Krieg Tag 222 – Mi 05.10.2022 ++ Putin ändert Kriterien für Mobilmachung ++
5. Oktober 2022++ Putin ändert Kriterien für Mobilmachung ++
++ Borrell warnt vor nuklearer Eskalation ++
++ Notenbankchef der Ukraine tritt zurück ++
12:32 Uhr
Moskau fordert Teilnahme an Untersuchung von Lecks
Russland fordert seine Teilnahme an einer internationalen Untersuchung der Lecks an den Nord-Stream-Pipelines. „Es muss dazu wirklich eine Untersuchung geben, natürlich mit der Beteiligung von Russland“, wurde Vize-Außenminister Sergej Werschinin von russischen Nachrichtenagenturen zitiert. Er appellierte demnach auch an Deutschland, sich an dieser gemeinsamen Untersuchung zu beteiligen.
Am Freitag hatte sich der UN-Sicherheitsrat mit den Lecks an den Erdgasleitungen Nord Stream 1 und 2 befasst. Dort habe die „allgemeine Auffassung“ geherrscht, dass es sich um Sabotage handle, erklärte Werschinin. Doch sei in der Sitzung „keine Entscheidung“ über eine internationale Untersuchung getroffen worden, bedauerte er.
Wie aus einem dänisch-schwedischen Bericht hervorgeht, sollen die Lecks durch starke Explosionen entstanden sein. Am Montag sperrte die schwedische Küstenwache das betroffene Gebiet ab, um die von der schwedischen Staatsanwaltschaft eingeleitete Untersuchung der Lecks zu erleichtern.
Peskow: Gebiete sollten „für immer“ zu Russland gehören
Trotz militärischer Rückschläge will Russland die Annexion vier ukrainischer Regionen weiterverfolgen. Russland werde die Gebiete zurückerhalten, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Kreml-Sprecher Dimitri Peskow. „Sie werden für immer zu Russland gehören“, sagte Peskow demnach.
Borrell warnt vor Eskalation
Angesichts ukrainischer Erfolge auf dem Schlachtfeld hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vor einem möglichen Atomwaffeneinsatz Russlands gewarnt. Der Krieg sei in eine neue Phase eingetreten, in der eine Nuklearmacht Rückschritte mache und Drohungen im Raum stünden, dass auch Kernwaffen eingesetzt würden, sagte der EU-Chefdiplomat im Europaparlament. Davor dürfe man nicht die Augen verschließen.
„Das ist sicherlich ein besorgniserregendes Szenario, in dem wir zeigen müssen, dass unsere Unterstützung für die Ukraine nicht wankt.“ Borrell sagte, dass auch bei einem kalten Winter die Solidarität mit der Ukraine uneingeschränkt bestehen bleiben müsse. Es gehe darum, dass die Zukunft der Ukraine auch mit der Zukunft der Menschen in der EU verbunden sei, so Borrell.
Als Grundlage für einen dauerhaften Frieden nannte der EU-Außenbeauftragte, dass Russland politische und moralische Verantwortung übernehmen und für den Wiederaufbau aufkommen müsse. Auch müssten die für Kriegsverbrechen Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Lawrow stellt AKW unter russische Kontrolle
Nach Aussagen des russischen Außenministeriums soll das Atomkraftwerk Saporischschja von nun an unter der Kontrolle russischer Behörden laufen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters wurde dies mitgeteilt, nachdem Präsident Wladimir Putin das Gesetz zur Annexion der vier ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson unterzeichnet hatte.
Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet außerdem, dass der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, am kommenden Montag nach Moskau reisen wolle, um die Situation des ukrainischen Atomkraftwerks zu besprechen.
Drohnenangriff auf Ziele nahe Kiew
Die russische Armee hat nach ukrainischen Angaben erstmals Ziele nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit Kamikaze-Drohnen angegriffen. „Es gab sechs Einschläge und Explosionen“, teilte der Gouverneur des Gebiets Kiew, Olexij Kuleba, im Nachrichtendienst Telegram mit. In der Kleinstadt Bila Zerkwa sei ein Mensch verletzt worden. Getroffen worden sei Infrastruktur.
In der Nacht hatte es in der Hauptstadt und dem angrenzenden Gebiet über drei Stunden lang Luftalarm gegeben. Den Luftstreitkräften zufolge sind insgesamt zwölf iranische Drohnen aus südlicher Richtung auf Ziele geflogen, sechs von ihnen seien abgeschossen worden.
Medienberichten zufolge soll eine Kaserne in Bila Zerkwa Ziel gewesen sein. Von Bila Zerkwa liegen in südlicher Richtung die nächsten russischen Positionen rund 380 Kilometer entfernt. Das mit Russland verbündete Belarus ist rund 180 Kilometer und die russische Grenze etwa 280 Kilometer von der Kleinstadt entfernt. Die russische Armee setzt seit mehreren Wochen iranische Kampfdrohnen ein. Der Iran bestreitet Lieferungen von Drohnen an Russland offiziell.
EU billigt achtes Sanktionspaket
Die EU-Staaten haben ein achtes Paket mit Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht. Wie mehrere Diplomaten der Nachrichtenagentur dpa in Brüssel bestätigten, billigten die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten unter anderem die rechtlichen Voraussetzungen für einen von den G7-Staaten unterstützten Preisdeckel für Ölimporte aus Russland. Die Einigung muss noch im schriftlichen Verfahren von den Regierungen der Mitgliedsstaaten bestätigt werden.
Gazprom liefert wieder Gas nach Italien
Russland pumpt nach einem kurzen Lieferstopp wieder Gas durch Österreich nach Italien. Es sei mit den italienischen Abnehmern eine Lösung des Problems gefunden worden, teilte der russische Staatskonzern Gazprom mit. Der österreichische Betreiber erkläre sich bereit, sogenannte Nominierungen für den Transport zu akzeptieren, was die Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen ermögliche.
Zuvor hatte Gazprom am Wochenende die Gaslieferungen nach Italien komplett eingestellt. Der russische Energieriese gab an, dem österreichischen Transporteur wegen neuer Vorschriften 20 Millionen Euro an Sicherheitsgarantien nicht mehr überweisen zu können.
Der teilstaatliche italienische Konzern und größte Gasimporteur Eni bestätigte, dass am Mittwoch die Lieferungen wieder aufgenommen wurden. Das Unternehmen erklärte indes nicht, wie viel russisches Gas bestellt und erwartet wurde. Es hätte „absolut keine geopolitischen Gründe“ als Grund für den Lieferstopp gegeben, so der Konzern.
Putin unterzeichnet Gesetz über Annexion
Russlands Präsident Wladimir Putin hat der Nachrichtenagentur Tass zufolge das Gesetz zur Annexion von vier ukrainischen Gebieten unterzeichnet. Damit tritt es in Kraft. Zuvor hatte bereits die Duma und gestern der Föderationsrat, das russische Oberhaus, dem Gesetz zugestimmt.
Russland hatte nach Scheinreferenden in den Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson beschlossen, die ukrainischen Gebiete in die Russische Föderation aufzunehmen. Diese Regionen stehen damit offiziell unter dem Schutz der Atommacht. Moskau kontrolliert aktuell allerdings nur Teile dieser Gebiete im Süden und Osten der Ukraine. Die Ukraine meldete dort zuletzt immer wieder Geländegewinne. Zunächst werden die Regionen von Moskau eingesetzten Beamten geleitet, denn die Regionalparlamente sollen erst im September nächsten Jahres gewählt werden.
Wie aus den von Putin unterschriebenen Dekreten hervorgeht, wird im Donezker Gebiet der bisherige Separatistenführer Denis Puschilin als Chef eingesetzt und in Luhansk der dortige Separatistenführer Leonid Passetschnik. Für das Gebiet Saporischschja wird demnach Jewgeni Balizki verantwortlich sein, der bisherige Statthalter dort. Wladimir Saldo wird Leiter des Gebiets Cherson. Er war zuvor schon Besatzungschef.
08:47 Uhr
Ukrainische Truppen kurz vor Region Luhansk
Laut Angaben des britischen Geheimdienstes sollen ukrainische Truppen sich jenseits des Flusses Oskil im Nordwesten der Region Charkiw der Stadt Svatove in der Region Luhansk genähert haben. Wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet, schrieb das britische Verteidigungsministerium in einem Bulletin: „Die russische Führung sollte sehr beunruhigt sein, dass sich ukrainische Verbände der Grenzen der Oblast Luhansk nähern, die Russland am Freitag meinte, formell annektiert zu haben.“ Es sei wahrscheinlich, dass die Ukraine jetzt die wichtige Straße 66 von Svatove nach Kreminna unter Beschuss nehmen könnte.
Ukraines Notenbankchef tritt zurück
Der ukrainische Notenbankchef Kyrylo Schewtschenko hat überraschend seinen Rücktritt eingereicht. Wie es in einer bei der Zentralbank veröffentlichten Erklärung hieß, „aus gesundheitlichen Gründen“. Der 49-Jährige dankte Präsident Wolodymyr Selenskyj für das Vertrauen und die Zusammenarbeit.
Medienberichten zufolge hatte sich zuletzt der Konflikt zwischen Finanzministerium und der Zentralbank verschärft. Schewtschenko hatte sich wegen des chronischen Haushaltsdefizits für Einsparungen ausgesprochen. Die weitere Finanzierung sollte demnach wegen der Gefahr einer Hyperinflation nicht mehr über die Notenpresse erfolgen. Im aktuellen Haushaltsentwurf für 2023 muss gut die Hälfte des Etats durch teils im Ausland aufgenommene Kredite bestritten werden.
Auf dem Währungsmarkt sei keine Panik ausgebrochen, und der massive Kapitalabfluss sei gestoppt worden, hieß es seitens der Zentralbank. Die Inflationsrate sei für Kriegszeiten auf einem angemessenen Niveau geblieben; und die Zentralbank habe den Staatshaushalt gestützt. Zuletzt war die Teuerung auf 23,8 Prozent gestiegen. Die Zentralbank hatte den Leitzinssatz nach Kriegsbeginn zur Eindämmung der Inflation von zehn auf 25 Prozent erhöht, die Landeswährung Hrywnja hatte gegenüber dem amerikanischen Dollar um etwa 50 Prozent an Wert verloren.
Schewtschenko stand der Notenbank seit Juli 2020 vor. Sein Vorgänger Jakiw Smolij hatte aufgrund von systematischem politischen Druck seinen Rücktritt eingereicht.
Neuer Anlauf für Nawalny-Netzwerk
Führende Verbündete von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny haben am Dienstag die Neuformierung eines Netzwerks von regierungskritischen Gruppen in ganz Russland angekündigt. Die Zeit sei reif, da die Regierung durch Fragen über den Krieg in der Ukraine geschwächt sei.
„Die schlafende Mehrheit ist aufgewacht, (Präsident Wladimir) Putin selbst hat sie aufgeweckt“, erklärte der frühere Direktor von Nawalnys Stiftung zum Kampf gegen Korruption, Iwan Schdanow, in einem Video. Das Video wurde von Nawalnys engstem Verbündeten und wichtigstem Strategen Leonid Wolkow gepostet. „Es ist Zeit, unser Netzwerk zum Kampf gegen Mobilisierung und Krieg wiederherzustellen“, sagte Schdanow.
Das Netzwerk werde als „Untergrundpartisan“ agieren, erklärten Schdanow und Wolkow. Teilnehmer blieben zu ihrer Sicherheit anonym.
Neue Militärhilfe der USA für die Ukraine
US-Präsident Joe Biden hat der Ukraine weitere Militärhilfen in Höhe von umgerechnet 638 Millionen Euro zugesagt. In einem Telefonat mit Präsident Selenskyj sagte Biden nach Angaben des Weißen Hauses, die USA würden unter anderem weitere Raketenwerfersysteme vom Typ Himars, Artilleriesysteme, Munition und Panzerfahrzeuge liefern.
Biden versicherte demnach auch, die USA würden „niemals die angebliche Annexion von ukrainischem Territorium durch Russland“ anerkennen.
Bei dem Rüstungspaket für die Ukraine handelt es sich nach US-Angaben um Bestände des Pentagons. Damit erhöhe sich die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine seit Beginn von Bidens Amtszeit auf einen Gegenwert von insgesamt 17,5 Milliarden Dollar. Der Großteil der Hilfen wurde seit Beginn des russischen Angriffskriegs gewährt. Erst vergangene Woche hatte die US-Regierung ein Rüstungspaket im Wert von 1,1 Milliarden US-Dollar zugesagt.
Selenskyj meldet Einnahme Dutzender Siedlungen in besetzten Gebieten
Ungeachtet der russischen Annexion hat die Ukraine neue, erhebliche Geländegewinne in den von Russland beanspruchten Gebieten gemeldet. Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj teilte am Abend mit, die Armee seines Landes habe in den vergangenen Tagen „Dutzende“ Ortschaften von Russland zurückerobert. Die ukrainische Armee komme im Süden und Osten „schnell und kraftvoll“ voran, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache. Die zurückeroberten Gebiete gehören nach seinen Angaben teilweise zu den Regionen Cherson, Luhansk und Donezk, deren Annexion Russlands Staatschef Wladimir Putin am Freitag unterzeichnet hatte.
Konfliktparteien als QuelleAngaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Japan öffnet Botschaft in Kiew wieder
Japan öffnet heute nach Angaben des Außenministeriums seine Botschaft in Kiew wieder. Die Auslandsvertretung war am 2. März nach der russischen Invasion in der Ukraine vorübergehend geschlossen worden.