„Größte Sozialreform seit 20 Jahren“

„Größte Sozialreform seit 20 Jahren“

13. Oktober 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 13.10.2022 17:08 Uhr

Hartz IV soll zum 1. Januar Geschichte sein – und als Bürgergeld umgetauft ein freundlicheres Gesicht erhalten. Was die Koalition feiert, wird im Bundestag von der Opposition scharf kritisiert.

Von Anita Fünffinger, ARD-Hauptstadtstudio

Für die SPD ist dieser Tag historisch. Zumindest sucht Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil das große Wort: Die Einführung des Bürgergelds sei die größte Sozialreform seit 20 Jahren. Das erste Ziel der Koalition sei es, „dass die Menschen, die Hilfe benötigen, die auch bekommen, das ist ein Schutzversprechen des Staates,“ erklärt Heil.

Anita Fünffinger
Anita Fünffinger ARD-Hauptstadtstudio

Das zweite Ziel der Koalition sei es, Menschen dauerhaft wieder in Arbeit zu bringen. Dazu soll sich in den Jobcentern einiges ändern. Heil nennt es Augenhöhe. Die Mitarbeiter der Jobcenter sollen dabei mit den Langzeitarbeitslosen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen vereinbaren und einen Fahrplan verabreden.

Karenzzeit für den Anfang

Für die Arbeitsmarktexpertin der Grünen, Beate Müller-Gemecke, ist das ein Paradigmenwechsel: „Es ist gut, dass wir Hartz IV überwinden. Das Bürgergeld hat einen anderen, einen wertschätzenden Blick.“

Für die erste Zeit des Bürgergeld-Bezugs hat die Koalition eine Karenzzeit eingezogen. Die Größe der Wohnung spielt keine Rolle, und ein Vermögen in Höhe von bis zu 60.000 Euro muss nicht angetastet werden. Unter anderem daran stört sich die Union.

Der CDU-Abgeordnete Kai Witthaker sorgt sich um diejenigen, die arbeiten. „Angesichts der steigenden Energiepreise werden die Menschen mit sehr kleinen Einkommen sehr genau rechnen, ob sie nicht besser fahren, ihren Job an den Nagel zu hängen und stattdessen Bürgergeld beantragen,“ so Witthaker. Arbeit müsse sich immer lohnen, sonst würde der soziale Frieden gefährdet.

Hartz IV heißt bald Bürgergeld – sonst ändert sich nichts? Mitnichten. Ein Überblick.

 

Kritik an „zu wenigen Sanktionen“

Die AfD glaubt nicht daran, dass die Weiterbildungs- und Qualifizierungsstrategie der Bundesregierung aufgeht. Für die Abgeordnete Gerrit Huy ist der Gegenbeweis schon früher oft genug erbracht worden: „Es ist nichts anderes als ein aufgeweichtes Hartz IV – und das hat schon nicht funktioniert. So war es beispielsweise nicht möglich, aus dem Millionenheer der Hartz-IV-Leistungsbezieher auch nur 100 oder 200 Personen für den Koffertransport an deutschen Flughäfen zu rekrutieren.“

AfD und Union kritisieren außerdem immer wieder, dass es künftig weniger Sanktionen geben soll, wenn Betroffene die Vereinbarungen mit dem Jobcenter nicht einhalten. Dabei soll das Bürgergeld auch in den ersten sechs Monaten des Bezugs vom Amt gekürzt werden können, wenn jemand einen Termin verpasst – um bis zu 30 Prozent.

Das aber werde in der Kritik oft unterschlagen, worüber sich der FDP-Abgeordnete Jens Teutrine ziemlich aufregt. Es brauche ja eine Oppositionspartei, die die Regierung treibe und kritisiere, so Teutrine. „Aber kritisieren Sie uns doch dafür, was wir machen, und erfinden Sie keine Fake-News. Das ist gefährlich – ob Regelsatz-Erhöhung oder Sanktionen. Hören sie auf! Das ist ein gefährliches Geschäft, das sie machen,“ sagt Teutrine weiter.

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Linke: Erhöhung des Regelsatzes zu niedrig

Der Regelsatz soll durchschnittlich um 50 Euro erhöht werden – für Jessica Tatti von der Linksfraktion ein willkürlicher Betrag. „Sie fummeln einfach so lange am Regelsatz rum, bis das rauskommt, was der Minister wollte. Das ist keine echte Erhöhung des Regelsatzes, sondern ein reiner Inflationsausgleich,“ so Tatti.

Das Bürgergeld soll am ersten Januar in Kraft treten – auf den Tag genau 18 Jahre nach der Einführung von Hartz IV.