FAQ Bund-Länder-Gespräche Ringen um die Rechnung
2. November 2022Bund und Länder wollen Bürger und Betriebe in der Energiekrise konkret und spürbar entlasten. Das kostet viel Geld. Beim Spitzentreffen heute geht es um die Frage, wer die Rechnung dafür bezahlt. Welche Punkte sind dabei strittig?
Bund und Länder kommen heute zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen zusammen, um über die Finanzierung der milliardenschweren Entlastungen für Bürger und Betriebe zu beraten. Der Druck auf den Kanzler und die Regierungschefinnen und -chefs ist hoch, nicht wieder ohne eine Einigung auseinanderzugehen. Es geht um viel Geld – und die Frage, wer wie viel zahlt. Beide Seiten fordern Kompromissbereitschaft. Um welche Themen geht es und was ist strittig? Ein Überblick.
Wer bezahlt wie viel?
Seit Wochen streiten Bund und Länder um die Kostenaufteilung beim dritten Entlastungspaket. Die Länder kritisierten, dass sie vorab nicht einbezogen wurden und nun insbesondere wegen vorgesehener Steuerentlastungen rund 19 Milliarden Euro der Kosten tragen sollen.
Der Bundesrat erklärte vergangene Woche, die Länder sähen „sich zwar in der Mitverantwortung, einen angemessenen Beitrag zur Abmilderung der Folgen der hohen Energiepreise zu leisten“. Sie wollten aber „eine Verständigung über die Höhe tragbarer Länderbelastungen sowie deutlichere Unterstützung durch den Bund“.
Wie soll die Gaspreisbremse funktionieren?
Der Vorschlag, den die sogenannte Gaspreiskommission erarbeitet hat, sieht zwei Stufen vor: Im Dezember soll durch Übernahme eines Monatsabschlags zunächst eine einmalige Entlastung erfolgen, während eine dauerhafte Gaspreisbremse ab März 2023 greift. Diese sieht für eine Grundmenge an Gas einen staatlich garantierten Bruttopreis inklusive aller auch staatlich veranlassten Preisbestandteile von 12 Cent pro Kilowattstunde vor. Das Grundkontingent soll bei 80 Prozent des Verbrauchs liegen, der der Abschlagszahlung für September 2022 zugrunde lag. Oberhalb dieses Kontingents sollen Marktpreise gelten.
Für große Industriebetriebe soll ab Januar eine eigene Gaspreisbremse greifen. Für bis zu 25.000 große industrielle Gasverbraucher soll ein Verbrauch von 70 Prozent des Jahres 2021 mit Staatsgeld subventioniert werden. Für dieses Kontingent soll ein Beschaffungspreis von sieben Cent pro Kilowattstunde gelten. Darüber sind Marktpreise fällig. Diese Regelung soll vom 1. Januar 2023 bis zum 30. April 2024 gelten.
Was ist bei der Gaspreisbremse strittig?
Ein Start der Gaspreisbremse im März – das ist viel zu spät für viele Menschen, so ein Kritikpunkt. Stichwort: Winterlücke. Vor allem die Opposition im Bundestag sieht das so, aber auch die Regierungschefs der Länder fordern ein früheres Inkrafttreten, und zwar schon zum 1. Januar.
Bisher winkte die Bundesregierung ab. Es solle beim Inkrafttreten der Gaspreisbremse im März bleiben. Eine frühere Einführung sei allein technisch nicht umsetzbar, so die Begründung von Bundesregierung, Energieunternehmen und Gaspreiskommission. In einer Beschlussvorlage des Kanzleramts zum Bund-Länder-Treffen heißt es zur Gaspreisbremse aber nun: „Eine Rückwirkung zum 1. Februar wird angestrebt.“
Was ist mit der Strompreisbremse?
Die Länder fordern außerdem eine schnelle Einführung der angekündigten Strompreisbremse. Aus der Vorlage der Bundesregierung geht nun hervor, dass diese ab Januar geplant ist. Wie bei der Gaspreisbremse soll für Haushalte ein Grundkontingent von 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs für einen Brutto-Preis von 40 Cent je Kilowattstunden bereitgestellt werden.
Der historische Verbrauch solle sich voraussichtlich an der Jahresverbrauchsprognose bemessen. Nach Angaben des Vergleichsportals Verivox liegt der bundesweite Strompreis derzeit bei durchschnittlich 48,16 Cent je Kilowattstunde. Für einen Drei-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden lägen auf dieser Basis die aktuellen Jahreskosten bei rund 1926 Euro pro Jahr. Bei der geplanten Deckelung würden die jährlichen Gesamtkosten um rund 14 Prozent auf 1665 Euro sinken. Das entspreche einer Entlastung von rund 260 Euro pro Jahr.
Auch für Industriebetriebe plant die Bundesregierung eine Strompreisbremse. Sie sollen einen garantierten Nettopreis von 13 Cent pro Kilowattstunde für ein Strom-Grundkontingent von 70 Prozent des historischen Verbrauchs bekommen, der sich am Jahresverbrauch für das Jahr 2021 bemisst. Eine Förderung der Industrie soll unter Beachtung des europäischen Beihilferechts erfolgen.
Wie soll das alles finanziert werden?
Zur Mitfinanzierung der Strompreisbremse sollen „Zufallsgewinne“ von Unternehmen auf dem Strommarkt rückwirkend ab 1. September abgeschöpft werden. Das betrifft etwa Produzenten von Ökostrom aus Wind und Sonne, die zuletzt von hohen Preisen an der Börse profitiert haben. Hintergrund sind stark gestiegene Gaspreise und der Mechanismus zur Preisbildung auf dem Strommarkt. Die über die Abschöpfung erzielten Einnahmen werden auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Laut Papier kostet die Strompreisbremse für Haushalte und kleinere Unternehmen voraussichtlich zwischen 23 und 33 Milliarden Euro.
Der Mittelbedarf für die industrielle Strompreisbremse werde auf weitere 30 bis 36 Milliarden Euro geschätzt. Für die Gaspreisbremse schätzt die Bundesregierung Kosten von über 30 Milliarden Euro. Die Kosten sind abhängig von der weiteren Entwicklung bei Preisen und Verbrauch. Der weitaus größte Teil dieser Entlastungen soll über einen „Abwehrschirm“ mit einem Volumen bis zu 200 Milliarden Euro finanziert werden, der Bund macht dazu neue Schulden.
Wer zahlt für das 49-Euro-Ticket und den Nahverkehr?
Bund und Länder sind sich grundsätzlich einig, dass es eine Nachfolgeregelung für das bundesweit gültige Neun-Euro-Ticket im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) aus dem Sommer geben soll. Beide Seiten unterstützen auch Pläne für ein 49-Euro-Ticket ab dem kommenden Jahr, streiten aber über die Finanzierung.
Die Bundesregierung hat hierfür 1,5 Milliarden Euro pro Jahr angeboten. Die Länder-Finanzminister hatten Ende September darüber hinaus eine Erhöhung der Mittel für den regionalen Bahn-Ausbau um weitere 1,5 Milliarden Euro gefordert. Zudem verlangten sie für 2022 und 2023 jeweils noch einmal Erhöhungen um 1,65 Milliarden Euro als Ausgleich für die massiv gestiegenen Energiepreise.
Bei den Kosten für den ÖPNV scheint das Kanzleramt auf die Länder zugehen zu wollen. In der Beschlussvorlage ist von zusätzlichen Regionalisierungsmitteln in Höhe von einer Milliarde Euro die Rede, sie sollten künftig jährlich um drei Prozent steigen.
Wer entlastet die Krankenhäuser?
Die Länder verweisen auch auf „die außerordentlich steigenden Energie- und Sachkosten bei Krankenhäusern, Universitätskliniken sowie Pflegeeinrichtungen“. Hier verlangte der Bundesrat vergangene Woche „zeitnah“ eine Gegenfinanzierung durch Bundesmittel.
Wer finanziert die Ausweitung des Wohngeld?
Das Wohngeld können Menschen beantragen, die keine Sozialleistungen erhalten, aber nur wenig Geld zum Leben zur Verfügung haben. Bisher teilten sich Bund und Länder die Kosten für die zuletzt rund 600.000 anspruchsberechtigten Haushalte. Sie lagen im Jahr 2021 bei 1,4 Milliarden Euro. Die Bundesregierung will die Zahl der Empfänger zum 1. Januar auf zwei Millionen Haushalte mehr als verdreifachen. Da auch die durchschnittlichen Zahlungen steigen, erhöhen sich die Kosten laut Bauministerium auf rund 5,1 Milliarden Euro.
In der Beschlussvorlage des Kanzleramts wird nun klargestellt, dass es bei der geteilten Finanzierung beim Wohngeld bleiben solle. Die Länder hatten gefordert, dass der Bund bei den Mehrkosten, die durch die Erhöhung entstehen, einen größeren Anteil übernimmt.
Wer sorgt für die Unterbringung Geflüchteter?
Durch den Ukraine-Krieg sind rund eine Million Menschen nach Deutschland geflüchtet, auch die Zahl der Asylbewerber aus anderen Ländern steigt. Die Kommunen sehen sich am Rande ihrer Leistungsfähigkeit und verlangen von Bund und Ländern die vollständige Übernahme der Kosten für Unterbringung, Betreuung und Integration. Die Länder zeigen wiederum auf den Bund.
Der Vorsitzende der Länder-Innenministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann (CSU), forderte Mitte Oktober von der Bundesregierung acht Milliarden Euro. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verweist seinerseits darauf, dass der Bund schon für 570.000 Ukraine-Flüchtlinge die Kosten für die Grundsicherung alleine trägt, und sieht wenig Spielraum für weitere Bundesmittel.
Der Beschlussvorlage nach will die Bundesregierung Länder und Kommunen mit insgesamt 4,25 Milliarden Euro im laufenden und im kommenden Jahr unterstützen. Für die Aufnahme von Geflüchteten will der Bund demnach im laufenden Jahr zusätzliche 1,5 Milliarden Euro bereitstellen.
Für 2023 sind Mittel in gleicher Höhe für den Umgang mit Flüchtlingen aus der Ukraine vorgesehen. Für 2023 bringt der Bund zudem eine Pauschale von 1,25 Milliarden Euro ins Spiel, die Länder und Kommunen bei ihren Kosten bei der Aufnahme von Geflüchteten aus anderen Staaten unterstützen soll. Diese neue Pauschale soll bisherige Pauschalen insbesondere für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ablösen. „Über die weitere Entwicklung werden Bund und Länder Ostern 2023 sprechen“, hieß es in dem Entwurf.