung als Vorwand.

Rohrsysteme in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 und der Übernahmestation der Ferngasleitung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung) sind in Lubmin zu sehen. | dpa

25.07.2022

Nord-Stream-1-Pipeline Gazprom halbiert Gaslieferung

Grund sei die Reparatur einer weiteren Turbine, teilte das Unternehmen mit.

„Kritik an Trudeau entbehrt jeglicher Grundlage“

Den wegen der Turbinenlieferungen unter Druck geratenen kanadischen Premierminister Justin Trudeau nahm Scholz in Schutz. „Für mich entbehrt die Kritik an Justin Trudeau und seiner Regierung jeglicher Grundlage“, sagte er. „Bei der Entscheidung, die Turbine zu liefern, handelt es sich wohl kaum um eine Gefälligkeit gegenüber Gazprom, sondern vielmehr um ein starkes Zeichen der Unterstützung für Deutschland und Europa.“

Scholz kündigte an, demnächst nach Kanada reisen zu wollen. Die kanadische Regierung unter Trudeau habe „einen wirklich großen und weitreichenden Beitrag geleistet“, den Rücktransport der Turbine zu ermöglichen. „Ich bin sehr dankbar und werde das, wenn ich in Kanada sein werde in Kürze, auch noch einmal gegenüber der dortigen Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen“, sagte Scholz. „Das war wirkliche Leadership, was Premierminister Trudeau dort gezeigt hat.“

Die Wartung und Verschiffung der Turbine hatte in den vergangenen Wochen in Kanada für Wirbel und Druck auf Trudeau gesorgt. Ottawa umging mit der Auslieferung seine eigenen Sanktionen gegen Moskau und verärgerte damit auch die ukrainische Führung. Der einflussreiche Weltkongress der Ukrainer, der Ukrainer in aller Welt vertritt, kündigte Mitte Juli sogar eine Klage gegen die Regierung wegen der Rückgabe der Turbine an.

Schröder macht Siemens verantwortlich

Altkanzler Gerhard Schröder macht Siemens für das Fehlen der Turbine verantwortlich. „Die Turbinen, die man braucht, um das Gas überhaupt in die Pipeline zu bringen, kommen von Siemens und müssen regelmäßig gewartet werden“, sagte er dem Magazin „Stern“ und den Sendern RTL/ntv. „Aber Siemens hat die gerade viel debattierte Turbine aus der Wartung in Kanada nach Mülheim an der Ruhr gebracht. Warum sie dort ist und nicht in Russland, verstehe ich nicht.“

Dass gegenwärtig nur ein Fünftel der normalen Gasmenge durch die Pipeline fließen – pro Tag 30 Millionen Kubikmeter – sei technisch bedingt, sagte Schröder weiter. „Es wären schon 60 Millionen, also doppelt so viel, wenn nur Turbine Nummer zwei verfügbar wäre. Das liegt in der Verantwortung von Siemens, wenn ich das richtig sehe.“ Schröder sprach sich zudem für eine Inbetriebnahme der neuen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ausgesprochen. Das wäre „die einfachste Lösung“, sagte er.

Die Drosselung der russischen Gaslieferungen sei seiner Meinung nach nicht politisch motiviert. „Es gibt keine politische Ansage des Kreml, den Gasfluss zu drosseln. Es handelt sich hier vorwiegend um ein technisches und bürokratisches Problem, übrigens eins auf beiden Seiten. Und eine Seite schiebt der anderen den Schwarzen Peter zu.“ Schröder steht seit langem wegen seiner Nähe zu Putin und zur russischen Öl- und Gaswirtschaft in der Kritik.

„Sie lügen einem ins Gesicht“

Die Turbine ist nach Angaben des russischen Energiekonzerns Gazprom wichtig, um den nötigen Druck zum Durchpumpen des Gases aufzubauen. Gazprom hatte seinem Vertragspartner Siemens Energy wiederholt vorgeworfen, nicht die nötigen Dokumente und Informationen zur Reparatur der Maschine übermittelt zu haben. Siemens hat wiederholt die russische Darstellung zurückgewiesen. Der Industriekonzern selbst gibt an, die Turbine jederzeit nach Russland liefern zu können.

Nach Kremlangaben hofft Russland angesichts der gedrosselten Gaslieferungen durch die Pipeline auf eine rasche Rückkehr der reparierten Gasturbine. Die Turbine solle dann in die Gasverdichterstation Portowaja eingebaut werden, danach könnten die Arbeiten für die Wiederinbetriebnahme laufen, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow gesagt.

Nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist die Turbine seit dem 18. Juli in Deutschland. Alle Papiere lägen vor, er habe sie selber in der Hand gehabt, sagte der Grünen-Politiker. Russland aber weigere sich, die Turbine ins eigene Land zu holen. „Sie lügen einem ins Gesicht“, sagte Habeck. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer „Farce“.