Einigung auf Bürgergeld – Für die SPD zählt das Ende von Hartz IV
24. November 2022Der Bürgergeld-Kompromiss trägt nur teilweise sozialdemokratische Handschrift. Kritiker sprechen von einem „besseren Hartz IV“. Warum zeigt sich die SPD trotzdem so demonstrativ zufrieden?
Manuela Schwesig muss husten, zweimal. Beim ersten Mal dreht sich die SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern zur Seite, als der CDU-Bundestagsabgeordnete Hendrik Hoppenstedt darüber spricht, dass Empfänger des Bürgergelds „bei Mitwirkungspflichtverstößen“ ab dem ersten Tag mit Sanktionen rechnen müssen. Beim zweiten Mal hustet Schwesig, als Hoppenstedt sich über geringere Schonvermögen freut, die auch noch früher als geplant angetastet werden müssen – zwei weitere Verhandlungserfolge der Union.
Schwesig ist Vollprofi. Aber wahrscheinlich ist es bloß Zufall, dass sie ihrem Pendant im Vorsitz des Vermittlungsausschusses genau da ins Wort hustet, wo es für die SPD unangenehm ist.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und der CDU-Bundestagsabgeordnete Hendrik Hoppenstedt erläuterten die Einigung des Vermittlungsausschusses zum Bürgergeld. Bild: dpa
Heil freut sich demonstrativ über Kompromiss
Hubertus Heil ist auch Vollprofi. Bei ihm erkennt man das an diesem Mittwochabend daran, dass er so wirkt, als hätte er nie etwas anderes gewollt als diesen Bürgergeld-Kompromiss. „Das Bürgergeld kommt – Hartz IV geht“, frohlockt der Bundesarbeitsminister. Mehr Zuverdienstmöglichkeiten für Leistungsempfänger, Arbeit und Ausbildung lohnen sich. Weniger Schonvermögen? Die meisten Leistungsempfänger hätten eh kaum Erspartes. Unterm Strich, findet Heil, sei das Bürgergeld die größte Sozialreform der zurückliegenden Jahre.
Kritiker, zum Beispiel von Sozialverbänden und der Linken, finden, das jetzt beschlossene Bürgergeld sei nur eine Art neu lackiertes Hartz IV. Die SPD – Heil, Schwesig oder auch Generalsekretär Kevin Kühnert – hält dagegen, dass der Vorrang von Qualifizierung und Weiterbildung vor Vermittlung in irgendeinen Job erhalten geblieben ist, was ein großer Fortschritt sei. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen argumentiert am Mittwochabend so.
Bürgergeld nur „besseres Hartz IV“?
Der ursprüngliche Anspruch an das Bürgergeld war allerdings größer: Ein neues Verständnis von Sozialstaat sollte es erfüllen – mit Regelsätzen, die zum Leben in Würde ausreichten und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen müssten, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer dem ARD-Hauptstadtstudio. Materiell aber sei das Bürgergeld eher ein „besseres Hartz IV“.
Andererseits, und das dürfte die demonstrative Zufriedenheit der SPD erklären: mehr war halt nicht drin. Die Debatte der zurückliegenden Tage und Wochen hat deutlich gemacht, dass die Union weite Teile des Bürgergeldes nicht wollte und bereit war, es scheitern zu lassen. Vielleicht ist das aus Sicht der SPD so ausreichend deutlich geworden, dass sie glaubt, sich bei Kritik immer darauf berufen zu können: Die Union sei schuld.
Begriff „Bürgergeld“ ist schon etabliert
Abgesehen davon hatte die von langer Hand geplante Einführung des Bürgergeldes – neben den Inhalten – einen Hauptgrund für die SPD: den Begriff „Hartz IV“, der ihr Wahlniederlagen und eine konkurrierende Partei links von sich beschert hatte, ein für allemal loszuwerden. Das scheint zu klappen. Trotz Kritik hat sich der Begriff „Bürgergeld“ medial und im Sprachgebrauch etabliert, schon vor seiner geplanten Einführung zum 1. Januar 2023.
Man kann es auch so sehen: Früher, in Zeiten der Großen Koalition, hat es die SPD regelmäßig geschafft, eigene Erfolge wie die Einführung des Mindestlohns klein zu reden. Heute feiert sie ein gerupftes Bürgergeld als Sozialreform.
Bundestag und Bundesrat dürften dem zwischen Ampel-Koalition und Union geschlossenen Kompromiss, den der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat quasi nur noch abnickte, noch in dieser Woche zustimmen.