Debatte über geplantes Bürgergeld „Absolut sozial ungerecht“
31. Oktober 2022Aus der Union kommt weiter Kritik am geplanten Bürgergeld. CSU-Chef Söder warnte vor „sozial ungerechten Auswirkungen“. Während SPD-Chefin Esken Gesprächsbereitschaft signalisierte, warf Generalsekretär Kühnert der CDU und CSU Populismus vor.
Im Streit um das geplante Bürgergeld hat sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu Wort gemeldet. Nachdem die CDU angedroht hatte, die Reform im Bundesrat zu blockieren, forderte auch der Chef der Schwesterpartei weitreichende Änderungen.
Die bisherigen Pläne der Ampel-Koalition gingen in die „grundfalsche Richtung“ und hätten „absolut sozial ungerechte Auswirkungen“, sagte der CSU-Vorsitzende im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. „Deswegen braucht es auch mehr als nur ein bisschen Kosmetik. Es braucht schon eine grundlegende Überarbeitung.“
Söder erwartet soziale Verwerfungen
Söder beklagte eine „völlige Umkehr des Grundsatzes, dass wer arbeitet, muss mehr haben als wer nicht arbeitet“. Es bestehe die Gefahr, dass Bürgergeld-Bezieher am Ende mehr Geld hätten als Erwerbstätige.
Er erwarte durch eine Einführung soziale Verwerfungen bei Menschen in unteren Einkommensgruppen. Es sei ungerecht, dass etwa Kassiererinnen, Busfahrer, Polizistinnen und Friseure weniger Geld zur Verfügung hätten, wenn sie arbeiten, als wenn sie nicht arbeiten. Söder kritisierte auch die Höhe des Vermögens, das vom Bürgergeldbezug unberührt bleiben soll.
Unionsfraktionsvize Gröhe für Vermittlung
CDU-Generalsekretär Mario Czaja hatte zuvor mit der Blockade im Bundesrat gedroht. Man werde den Plänen in der bisherigen Form nicht zustimmen können, sagte er dem „Tagesspiegel“. Er gehe davon aus, „dass wir darüber im Vermittlungsausschuss werden sprechen müssen“, sagte Czaja.
Auch Unions-Fraktionsvize Hermann Gröhe befürwortete ein Vermittlungsverfahren: Es ergebe „Sinn, wenn sich die Ampel bereiterklärt, die tiefgreifenden Webfehler ihres Vorhabens zu korrigieren“, sagte der CDU-Politiker der „Rheinischen Post“. Man unterstütze „einen Inflationsausgleich ausdrücklich“. Die Union setze sich dafür ein, dass die Erhöhung zum 1. Januar 2023 in Kraft tritt. „Dafür gibt es Mittel und Wege auch außerhalb des Bürgergeld-Gesetzes“, sagte der CDU-Politiker.
Esken: Bereit, Details zu klären
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken signalisierte Gesprächsbereitschaft. „Wenn die unionsgeführten Bundesländer beim Bürgergeld Detailfragen klären wollen, sind wir dazu bereit“, sagte sie der Funke Mediengruppe.
Es gehe bei dem Vorhaben aber „nicht nur um einen Ausgleich der Inflation, sondern es geht vor allem um den Respekt, den die Menschen in Not verdient haben, und um nachhaltige Wege zur Überwindung dieser Not.“ Czajas Drohung kritisierte Esken scharf: „Blockade ist keine Haltung für eine verantwortungsvolle Opposition.“
„Durchsichtiges und populistisches Manöver“
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nannte die Kritik der Union „ein durchsichtiges und populistisches Manöver“. Die Regeln zum Schonvermögen seien „keine neue Erfindung“, sondern von Union und SPD bereits zu Beginn der Corona-Pandemie beschlossen worden, sagte er dem „Tagesspiegel“.
„Die Partei von Friedrich Merz ist also mal wieder bereit, für eine schnelle Schlagzeile jegliche Ernsthaftigkeit über Bord zu werfen, und dabei auch die von Kanzlerin Merkel geprägte Politik in den Dreck zu ziehen“, sagte Kühnert. Er warf der Union Spaltungsversuche vor. „Die SPD wird nicht zulassen, dass arbeitende Menschen mit geringem Einkommen gegen Erwerbslose ausgespielt werden. Der Versuch, diese Gruppen gegeneinander in Stellung zu bringen, ist schamlos.“
Auch Grüne und FDP kritisieren Union
Grünen-Chefin Ricarda Lang bezeichnete es als „unverantwortlich“, in der derzeitigen Krise die Einführung des Bürgergelds „unter dem Vorwand von Detailfragen zu verzögern“. Die „Blockadehaltung“ der Union irritiere sie, sagte sie dem „Tagesspiegel“. Wer täglich mehr Entlastungen fordere, sollte die Menschen bei deren Umsetzung nicht im Regen stehen lassen. Es liege in der Verantwortung aller Parteien, für soziale Sicherheit zu sorgen und den Zusammenhalt im Land zu stärken.
Auch der dritte Koalitionspartner kritisierte die Union: Es sei nicht die Zeit „für parteitaktische Manöver“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem „Tagesspiegel“. Verzögerung und Blockade hätten nichts mit Verantwortung zu tun.
Enger Zeitplan
Im laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Bürgergeld gibt es seit längerem Streit. Es ist offen, ob die Ampel die Reform wie geplant durchbringen kann. Für den 10. November ist die zweite und dritte Lesung des Gesetzes im Bundestag angesetzt. Danach wird es an den Bundesrat weitergegeben, wo von der Union geführte Länder zustimmen müssen. Eine Blockade könnte sich auch auf den ohnehin engen Zeitplan auswirken. Für den Start ist der 1. Januar vorgesehen.
Das Bürgergeld soll die bisherige Grundsicherung Hartz IV ablösen. Ziel der Ampel-Koalition ist es, Betroffene in die Lage zu versetzen, sich stärker auf Weiterbildung und die Arbeitssuche konzentrieren zu können. Sie sollen dafür vom Jobcenter weniger unter Druck gesetzt werden.