FAQ: Raketeneinschlag in Polen Was bekannt ist – und was nicht

FAQ: Raketeneinschlag in Polen Was bekannt ist – und was nicht

16. November 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 16.11.2022 09:24 Uhr

Nach dem Einschlag einer Rakete auf dem Gebiet des NATO-Mitglieds Polen sind viele Fragen offen. War es eine russische Rakete – war es ein ukrainischer Abwehrversuch? Was bekannt ist – und was nicht.

Wo schlug die Rakete ein – und wer hat sie abgefeuert?

Die Rakete schlug am Dienstagnachmittag auf dem Gelände eines landwirtschaftlichen Betriebs in Przewodow ein – einem Dorf ganz im Osten des Landes, keine zehn Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Zwei polnische Staatsbürger starben dabei. Nach Angaben des polnischen Außenministeriums handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine Rakete aus russischer Produktion.

Wer die Rakete abgefeuert hat, ist weiterhin unklar. Polens Präsident Andrzej Duda sagte: „Wir wissen, dass es praktisch den ganzen Tag über einen russischen Raketenangriff auf die Ukraine gegeben hat. Aber wir haben derzeit keine eindeutigen Beweise dafür, wer die Rakete abgefeuert hat. Die Ermittlungen laufen.“

Biden sagte am Rande des G20-Gipfels, die Flugbahn der Rakete lasse es „unwahrscheinlich“ erscheinen, dass sie aus Russland abgefeuert wurde. Später berichtete er nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa in einer der Krisensitzungen hinter verschlossenen Türen, dass es sich bei dem Geschoss um eine Flugabwehrrakete aus Beständen der Ukraine handeln könnte.

Was ist über die Rakete bekannt?

Erste Fotos von Trümmerteilen an der Einschlagstelle deuteten für Experten auf eine Rakete des Flugabwehrsystems S-300 hin. Auch Biden soll von einer solchen Rakete gesprochen haben. Das System S-300 ist sowjetischer Bauart und heute wesentlicher Bestandteil der ukrainischen Flugabwehr gegen die russischen Angriffe. Allein am Dienstag feuerte Russland nach Kiewer Zählung mehr als 90 Raketen und Marschflugkörper ab.

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Wie reagiert Polen?

Der Staat zwischen Deutschland und der Ukraine versetzte Teile seiner Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft. Warschau bestellte zudem den russischen Botschafter ein. Am Mittag tritt Polens nationaler Sicherheitsrat BBN erneut zusammen, um über den Einschlag der Rakete die Konsequenzen daraus zu beraten. Das Gremium war bereits gestern Abend nach den ersten Berichten über den Einschlag zusammengekommen.

Zudem alarmierte Polen die NATO. Ein Regierungssprecher erklärte anschließend, man habe mit den Verbündeten beschlossen zu überprüfen, ob es Gründe gebe, die Verfahren nach Artikel 4 des NATO-Vertrags einzuleiten. Der Artikel besagt, dass die Mitglieder des Militärbündnisses einander konsultieren, wenn etwa die Sicherheit eines Mitglieds bedroht ist.

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Und die NATO?

Die NATO hält am Vormittag in Brüssel eine Dringlichkeitssitzung ab. Geleitet wird die Sitzung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Für 12.30 Uhr ist eine Pressekonferenz geplant.

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Was genau regelt der Artikel 4?

Konkret heißt es darin: „Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.“ Konkrete Reaktionen muss das nicht zur Folge haben.

Der Artikel wurde NATO-Angaben zufolge seit der Gründung des Bündnisses 1949 sieben Mal in Anspruch genommen – zuletzt am 24. Februar, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine. Beantragt wurde das damals von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, der Slowakei und der Tschechischen Republik.

Warum beantragt Polen nicht Artikel 5?

Weil es bislang keine Hinweise darauf gibt, dass die Rakete gezielt auf das polnische Dorf abgefeuert wurde. In Artikel 5 ist geregelt, dass die NATO-Staaten einen bewaffneten Angriff gegen einen oder mehrere Partner als Angriff gegen alle ansehen. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, Beistand zu leisten. Artikel 5 wurde erst ein einziges Mal aktiviert worden – nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA. Dies führte dazu, dass Deutschland und andere NATO-Staaten sich am Krieg gegen die Taliban und die Terrororganisation Al-Kaida in Afghanistan beteiligten.

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Wie reagieren die Partner Polens?

Die Staats- und Regierungschefs der sieben großen westlichen Demokratien erfuhren vom Einschlag der Rakete beim G20-Gipfel auf Bali. Zum Zeitpunkt der Explosion saßen die meisten dort gerade bei einem Abendessen. Am Morgen danach berief Biden dann die Krisensitzung ein. Später wurde eine Erklärung veröffentlicht, in der es heißt: „Wir bieten Polen unsere volle Unterstützung und Hilfe bei den laufenden Ermittlungen an.“ Zugleich wurde Russland für „barbarische Angriffe“ verantwortlich gemacht.

Die Slowakei sicherte Polen seine Solidarität zu. Präsidentin Zuzana Caputova mahnte in der Nacht aber auch: „Warten wir eine klare Einschätzung der Gesamtsituation ab.“ Dann werde es eine gemeinsame Reaktion der Slowakei gemeinsam mit den NATO-Verbündeten geben, die „wohlüberlegt, vernünftig und angemessen“ sein werde. Caputova ist als Staatsoberhaupt auch formelle Oberbefehlshaberin der slowakischen Streitkräfte. Das Land ist seit 2004 Nato-Mitglied. Ministerpräsident Eduard Heger und Verteidigungsminister Jaroslav Nad sicherten Polen ihre volle Unterstützung zu. „Wir sind bereit, ein verantwortungsvoller Verbündeter zu sein“, erklärte Heger in einer offiziellen Erklärung während der Nacht.