Fischsterben in der Oder – Kaum zu ertragen
16. August 2022Fischer sorgen sich um ihre Zukunft, Wirte klagen über leere Tische bei bestem Wetter, Helfer können den Gestank kaum ertragen. Das Fischsterben in der Oder hat dramatische Folgen – nicht nur für das Ökosystem, auch für die Menschen.
Es riecht fischig und faul auf dem Betriebsgelände des Zivil-, Brand- und Katastrophenschutzes im brandenburgischen Seelow. In zehn schwarzen Mülltonnen und vier weiteren Bauschutt-Containern stapeln sich hier Tausende tote Fische – verpackt unter anderem in blauen Plastiksäcken.
„Der Geruch ist unangenehm“, sagt der Sprecher des Kreises Märkisch-Oderland, Thomas Berendt. „Wir wollten natürlich nicht entlang der Deichstrecke den Kadaver offen oder geschlossen liegen lassen.“ Bei 32 Grad hätten sich einige Helfer trotz Masken und Schutzanzügen wegen des Verwesungsgeruchs fast übergeben müssen.
Freiwillige bergen tonnenweise tote Fische
Rund 350 Freiwillige haben nach Angaben des Kreises am vergangenen Wochenende mehr als 30 Tonnen Fisch an der Oder gesammelt. „Wir haben eine große, eine schwierige Situation, eine Extremsituation“, erzählt Landrat Gernot Schmidt bei einem Pressetermin in der Kleinstadt Lebus. Sein Landkreis grenzt auf rund 80 Kilometern an Polen. „Menschen, die an der Oder leben – ob Deutsche oder Polen -, sind über dieses Ereignis hart erschüttert.“ Die Ursache für das Fischsterben sei noch unklar, erklärt der SPD-Politiker. „Die Menschen beidseits der Oder leiden unter dieser Katastrophe.“
Ungewisse Zukunft
Insbesondere Berufsfischern fällt es schwer, leblose Karpfen, Hechte und Zander aus der Oder zu ziehen – inklusive Laichtieren, die für Nachwuchs sorgen sollten. „Traurig“, meint Fischermeister Henry Schneider aus Brieskow-Finkenheerd. „Die Arbeit ist schwer für uns. Und vor allen Dingen, dass man nicht weiß, wie es weitergeht.“
Katja Klemke, die Kämmerin des Amtes Lebus, hatte die Sammelaktion am vergangenen Samstag organisiert. „Lebus steht ja für die Oder“, sagt sie.
Es ist schon mehr als dramatisch. Da muss man dann wirklich schon mit den Tränen kämpfen.
Fische, die seit dem 28. Juli gefangen worden seien, dürften nicht mehr vermarktet werden. Zu dem Zeitpunkt hatten die polnischen Behörden nach eigenen Angaben erstmals von verendeten Fischen in der Oder erfahren.
Im Restaurant „Anglerheim“ in Lebus spürt Inhaber Torsten Neufert schon die Folgen des Fischsterbens. Hier serviert der Koch Gerichte wie die „Lebuser Bouillabaisse“ aus heimischen Fischen und Seefischen mit Muscheln und Krabben.
„Leute, die vorhatten, an der Oder einen schönen Spaziergang zu machen und dann hier einzukehren, haben in nicht kleinen Mengen abgesagt“, erzählt Neufert. Normalerweise sei seine Terrasse mit rund 80 Plätzen Sonntagmittag sonst voll belegt.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat sich in Lebus verärgert über die Informationspolitik der polnischen Behörden gezeigt. Bild: picture alliance/dpa
Politiker fordern, Auslöser zu identifizieren
Nicht nur Einheimische, sondern auch politisch Verantwortliche suchen verzweifelt nach der Ursache für die toten Tiere. „Wir wissen bis jetzt nicht, was genau diese Vergiftungserscheinungen bei den Fischen verursacht hat“, erklärt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke in Lebus. „Es ist für uns natürlich existenziell wichtig – für die weiteren Maßnahmen – zu wissen, was genau passiert ist und ob denn aus diesem Geschehen heraus weiter eine Gefahr besteht für Mensch und Umwelt.“
Der ehemalige Koordinator für die deutsch-polnische Zusammenarbeit kritisiert die polnischen Behörden scharf. „Ich persönlich bin verärgert über das, was wir in den letzten Wochen erlebt haben. Über die Informationspolitik, die eben keine Informationspolitik war – sondern dass Informationen nur kleckerweise gekommen sind oder aber überhaupt nicht“, sagt der SPD-Politiker.
Werte geben Rätsel auf
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte am vergangenen Freitag erklärt, offenbar sei eine riesige Menge an Chemieabfällen in die Oder eingeleitet worden. Polen untersuchten in ihrem Zentrallabor rund 300 Stoffe, sagte Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel in Lebus.
„Wir haben mit der polnischen Seite allerdings feststellen können, dass wir gemeinsame Untersuchungsergebnisse haben – insbesondere eine sehr hohe Salzfracht, einen sehr hohen ph-Wert zwischen acht und 9,2 – die beide schon für sich genommen toxisch wirken können und auch das Fischsterben mit erklären können“, so der Grünen-Politiker. „Wir können aber nicht sagen, wie es zu diesen Werten gekommen ist.“
Politiker, darunter Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD, 3. v. r.), Vertreter von Behörden und Journalisten während eines Pressetermines zur Umweltkatastrophe in Lebus am deutsch-polnischen Grenzfluss Oder. Bild: picture alliance/dpa
Unerklärlich sei auch, warum die Sauerstoffwerte so hoch seien – trotz niedrigen Wassers und hoher Temperaturen von mehr als 25 Grad in der Oder. „Das ist eben auch der Grund, warum wir davon ausgehen, dass es einen Stoff geben muss, der diese Reaktion hervorgerufen hat und nach dem wird jetzt gefahndet“, erklärt Vogel. „Wir stochern hier im Dunkeln.“ Zum gegenwärtigen Zeitpunkt schließe er aus, dass die Fische an Quecksilber gestorben seien.
Brandenburger verbrennen tote Fische
Ministerpräsident Woidke spricht von der größten Umweltkatastrophe an der Oder, an die er sich erinnern könne. Behörden in Brandenburg haben Schleusen schließen lassen, damit sich die mutmaßlich giftige Substanz nicht weiter im Wasser verbreitet.
„Die Hauptvorfluter werden nicht mit Wasser versorgt“, sagt der Landrat des Kreises Märkisch-Oderland über das Oderbruch. Das könne zu Problemen wie Sauerstoffmangel in der Alten Oder und Zuflüssen führen, die noch intakt seien. „Die müssen wir erhalten“, erklärt Landrat Schmidt. „Sodass wir bei den Fischen, die später über die Friedrichsthaler Wasserstraße Zugänge zur Oder haben, kein zweites Fischsterben bekommen.“
Die Oder müsse nämlich wieder besiedelt werden. Heute haben die Katastrophenschützer aus seinem Kreis aber erst einmal tonnenweise tote Fische verbrennen lassen müssen.