Ministerin Lambrecht unter Druck Wann es Zeit ist, zu gehen

Ministerin Lambrecht unter Druck Wann es Zeit ist, zu gehen

8. Januar 2023 Aus Von mvp-web
Stand: 08.01.2023 05:34 Uhr

Wie viel Kritik muss man als Politikerin aushalten? Was kann man sich alles erlauben? Verteidigungsministerin Lambrecht ist nicht die erste, die Kritik und Spott erntet. Ein Blick zurück zeigt, wer sein Amt warum verloren hat – oder es retten konnte.

Von Nicole Kohnert, ARD-Hauptstadtstudio

Viele haben das Silvester-Video von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht nicht verstanden – akustisch nicht, wegen der Berliner Böller-Kulisse, vor der sie sich platzierte, aber auch inhaltlich nicht, wegen ihrer Wortwahl. Ihr wurde mangelnde Empathie für die Ukraine vorgeworfen, weil sie über „interessante Begegnungen mit vielen tollen Menschen“ spricht, dabei ging es um den Krieg.

Schlichtweg peinlich sei das gewesen, hört man aus den eigenen Reihen. Prompt folgten auch die Forderungen aus der Opposition, sie solle zurücktreten. Nichts Ungewöhnliches, diese Forderungen gibt es seit Monaten. Die Ministerin schweigt, sitzt es weiter aus.

Wie lange kann man so im Amt bleiben? Und wie schwerwiegend müssen Fehler sein? Schaut man auf ihre Vorgänger, ist das alles eine Frage des Stils.

Ans Amt klammern – der Fall Rudolf Scharping

Einen wenig eleganten Abgang hatte der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Bis zum letzten Tag kämpfte er um sein Amt und wollte nicht gehen. Doch Plansch-Bilder mit seiner damaligen Lebensgefährtin auf Mallorca, während die Bundeswehr in den Mazedonien-Einsatz zog, sorgten für Fassungslosigkeit. Die Grenze der Peinlichkeit schien überschritten.

Der damalige Verteidigungsminister Scharping mit Soldaten in Bosnien.

Eine Autoritätsperson war der Minister in der Bundeswehr damit nicht mehr. Hinzu kam noch Ärger mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr. Häufige Flüge nach Frankfurt, der Heimatstadt der Lebensgefährtin, und Zwischenstopps in Urlaubsorten sorgten für viel Kritik. Ebenso seine enge Verbindung zum PR-Berater Moritz Hunzinger.

In der eigenen Partei oder auch beim damaligen Kanzler Gerhard Schröder hatte Scharping damit keinen Rückhalt mehr. Der ist aber entscheidend bei solchem Gegenwind – und das kostete ihn am Ende das Amt. Der Kanzler machte damals klar: Es gehe nicht um einen Rücktritt Scharpings, sondern er, der Kanzler, mache von seiner Richtlinien-Kompetenz Gebrauch und bittet den Bundespräsidenten, Scharping zu entlassen. Dessen Karriere endete 2002 mit einem Machtwort.

Rücktritt nach Fehlern – der Fall Karl-Theodor zu Guttenberg

Abschreiben, nicht zitieren, sich mit fremden Federn schmücken – alles kam raus bei der Doktorarbeit des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg im März 2011. Nachdem die Universität Bayreuth ihm im Zuge der Plagiatsaffäre den Doktortitel aberkannte, musste er sein Amt niederlegen. Das Vertrauen war ruiniert.

Angela Merkel und Karl-Theodor zu Guttenberg 2010 beim Truppenbesuch in Afghanistan.

Es ging nur noch um ihn und die Affäre, nicht mehr um die Arbeit der Soldatinnen und Soldaten. „Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht“, sagte er damals bei seiner Rücktrittsrede. Zu Guttenberg bezeichnete den Schritt selbst als den schmerzlichsten Schritt seines Lebens. Seine Partei CSU hielt sehr lange an ihm fest, ähnlich auch Kanzlerin Angela Merkel, die über die Affäre nicht glücklich war. Aber der Druck war zu groß, ein Rücktritt unvermeidbar.

Freiwilliger Rücktritt – der Fall Annette Schavan

„Das Amt darf nicht beschädigt werden“, sagte Forschungsministerin Annette Schavan, als sie 2013 freiwillig wegen eines Plagiatsvorwurfs zurücktrat. Ihr Rücktritt sei aber kein Schuldeingeständnis, machte sie deutlich.

Wenn eine Forschungsministerin gegen eine Universität klage, sei das eine Belastung für das Amt, für die Regierung. Schweren Herzens nahm damals Kanzlerin Angela Merkel den Rücktritt entgegen und lobte Schavan für die Art und Weise: Sie stelle ihr persönliches Wohl hinter das Gemeinwohl.

Angela Merkel und Annette Schavan treten vor die Presse – die Kanzlerin gibt den Rücktritt ihrer Ministerin bekannt.

Rücktritt mit neuer politischer Karriere – der Fall Franziska Giffey

Plagiatsvorwürfe und Rücktritt? Das muss nicht das Ende der politischen Karriere sein. Auch Franziska Giffey trat wegen Fehlern in ihrer Doktorarbeit als Familienministerin zurück – um sich dann zu Berlins Regierender Bürgermeisterin wählen zu lassen. So mancher Berliner wunderte sich, dass ein Rücktritt nicht auch den Rückzug aus der Politik bedeutet. Jetzt muss Giffey allerdings wieder um ihr Amt zittern – wieder wegen Fehlern, dieses Mal bei den Wahlen 2021 in Berlin.

 

Franziska Giffey, hier noch als Familienministerin.

Rücktritt nach zu viel Transparenz – der Fall Anne Spiegel

Wenn man einen Fehler macht, rede darüber und entschuldige dich. Das dachte sich wohl die grüne Familienministerin Anne Spiegel, als sie sich im April 2022 vor die Presse stellte und erklärte, warum sie während der Flutkatastrophe im Ahrtal als Landespolitikerin in den Urlaub gefahren war. Ein ungünstiger Zeitpunkt damals, musste sie zugegeben. Sie erklärte es mit der Situation in ihrer Familie und wollte so ihr Amt retten.

 

Kurzzeit-Familienministerin Anne Spiegel. Sie stürzte über ihr privates wie berufliches Krisenmanagement.

Doch die Art und Weise ihrer Erklärung, im weinerlichen Ton, sehr konfus, sorgte am Ende für mehr Schaden als sie beseitigte und kostete sie das Amt. Damit verlor das Kabinett Scholz schon nach fünf Monaten eine Ministerin. So einige fragten sich damals, wer Spiegel vor diesem Auftritt beraten hatte. Ähnliche Fragen, die sich so mancher Genosse auch bei Lambrechts privaten Video derzeit stellt.

Im Amt bleiben, egal was passiert – Vorbild Andreas Scheuer?

Der hartnäckigste Nicht-Rücktritt ist sicherlich der des ehemaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer. Trotz vieler Rücktrittsforderungen und einem millionenschweren Mautdebakel – er ging einfach nicht. Das lag auch am starken Rückhalt, den er in der CSU hatte.

 

Hatte Sitzfleisch: Als Verkehrsminister stand Andreas Scheuer massiv in der Kritik, blieb aber bis zum Ende der Regierung Merkel.

Noch hat Lambrecht Rückhalt

Den hat Ministerin Lambrecht in der SPD derzeit auch noch. Die Parteivorsitzende Saskia Esken erklärte, dass sie vollständig hinter Lambrecht stehe. Auch Kanzler Scholz verteidigt seine Verteidigungsministerin noch. Über seinen Regierungssprecher lässt er ausrichten, dass er sie für eine „erstklassige Ministerin“ halte. Am Ende bestimmt der Kanzler und der führt die Verhandlungen über Waffenlieferungen in die Ukraine ohnehin aus dem Kanzleramt – mit oder auch ohne Ministerin.