Krieg Tag 191 – Sa 03.09.2022 ++ Gentiloni sieht EU für Gas-Lieferstopp gerüstet ++
3. September 2022++ Gentiloni sieht EU für Gas-Lieferstopp gerüstet ++
++ Zweifel an Gründen für Gas-Lieferstopp ++
++ Gazprom will mehr Gas über Ukraine liefern ++
EU-Wirtschaftskommissar: Moskau soll Verträge einhalten
EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni fordert Russland auf, seine Energieabkommen einzuhalten. „Aber selbst wenn der Einsatz von Energielieferungen als Waffe fortgesetzt wird, ist die EU eingestellt, darauf zu reagieren“, sagt er auf der Wirtschaftskonferenz Ambrosetti Forum in Italien. Als Beleg verweist er auf hohe Gasspeicherbestände und die Pläne zur Energieeinsparung im Winter.
London: Breiter Vormarsch ukrainischer Truppen westlich des Dnipro
Die Ukraine forciert bei ihrer Gegenoffensive in der Region Cherson im Süden des Landes britischen Geheimdiensten zufolge derzeit einen breiten Vormarsch auf drei Achsen westlich des Flusses Dnipro. Diese Offensive habe zwar nur begrenzt unmittelbare Ziele, habe die Russen aber mutmaßlich taktisch überrascht, hieß es in einem Kurzbericht des Verteidigungsministeriums in London. Damit würden logistische Mängel und Schwächen in der Führung der russischen Offensive entlarvt. Russische Kommandeure müssten sich nun entscheiden, auf welche Region sie sich im Blick auf Nachschub und Reservetruppen konzentrieren wollten.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar veröffentlicht die britische Regierung regelmäßig Geheimdienstinformationen zu dessen Verlauf. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.
Polens Grenzschutz zählt sechs Millionen Einreisen aus Ukraine
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der polnische Grenzschutz mehr als sechs Millionen Einreisen aus dem Nachbarland registriert. Am Freitag kamen 22.200 Menschen, wie die Behörde mitteilte. In die umgekehrte Richtung überquerten 25.700 Menschen die Grenze. Damit setzte sich ein Trend der vergangenen Wochen fort: Inzwischen gibt es im Tagesdurchschnitt mehr Rückkehrer als Ausreisende. Polen und die Ukraine verbindet eine mehr als 500 Kilometer lange Grenze. Dies ist zugleich eine der Ostgrenzen der Europäischen Union.
Insgesamt sind seit Kriegsbeginn am 24. Februar 4,2 Millionen von Polen aus in die Ukraine eingereist. Dabei handelte es sich nach Angaben der Behörden zum Großteil um ukrainische Staatsbürger. Es gibt keine offiziellen Angaben, wie viele Kriegsflüchtlinge in Polen geblieben und wie viele in andere EU-Staaten weitergereist sind. Die Ukraine hatte vor dem russischen Einmarsch mehr als 44 Millionen Einwohner.
Gazprom kündigt höhere Gaslieferungen über Ukraine an
Gazprom will nach dem Ausbleiben von Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 mehr Erdgas über eine durch die Ukraine führende Pipeline nach Europa pumpen. Am Samstag sollten 42,7 Millionen Kubikmeter Erdgas durch die Pipeline fließen, kündigte der russische Gasriese an.
Am Freitag waren an der Einfüllstelle Sudscha 41,3 Millionen Kubikmeter Gas registriert worden, die durch die ukrainische Pipeline geliefert wurden. Allerdings reichen die zusätzlichen Mengen nicht aus, um den Ausfall des Gases auszugleichen, das über Nord Stream 1 gepumpt werden sollte.
Freitagabend hatte Gazprom überraschend mitgeteilt, die für Samstag geplante Wiederaufnahme der Gaslieferungen über Nord Stream 1 wegen eines Öllecks bis auf weiteres auszusetzen.
Die Jamal-Pipeline ist eine von drei Hauptleitungen, die auch Deutschland mit Erdgas aus Russland versorgen. Die mehr als 4000 Kilometer lange Pipeline verläuft von den Jamal-Gasfeldern in Sibirien durch Russland, Belarus und Polen bis zum Oderbruch in Brandenburg. Für die deutsche Gasversorgung hat sie allerdings eine geringere Bedeutung als die Pipelines Nord Stream 1 und Transgas.
Laut Kiew mindestens 380 Kinder im Krieg getötet
Seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine vor mehr als einem halben Jahr sind nach Angaben aus Kiew mindestens 380 Kinder getötet worden. Das teilte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft im Nachrichtenkanal Telegram mit. Zudem seien mindestens 737 Kinder in den vergangenen sechs Monaten verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft verwies darauf, dass es sich um vorläufige Zahlen handle. Es sei schwierig, Daten in von Russland besetzten oder umkämpften Gebieten zu erfassen.
Im Gebiet Donezk im Osten habe es mit 388 Opfern die meisten verletzten und getöteten Kinder gegeben, gefolgt vom Gebiet Charkiw (204). Ferner seien insgesamt 2328 Bildungseinrichtungen durch Bomben oder Beschuss beschädigt worden. 289 davon seien völlig zerstört worden. Die Behörde machte Russland dafür verantwortlich.
Makejew wird neuer ukrainischer Botschafter in Berlin
Nach der Abberufung des umstrittenen Botschafters Andrij Melnyk steht nun fest, wer die Ukraine künftig in Deutschland vertreten soll: Die Regierung in Kiew habe ein sogenanntes Agrémentersuchen für Oleksij Makejew gestellt, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes mit. Dieses Agrément sei bereits durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erteilt worden. Damit kann Makejew nun nach Deutschland einreisen und dem Bundespräsidenten sein Beglaubigungsschreiben übergeben. Erst dann ist die Akkreditierung abgeschlossen.
Nach Informationen der „Welt“ soll der 46-jährige Diplomat, der fließend deutsch spreche, am 15. Oktober sein Amt antreten. Makejew studierte der Zeitung zufolge internationale Beziehungen an der staatlichen Universität in Kiew und trat schon mit 21 Jahren in den diplomatischen Dienst ein. Er sei auch schon als Diplomat in Berlin tätig gewesen. 2014 wurde er laut der „Welt“ zum Leiter der politischen Abteilung des Kiewer Außenministeriums berufen. Seit zwei Jahren sei er Sonderbeauftragter der ukrainischen Regierung für internationale Sanktionspolitik.
Ukraine will Deutschland mit Atomstrom unterstützen
Die Ukraine will Deutschland mit der Lieferung von Atomstrom auf dem Weg aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen unterstützen. „2Derzeit exportiert die Ukraine ihren Strom nach Moldau, Rumänien, in die Slowakei und nach Polen. Aber wir sind durchaus bereit, unsere Exporte auf Deutschland zu erweitern“2, sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal der Deutschen Presse-Agentur.
Parallel zum russischen Einmarsch Ende Februar hatte die Ukraine sich zusammen mit dem Nachbarland Moldau vom ehemals sowjetischen Stromnetz abgekoppelt. Mitte März erfolgte die Synchronisierung mit dem europäischen Netzwerk. Seitdem exportiert das Land täglich zwischen 400 und 700 Megawatt Strom in die Europäische Union und nach Moldau. Schmyhal will die Exportquoten für die EU nun um ein Vielfaches erhöhen. „“2Das wäre für beide Seiten sehr gut. Die EU bekäme mehr Energie und wir die Devisen, die wir dringend benötigen““, sagte der Ministerpräsident.
In der Ukraine werden Atomkraftwerke sowjetischer Bauart mit einer Gesamtkapazität von mehr als 14 Gigawatt betrieben. Sechs Blöcke im Atomkraftwerk Saporischschja in Enerhodar befinden sich allerdings seit März unter russischer Kontrolle. Die internationale Gemeinschaft ist in großer Sorge, dass Kriegshandlungen in der Nähe des größten Atomkraftwerks Europas zu einem Atomunfall führen könnten.
Branchenverband: Gas-Einspeicherung weiter möglich
Trotz des anhaltenden russischen Gas-Lieferstopps durch die Pipeline Nord Stream 1 kann nach Einschätzung der Gasspeicherbetreiber in Deutschland weiter Erdgas eingespeichert werden. Der vergangene Mittwoch als erster Tag der Lieferunterbrechung habe dies bereits gezeigt, sagte der Geschäftsführer des Branchenverbandes Initiative Energien Speichern (INES), Sebastian Bleschke, der dpa.
Unterm Strich seien an diesem Tag bundesweit 611 Gigawattstunden Gas hinzugekommen, sagte Bleschke. Zum Vergleich: Am Montag, dem letzten Tag vor der angekündigen Lieferreduktion, transportierte Nord Stream 1 rund 348 Gigawattstunden russisches Erdgas. „““Ich gehe davon aus, dass Einspeicherungen auf diesem Niveau aufrechterhalten werden können, so dass das 85-Prozent-Ziel in wenigen Tagen erreicht werden wird““, sagte Bleschke weiter. „Sollte der komplette Ausfall russischer Gastransporte sich bis in den November fortsetzen, wird ein Erreichen des 95-Prozent-Ziels allerdings große Anstrengungen erfordern.“
Laut einer neuen Verordnung sollen die Speicher in Deutschland am 1. November zu mindestens 95 Prozent gefüllt sein. Die Bundesregierung will mit verschiedenen Maßnahmen erreichen, dass die Gasspeicher in Deutschland zu Beginn der Heizperiode fast voll sind. Deutschland soll damit im Winter besser gegen einen Totalausfall russischer Lieferungen gewappnet sein. Die bei einem Füllstand von 95 Prozent gespeicherte Gasmenge entspricht etwa dem bundesweiten Verbrauch der beiden Monate Januar und Februar 2022.
Rechtsextremisten reisen in die Ukraine
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar sind nach Kenntnis des Innenministeriums 26 deutsche Rechtsextremisten in die Ukraine gereist. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf Frage der Linken-Fraktion im Bundestag hervor, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vorliegt.
Bei einer mittleren einstelligen Zahl lägen tatsächliche Anhaltspunkte für eine angestrebte Beteiligung an Kampfhandlungen vor, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. „Bei knapp der Hälfte der hier bekannten ausgereisten Rechtsextremisten liegen Hinweise vor, dass sie mit der Absicht ausgereist sind, humanitäre Hilfe zu leisten“, schreibt das Innenministerium weiter. Zu einer niedrigen einstelligen Zahl der bekannten Ausreisefälle lägen Hinweise zu journalistischen Aktivitäten vor.
Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner geht davon aus, dass „die tatsächliche Zahl“ der ausgereisten Neonazis über den offiziellen Zahlen liegt. „Ungeachtet dessen besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland, wenn die Neonazis mit Kampferfahrung und möglicherweise Waffen und Munition aus der Ukraine zurückkehren“, sagte Renner.