Wohn- oder Nutzfläche? Grundsteuer bereitet Kopfzerbrechen
16. Oktober 2022Bis Ende Januar müssen die Eigentümer in Mecklenburg-Vorpommern den Wert ihrer Immobilie neu bestimmen. Manche sind der Verzweiflung nah.
„Wir haben oben zwei Gauben“, erzählt Dieter Kröger, „die eine Seite ist 95 Zentimeter, die andere ist 1,30 Meter hoch und in der Mitte haben wir einen Schornstein: 85 mal 42 Zentimeter. So: Wohne ich in dem Schornstein, wohne ich nicht? Nehme ich den raus, oder lasse ich ihn drin?“ Der Hausbesitzer ist der Verzweiflung nahe. Für die Neuberechnung der Grundsteuer muss der Hauseigentümer sein Haus vermessen, die Details lassen ihn und seine Frau Karin verzweifeln. Weil die Grundsteuer-Berechnung in Mecklenburg-Vorpommern auf überholten Werten von 1935 basierte, ist sie vom Bundesverfassungsgericht 2018 gekippt worden. Jeder, der am 1. Januar dieses Jahres ein Grundstück, eine Wohnung oder ein Haus besessen hat, muss dafür bis Ende Januar 2023 eine neue Grundsteuer-Erklärung abgeben, auch wenn das Haus zwischenzeitlich verkauft worden ist.
Den Wert von Haus und Grund selbst bestimmen
Mit Flur-Karte und Grundbuch-Eintrag wird zuerst der Wert des Grundstücks bestimmt. Bei der Ermittlung des Hauswerts, so erzählt Ehepaar Kröger, wird es kompliziert. Die Räume müssen in Wohn- und Nutzfläche unterteilt werden. Außerdem kommt es nicht nur auf die Raumfläche an, sondern auch auf die Höhe. Die Fläche unter Dachschrägen zum Beispiel zählt nur zur Hälfte – oder sogar gar nicht.
Im zweidimensionalen Haus-Grundriss sind aber weder Raumhöhen noch Dachschrägen vermerkt. Deshalb laufen die Krögers mit Zollstock und einem Informationsschreiben des Finanzamts durchs Haus. Das Informationsschreiben sei allerdings in unverständlichem Behörden-Deutsch verfasst, so Dieter Kröger. Auch die Hotline des Schweriner Finanzamts sei kaum erreichbar. Dieter Kröger: „Ich möchte gerne mal ins Finanzamt gehen und herausfinden, ob die Beamten, die selbst nichts mit der Grundsteuer zu tun haben, das Grundsteuer-Formular ausfüllen können.“
Für sieben Jahre gültig
Rechtsanwalt und Steuer-Experte Philipp Caba sieht in der Anforderung der Finanzämter an die Eigentümer eine fast unmögliche Aufgabe. Auch als Fachmann müsse er immer wieder nachlesen, welche der zahlreichen Regeln auf den jeweiligen Fall anzuwenden sei. Das von den Finanzämtern zur Verfügung gestellte Steuer-Programm „Elster“ könne zu Missverständnissen führen. Caba sieht die kniffligste Fehlerquelle bei der Aufteilung in Wohn- und Nutzfläche. Wer zu viel Wohnfläche angibt, zahle zu viel Grundsteuer.
Caba: „Am Ende der Grundsteuer-Erklärung sehen die Hausbesitzer, welchen Gesamtwert das Steuerprogramm für Haus und Grundstück errechnet hat, und freuen sich vielleicht, weil der berechnete Wert höher ist als der Wert nach der früheren Berechnungsmethode. Den Festsetzungsbescheid, also der Bescheid, in dem steht, wie viel Grundsteuer die Eigentümer bezahlen müssen, bekommen sie aber erst 2025. Und da werden viele Leute aufwachen und feststellen, dass sie vielleicht zu viel Wohnfläche angegeben haben.“ Wer seinen Bescheid anfechten will, sollte sich jetzt schon notieren, welche Daten er beim Finanzamt abgibt, Nach Ablauf der Widerrufsfrist sei der Bescheid rechtskräftig, und zwar für sieben Jahre. Dann muss eine neue Erklärung abgegeben werden. Schließlich könne sich der Wert der Immobilie verändert haben.
Hilfestellung vom Finanzamt
Auf dem Schreiben des Finanzamts an die Eigentümer steht ausdrücklich: „Keine Beratung durch das Finanzamt.“ Trotzdem stehen vor allem ältere Menschen ohne Internet wegen der Grundsteuer beim Finanzamt in Schwerin Schlange. Am häufigsten werde gefragt, ob die Grundsteuer-Erklärung auch abgeben werden muss, obwohl das Haus inzwischen verkauft wurde, und ob es die Grundsteuer-Erklärung auch in Papierform gebe, sagt der Leiter des Schweriner Finanzamts, Andreas Grüttner. In beiden Fällen laute die Antwort „ja“.
Grundsätzlich, so Grüttner, stehe das Finanzamt in der Rolle des Verwalters. Trotzdem habe man versucht, den Eigentümern Hilfestellung zu geben – mit Einrichtung einer Grundsteuer-Hotline und eines Online-Informationsangebots. Ob die Grundsteuer künftig höher oder niedriger ausfallen wird, darüber könne man nur spekulieren, denn das hängt laut Grüttner vom Hebesatz ab, den die Gemeinden auf den neu berechneten Immobilien-Wert ansetzen. Er hat den Eindruck, vielen sei gar nicht bewusst, dass die Grundsteuer-Erklärung künftig alle sieben Jahre wiederholt werden muss.