Bundespräsident Steinmeier zu Lichtenhagen-Gedenken in Rostock

Bundespräsident Steinmeier zu Lichtenhagen-Gedenken in Rostock

25. August 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 25.08.2022 18:11 Uhr

Zum 30. Jahrestag der ausländerfeindlichen Krawalle in Rostock-Lichtenhagen war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu Gast in Rostock.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war anlässlich der zentralen Feier zum Gedenken an die rassistischen Ausschreitungen im Stadtteil Lichtenhagen vor 30 Jahren in Rostock zu Gast. Zum Auftakt des Gedenkens legte er gemeinsam mit Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen Sonnenblumen nieder. Das Hochhaus stand 1992 im Fokus tagelanger Ausschreitungen. Zur Gedenkstunde im Rostocker Rathaus hielt Steinmeier eine bewegende Rede.

Steinmeier: „Sonnenblumenhaus als Symbol eingebrannt“

„Das Bild vom Sonnenblumenhaus hat sich als Symbol in die Erinnerung unseres Landes eingebrannt. Rostock Lichtenhagen 1992: Das waren die schlimmsten rassistischen Übergriffe in Deutschland bis dahin“, sagte Steinmeier seiner Rede, die er mit einer detaillierten Zusammenfassung der Geschehnisse dieser Augustnacht begann. Während, wie Steinmeier ausführte, die 120 im brennenden Sonnenblumenhaus eingeschlossenen Menschen nur knapp und aus eigener Kraft der Gefahr entkamen, hätten die Täter „angegriffen, weil sie sich ausgeredet hatten, es mit Menschen zu tun zu haben.“ Man käme heute schnell an einen Punkt, an dem jemand sagt, „Was hier passiert ist, war unvorstellbar“. Das sage sich leicht und sei als Gefühl höchst nachvollziehbar, „aber es ist falsch“, mahnte der Bundespräsident in seiner Rede zur Gedenkstunde.

Rostock-Lichtenhagen: „Eine Katastrophe mit Ansage“

Was in Rostock geschah, sei eine „Katastrophe mit Ansage“ gewesen, für die die Politik große Mitverantwortung trage, die man jedoch auch weder als Einzelfall noch losgelöst von den damaligen aktuellen politischen Diskussionen betrachten dürfe. Ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hätte sich das Sonnenblumenhaus schließlich auch deshalb, „weil es dort die Fernsehbilder gab, weil man über Tage, praktisch in Echtzeit, dem Schrecken beiwohnte“, betonte Steinmeier. Auch viele Rostocker hätten sich seitdem gefragt, was die Antwort auf jene Nächte eigentlich sein könne, so Steinmeier weiter, „Ihre Antwort auf den Hass war das Miteinander.“

Nach Lichtenhagen: „Spur rechter Gewalt und rechten Terrors in ganz Deutschland“

Bereits am frühen Nachmittag hatte sich Steinmeier in einer kurzen Rede vor dem Sonnenblumenhaus sichtlich ergriffen gezeigt. Das Sonnenblumenhaus sei vor 30 Jahren ein „Ort schlimmster ausländerfeindlicher Übergriffe“ gewesen und erinnere uns heute als „Mahnmal“ an „Tage der Schande in unserem Land“, so Steinmeier. Es dränge sich deshalb die Frage auf, ob denkbar sei, dass sich so etwas heute wiederholt. „Nach Lichtenhagen haben wir eine Spur rechter Gewalt und rechten Terrors in ganz Deutschland erlebt“, die Orte seien so zahlreich, dass man sie nicht alle aufzählen könne. Die Demokratie müsse deswegen „wehrhaft“ und die „Bürger in einer Demokratie achtsam“ sein.

Gespräche mit Schülerinnen und Schülern

Steinmeiers Besuch in der Hansestadt war eng getaktet. Neben dem Besuch des Sonnenblumenhauses und der Gedenkrede am Donnerstagabens, fand am Nachmittag im Stadtteil- und Begegnungszentrum Lichtenhagen ein Gespräch mit Schülerinnen und Schülern sowie Anwohnerinnen und Anwohnern statt. Daran schloss sich ein Besuch des buddhistisch-vietnamesischen Tempels an.

Tagelange Krawalle im August 1992

Vom 22. bis zum 26. August 1992 hatten Anwohner und Neonazis unter dem Applaus zahlreicher Schaulustiger die im Sonnenblumenhaus untergebrachte Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende und ein Wohnheim für vietnamesische Arbeiter angegriffen und teils in Brand gesetzt. Die Polizei bekam die Lage tagelang nicht unter Kontrolle.

Kontext des Pogroms beachten

Die Politikwissenschaftlerin Gudrun Heinrich von der Universität Rostock betonte bei NDR MV Live, man müsse die Gewalt in Rostock-Lichtenhagen 1992 zwar nicht neu bewerten – sie aber durchaus im Kontext betrachten. Die Ausschreitungen seien die Spitze eines Eisbergs und hätten eine „große Symbolwirkung für den Rassismus und Extremismus der 90er Jahre“. Die Eskalation war ihr zufolge absehbar – aber nicht, in welchem Ausmaß. Heute müsse die Gesellschaft mehr dafür tun, das Thema aufzuarbeiten. „Rassismus ist in viele von uns tief eingegraben und man braucht einen langen Atem in der Auseinandersetzung“, so Heinrich. Die große gesellschaftliche Herausforderung sei es, die Grenzen zwischen einem legitimen Diskurs und antidemokratischen Äußerungen zu finden.