Verbreitet sich rasant – Eine der „besorgniserregendsten Varianten“: So gefährlich ist BQ.1.1
20. Oktober 2022Weltweit warnen Experten vor der Verbreitung neuer Corona-Varianten. Im Auge haben sie etwa BQ.1 und vor allem deren Unter-Variante BQ.1.1, welche sich in den USA und Deutschland breit macht. Was wir über die neue Variante wissen.
Als „pretty troublesome“, also „ziemlich lästig“, bezeichnete der US-Immunologe Anthony Fauci die neuen Corona-Varianten, die sich gerade weltweit verbreiten. Explizit warnte der Wissenschaftler vor BQ.1 und deren Unterart BQ.1.1, deren Anteil in den USA, aber auch in Deutschland gerade deutlich zunimmt.
Wie schnell verbreitet sich BQ.1.1?
Im Gespräch mit dem Sender „CBS News“ warnte er insbesondere vor der rasanten Verdopplungszeit. Binnen einer Woche sei der Anteil der beiden Varianten auf zehn Prozent gestiegen. Zuvor traten diese nur so vereinzelt auf, dass sie in der Liste der Varianten, welche die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) führen, gar nicht auftauchten. BQ.1 und BQ.1.1 machen nach neustem Stand jeweils 5,7 Prozent der Neuninfektionen aus. Beide stammen von BA.5 ab. Experten wie der Epidemiologe Eric Feigl-Ding kritisieren allerdings, dass die Zahlen viel zu niedrig angegeben würden. Wie US-Medien berichten, haben die beiden Varianten in New York sogar schon einen Anteil von rund 37 Prozent.
Laut US-Mediziner Eric Topol zählt BQ.1.1 zu den „besorgniserregendsten Varianten“. Das erklärte er unlängst auf Twitter.
Auch deutsche Forscher machen sich Gedanken um BQ.1.1. Sie sei „schon eine Variante, die uns Sorgen macht“, sagte jetzt Cambridge-Wissenschaftler Cornelius Römer dem „Spiegel“.
Auf Twitter äußerte er sich unlängst zu der rasanten Verbreitung. „Ihr relativer Anteil hat sich jede Woche mehr als verdoppelt“, schrieb Römer. Im Vergleich zu der aktuell vorherrschenden BA.5-Variante habe die Sublinie wohl einen Übertragungsvorteil von mehr als zehn Prozent, erklärte Römer weiter. Zudem sei BQ.1.1 „deutlich schneller“ als die Omikron-Variante BA.2.75.2, die jüngst bereits in mindestens 35 Ländern und in 20 US-Bundesstaaten aufgetaucht ist. Schon jetzt stiegen die deutschen Fallzahlen so stark an wie im Vorjahr, obwohl die neuen Varianten gerade noch gar keine große Wirkung zeigten. Die nächsten Monate könnten demnach „eine holprige Fahrt“ werden.
Beschert uns BQ.1.1 die nächste Welle?
Römer schließt daraus, dass es sich bei BQ.1.1 wohl um die Variante handelt, die uns die nächste Welle beschert. Es werde „ziemlich klar, dass BQ.1.1 noch vor Ende November eine Variantenwelle in Europa und Nordamerika auslösen wird“.
Auch Virologe Friedemann Weber bestätigte auf Nachfrage von FOCUS online die Durchsetzungskraft der neuen Variante. Als Garantie dafür, dass diese die Winter-Welle verantworten wird, zählt er diese jedoch nicht. „Ob im Winter dann letztlich BQ.1.1 oder eine andere neue Variante dominieren wird, ist noch unklar“, sagte er. „Sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass es wieder zu hohen Krankheitsausfällen und Klinikauslastungen kommen wird. Außerdem ist nicht absehbar, in welchem Ausmaß neue Varianten Long-Covid auslösen können, eine bisher viel zu wenig beachtete Folge selbst milder Infektionen.“
- Mehr zum Thema: Wie bedrohlich ist BQ.1.1 für Deutschland? Das sagt der Virologe
Wo hat sich die neue Variante schon ausgebreitet?
BQ.1.1 tauchte bislang in Europa und Nordamerika auf. Wie Analysen des Robert-Koch-Instituts (RKI) und des deutschen Genom-Sequenzierers Moritz Gerstung zeigen, ist sie bereits in Deutschland angekommen – und verbreitet sich seit Ende September. Das illustrieren etwa die Auswertungen, die der Experte kürzlich auf Twitter veröffentlichte.
Das konkrete Ausmaß ist momentan zwar noch unklar. Denn hierzulande werden deutlich weniger Proben des Virus sequenziert als in anderen Ländern. Laut RKI wurden die Varianten zuletzt „noch selten aber zunehmend in Deutschland nachgewiesen“. So wurden schon in Kalenderwoche 38 (19. bis 26. September) 35 und in Kalenderwoche 39 (26. September bis 2. Oktober) 46 Genomsequenzen von BQ.1 und BQ.1.1 in der Stichprobe an das RKI übermittelt.
Laut Gerstungs Analysen macht BQ.1.1 allerdings je nach Bundesland schon bis zu einem Zehntel der Neuninfektionen aus. In Bayern liege der Anteil mit rund zehn Prozent am höchsten, erklärte er (Stand 14. Oktober).
Gerstung nach ist es deutlich erkennbar, dass die Fallzahlen von BQ.1.1 im Vergleich zu den anderen enorm zulegen. Der Wissenschaftler erklärte, dass die Variante allein fünf Mutationen im Spike-Protein kombiniere und am schnellsten von all den Subtypen unterwegs sei. Sie habe einen Fitness-Vorteil von etwa zehn bis 15 Prozent. Damit erinnert das Szenario an dieses Frühjahr: BA.5 hatte einen vergleichbaren Vorteil gegenüber BA.2 – und es dauerte nur wenige Monate da hatte BA.5 die Vorgänger verdrängt.
Entkommt BQ.1.1 unserer Immunität?
BQ.1.1 zeigt „eine vergleichbare Immunflucht und Mutationen an ähnlichen Positionen“ wie BA.2.75.2, erklärte auch Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien, Biozentrum, Universität Basel. Unlängst erschienene Preprint-Studien aus China und Schweden hätten gezeigt, dass diese Variante von menschlichen Antikörpern deutlich schlechter erkannt wird.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnte kürzlich ebenfalls in einem Interview mit der „FAZ“ : „Wenn sich etwa die Variante BQ.1.1 durchsetzt, würden sich auch diejenigen, die sich im Sommer infiziert haben, wahrscheinlich wieder leicht infizieren können.“
Biochemiker Römer ergänzt zudem „eine schlechte Nachricht“: Dass BQ.1.1 allen verfügbaren monoklonalen Antikörper-Cocktails entgehe – sogar denen, die immer noch gegen BA.5 wirkten.
Darum heißt BQ.1.1 so
Benannt werden neue Corona-Varianten nach den Regeln der Pango-Nomenklatur, welche 2020 zur Nachverfolgung dieser aufgebaut wurde. Ausgehend von zwei Varianten (A und B) werden deren Untervarianten mit Zahlen bezeichnet. Damit diese Bezeichnungen aber nicht zu unübersichtlich werden, wird nach der dritten Zahl anstatt der vierten ein Buchstabe verwendet, in diesem Fall „Q“. Der Alternativ-Name für BQ.1.1 wäre ansonsten nämlich folgender: B.1.1.529.5.3.1.1.1.1.1.1.
Wirken die Impfstoffe noch gegen die neue Variante?
Finale Aussagen über die Wirksamkeit der Impfungen in Bezug auf BQ.1.1 lassen sich bislang keine treffen. Da es sich bei BQ.1.1 aber um einen BA.5-Nachkommen handelt, schätzen Experten das daran angepasste Vakzin als am sinnvollsten ein. „Der BA.5-Booster schützt also am besten“, schreibt Biochemiker Römer. Der an BA.1 angepasste Impfstoff sei immerhin besser als der gegen den Wildtyp, der wiederum besser als überhaupt keiner. Sprich: Die Impfung ist in jedem Fall sinnvoll, die neueren Vakzine bieten aber Römer zufolge den besten Schutz. „Sieht aus, als wäre jetzt ein ziemlich guter Zeitpunkt, um sich einen Booster zu holen.“
„Bisher haben Impfungen auch bei neuen Varianten sehr zuverlässig vor schweren Verläufen geschützt. Das wird bei BQ.1.1 etc. nicht anders sein“, urteilt auch Virologe Weber. Denn der Impfschutz vor tieferem Eindringen in den Körper werde durch die T-Zellimmunität vermittelt, gegen die es wenig bis gar keine Sars-CoV-2-Fluchtmutationen gibt.