Faktenfinder: Corona-Maßnahmen an Schulen – Was passiert, wenn die Zahlen wieder steigen?
2. Dezember 2022An den Schulen gelten derzeit keine besonderen Corona-Maßnahmen. Einheitliche Vorgehensweisen der Bundesländer bei steigenden Infektionszahlen gibt es nicht. Aber welche Maßnahmen wären überhaupt sinnvoll?
Momentan gelten in den Schulen keine besonderen Corona-Maßnahmen – wie in den meisten anderen Bereichen auch. In einigen Ländern wurde sogar die Isolationspflicht für Lehrpersonal aufgehoben, sofern sie symptomlos sind. Der Präsident des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, kritisierte das kürzlich als ein Umschalten „vom Vorsichtsmodus in den Fahrlässigkeitsmodus“.
Auch dass es im Falle einer etwaigen Winterwelle keine einheitlichen Pläne der Länder für die Schulen gibt, stößt bei Meidinger auf Kritik. „Die meisten Bundesländer sind im Hinblick auf die Schulen nicht ausreichend auf steigende Infektionszahlen vorbereitet.“ Keinen Plan für den Fall einer Notlage zu haben, könne sich noch „furchtbar rächen“.
Was planen die Bundesländer?
Tatsächlich haben die meisten Bundesländer keine konkreten Pläne, wie sie auf steigende Infektionszahlen reagieren wollen. Das ist das Ergebnis einer Anfrage des ARD-faktenfinders an die zuständigen Ministerien aller Länder. Nur wenige Länder haben klare Stufenpläne, welche Maßnahmen bei bestimmten Kriterien wieder eingeführt werden sollen, zum Beispiel Niedersachsen. Dort richten sich die Maßnahmen an der Sieben-Tage-Hospitalisierungsinzidenz sowie der Intensivbettenauslastung mit Corona-Patienten, wie ein Sprecher des Kultusministerium mitteilt.
Die meisten Bundesländer gaben jedoch an, das Infektionsgeschehen zu beobachten und zu gegebener Zeit über mögliche Schutzmaßnahmen zu entscheiden. Welche Maßnahmen das wären und welche Kriterien dafür erfüllt sein müssten, ließen sie offen.
Welche Maßnahmen sind sinnvoll?
In der Vergangenheit gab es an den Schulen bei hohem Infektionsgeschehen diverse Maßnahmen: Sie reichten von Test- und Maskenpflicht hin bis zu Schulschließungen. Letzteres hat die Bundesregierung nach dem Bericht der Corona-Expertenkommission für das aktuelle Schuljahr ausgeschlossen. Auch eine Maskenpflicht für Kinder kann laut Infektionsschutzgesetz nur noch für Schülerinnen und Schüler ab der fünften Klasse eingeführt werden.
Bei den Corona-Maßnahmen an Schulen müsse zunächst beachtet werden, dass Kinder auch im Infektionsfall im Mittel deutlich weniger Viren ausatmen würden als ältere Personen, sagt Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF). „Für das gesamte Infektionsgeschehen sind Schulen daher vermutlich auch nicht die wesentlichen Infektionstreiber.“ Zudem gebe es „kein Nullrisiko und erst recht keine Einzelmaßnahme, die uns dem nahe bringt“. „Letztlich sollten immer mehrere Maßnahmen miteinander kombiniert werden, um das Risiko zu minimieren.“
FFP2-Masken „effektivste Maßnahme“
Eine Maßnahme wäre eine Maskenpflicht für Beschäftigte und Schüler ab der fünften Klasse. „Wie effektiv eine Maskenpflicht ist, hängt weniger vom Potenzial der Maske ab; vielmehr vom Mitmachen, Aufklärung und Handhabung“, sagt Martin Kriegel, Aerosolforscher von der TU Berlin. Denn bei chirurgischen Masken und bei FFP2-Masken hänge die Wirkung gravierend von dem sogenannten Dichtsitz der Maske ab.
„Kleinste Lücken im Millimeterbereich reichen aus, damit ein relativ großer Luftstrom nicht durch das Filtermaterial einer Maske geht“, sagt Kriegel. Im Alltag könne es schnell dazu kommen, dass die Hälfte der Atemluft am Material vorbeigehe und nicht gefiltert werde. Dennoch würden selbst 50 Prozent gefilterte Luft dafür sorgen, dass insgesamt 75 Prozent weniger Aerosolpartikel im Körper eines anderen Menschen ankommen würden, sofern dieser auch eine Maske trage.
Asbach von der GAeF hält FFP2-Masken aus aerosolwissenschaftlicher Perspektive für die „effektivste Maßnahme, sich und andere zu schützen“. Bei chirurgischen Masken sei die Effektivität bereits „erheblich geringer“, da die Filterleistung des Materials niedriger sei und zudem viel mehr Luft durch die seitlichen Leckagen ungefiltert entweiche. „Mir ist allerdings völlig klar, dass bei der Diskussion einer Maskenpflicht in Schulen viele andere – insbesondere pädagogische – Aspekte eine wichtige Rolle spielen.“
Lehrerverbandspräsident Meidinger vermutet daher, dass „die meisten Bundesländer das stark polarisierende Thema Maskenpflicht an Schulen möglichst in der Versenkung verschwinden lassen und nicht mehr umsetzen wollen“. Unter anderem die deutschen Amtsärzte hatten sich im September gegen eine Maskenpflicht an Schulen ausgesprochen.
Infektionsketten unterbrechen mit Testpflicht
Eine Testpflicht ist eine weitere Maßnahme, die bei einem ansteigenden Infektionsgeschehen eingeführt werden könnte. Momentan ist eine Testung an Schulen freiwillig, einige Bundesländer stellen dafür nach wie vor kostenlose Schnelltests zur Verfügung.
„Mit einer Testpflicht lässt sich die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass sich eine infizierte Person im Raum befindet“ sagt GAeF-Präsident Asbach. Vor einer Ansteckung oder Weitergabe des Virus helfe die Testpflicht jedoch nicht, sollte sich dennoch ein Infizierter im Raum befinden.
„Im Prinzip ist es die effektivste Methode, die Infektionsketten zu unterbrechen, wenn infektiöse Personen nicht andere anstecken können, weil sie entdeckt und isoliert werden“, sagt Aerosolforscher Kriegel. Jedoch komme es auch bei den Tests auf die richtige Anwendung an.
Was bringen Luftreiniger?
Besonders kontrovers diskutiert wird seit Monaten über den Einsatz von Luftreinigern in Klassenräumen. „Luftfilter können effektiv und dauerhaft die Virenkonzentration und damit das Risiko einer indirekten Infektion in einem Raum senken“, sagt Asbach. Sie könnten allerdings die Fensterlüftung nicht ersetzen, denn sie würden die Luft nur umwälzen und nicht austauschen. Luftreiniger dürften daher nicht gegen die Fensterlüftung ausgespielt werden. Zudem sei die richtige Auswahl des Geräts wichtig. Die GAeF hatte in einem Positionspapier bereits im Dezember 2020 Vorschläge dafür veröffentlicht.
Auch Aerosolforscher Kriegel weist auf die Vorteile vor allem von raumlufttechnischen Anlagen (RLT-Anlagen) hin. Diese führen frische Luft von außen ein und führen belastete Luft nach draußen ab. RLT-Anlagen seien im Vergleich zu Luftfiltergeräten und Lüften unter anderem energieeffizienter und würden Feinstaubpartikel aus der Außenluft filtern.
Ein wissenschaftliches Expertenteam im Auftrag des Bildungsministeriums kam hingegen zu der Einschätzung, dass Luftreiniger in Schulen nicht zu empfehlen seien. Sie begründeten das unter anderem mit den Anschaffungskosten und dem hohen Ressourcenverbrauch. Bremen wiederum hat bereits alle Schulen mit Luftfiltern ausgestattet.
„Lüften kann keine Dauerlösung sein“
Kriegel hält dagegen, dass die Wirkung vom Lüften stark von einzelnen Faktoren abhänge – beispielsweise von der Temperaturdifferenz zwischen innen und außen, der Anzahl und dem Ort der Fenster und vor allen Dingen dem Wind von draußen. Kriegel empfiehlt daher den Einsatz von CO2-Sensoren im Klassenraum, um das Lüftungsverhalten zu messen. In einigen Bundesländern wird die Anschaffung dieser Geräte finanziert. „Der CO2-Gehalt in der Raumluft sagt aus, wie viel Frischluft dem Raum pro Stunde und pro anwesender Person zugeführt wird.“
Die meisten Messwerte in Schulen würden zum Teil deutlich über dem im Mittel maximal empfohlenen 1000 ppm liegen (englisch: Parts per million, auf deutsch: Teile pro Million). „Es ist seit langer Zeit bekannt, dass die Luftqualität in Schulen schlecht ist, obwohl Fenster zum Lüften vorhanden sind“, sagt der Aerosolforscher. Das liege unter anderem daran, dass Lüften den Unterricht störe, vor allem im Winter teilweise unbehaglich sei und Lärm von außen in die Klassenzimmer lasse.
„Das Fensterlüften kann keine Dauerlösung in der heutigen industriellen Zeit sein“, sagt Kriegel. Regelmäßiges Lüften könne zwar für den den Raum schon sehr viel bringen, jedoch werde es ohne CO2-Sensoren sehr subjektiv gehandhabt. „Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Fensterlüftung im Alltag von Schulen nicht praktikabel ist.“
Gesundheitsminister beraten über Infektionsschutz
Für welche Maßnahmen sich die Bundesländer letzten Endes entscheiden werden, ist derzeit noch offen. Am Montag kommen die Gesundheitsminister der Länder zusammen, um unter anderem über das Infektionsschutzgesetz zu beraten. Lehrerverbandspräsident Meidinger hofft, dass sich die Bundesländer auf einheitliche Verfahrensweisen und Stufenplänen einigen können.
„Wichtig ist unserer Ansicht nach präventives Handeln – das heißt, jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken und erst reagieren, wenn die Personalsituation kollabiert“, sagt Meidinger. „Es gibt ja eigentlich den Konsens, dass Schulen nie wieder geschlossen werden sollen. Wenn man das ernst nimmt, darf man nicht warten, bis Klassen oder gar ganze Jahrgangsstufen nach Hause geschickt werden müssen, weil mehr als 20 Prozent der Lehrkräfte erkrankt sind.“