Pressestimmen zum harten Lockdown: „Merkel gelang kein konsequenter Corona-Kampf“

13. Dezember 2020 Aus Von mvp-web
Selten waren sich Bund und Länder so schnell einig: Ab Mittwoch kommt der bundesweite Lockdown. Bis zum 10. Januar wird das öffentliche Leben weitestgehend lahmgelegt. Der Lockdown ist richtig, aber zu spät, sagt die deutsche Presse.

Die Konferenz dauerte nicht lang, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten waren an diesem Sonntag schnell einer Meinung: Der harte Lockdown muss kommen. Der Teil-Lockdown konnte das Infektionsgeschehen nicht eindämmen, nun fährt Deutschland von Mittwoch an das öffentliche Leben auf ein Minimum zurück.

Das heißt: Der Einzelhandel muss schließen, Geschäfte des täglichen Bedarfs sind davon ausgenommen. Die Schüler sollen größtenteils in den Distanzunterricht und Weihnachten darf nur im engsten Familienkreis gefeiert werden. An Silvester gelten weiterhin strenge Kontaktbeschränkungen, der Böllerverkauf wird generell verboten.

Lob für die Beschlüsse der politischen Entscheidungsträger gibt es kaum, viele Pressestimmen teilen dieselbe Meinung: Der Lockdown ist richtig, aber er kommt zu spät.

Lockdown ist richtig, aber er kommt zu spät

Stuttgarter Zeitung: „Viel spricht dafür, dass es anders gegangen wäre. Die Schließung des Landes wäre zu einem früheren Zeitpunkt wohl kürzer ausgefallen. Spätestens Mitte November war klar, dass der ehrenwerte Versuch, mildere Mittel zu wählen, zu wenig für das Virus war. Stets dauerte die Abstimmung von Bund und Ländern etwas zu lang. Natürlich wünscht man sich kein diktatorisches Corona-Management wie in China, die Demokratie handelt ihrem Wesen nach langsamer. Auch ist keinem Akteur abzusprechen, in dieser Lage nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben. Nüchtern lässt sich aber feststellen, dass die deutsche Politik vor die erste Welle im Frühjahr gekommen ist, nicht aber vor die zweite im Herbst.“

Merkel „gelang kein konsequenter Corona-Kampf“

Handelsblatt: „Dass mit dem harten Lockdown nun wieder die Notbremse für Deutschland gezogen werden muss, hängt auch mit den ungleichen Interessen der Länder zusammen, die über Wochen weitreichende Beschlüsse zur Pandemie-Bekämpfung vereitelten. Auch der Kanzlerin gelang kein konsequenter Corona-Kampf. (…) In der Rückschau der Coronakrise hat die Zeit von Oktober bis Anfang Dezember allerdings das Potenzial, als Phase der Katastrophenbeschleunigung einzugehen. Anders als etwa in Italien, das durch frühes Handeln nun wieder besser dasteht. Auf Deutschland kommen indes wieder harte Einschränkungen zu – Corona-Weihnacht und Pandemie-Silvester inklusive. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Bürger nicht immer so mitziehen wie von der Politik erhofft. Hier gilt die Devise: Nicht alles, was möglich ist, muss auch gemacht werden.“

Neue Osnabrücker Zeitung: „Deutschland schließt wieder zu und fährt eine Woche vor Weihnachten das öffentliche Leben runter. Was sich in den letzten Tagen abzeichnete, haben die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten jetzt in vorher nicht gekannter Einigkeit beschlossen. Fürs Streiten war die Lage zu alternativlos, die Infektionszahlen schießen weiter in die Höhe, alle bisher getroffenen Maßnahmen haben nicht gewirkt, nicht vollzogene hätten vielleicht helfen können. Immer mehr Menschen sterben an und mit Corona, einen vermeintlichen Zusammenbruch des Gesundheitssystems wollte kein Politiker verantworten. Vor diesem Hintergrund ist der Lockdown über die Feiertage und bis ins neue Jahr hinein richtig wie alternativlos.“

„Wer nicht hören will, muss fühlen“

Augsburger Allgemeine: „Jetzt wird Härte verordnet, weil es nicht mehr anders geht. Vorwerfen kann man den Mächtigen des Landes, dass sie zu lange an den mündigen Bürger geglaubt haben. Dass nun die Freiheit eines jeden rigide beschnitten wird, müssen sich hierzulande Millionen selbst vorwerfen.

Süddeutsche Zeitung: „Wer nicht hören will, muss fühlen – so altmodisch und abstoßend dieser Spruch klingt, so treffend beschreibt er doch, was passiert ist. Denn auch wenn die Verlockung sehr schnell groß sein wird, „der Politik“, „der Regierung“ oder „den Ministerpräsidenten“ die Schuld zuzuweisen – diesen Schlamassel haben sich alle gemeinsam eingebrockt. Das Kollektiv hat versagt; so muss man das zusammenfassen.“

Nürnberger Nachrichten: „Der harte Lockdown ist die logische, überfällige Konsequenz aus den nun erst sichtbaren Fehlern. Viel hängt nun, wie stets, von der Vernunft der Bürger ab. Wenn heute und morgen die Massen die Fußgängerzonen stürmen, wird es nochmal einen Schub nach oben geben bei den Zahlen. Nächstenliebe, diese nicht nur christliche Tugend, kann sich in so einem Jahr durchaus auch mal darin zeigen, dem Nächsten eben ausnahmsweise fern zu bleiben.“