23-Jährige über Spätfolgen von Covid-19: „Wäsche aufhängen? Müll raus? Zu anstrengend!“
25. Dezember 2020
Spannend, aber gerade keine Zeit?
Über diese ganz schlimme Phase war ich jetzt also hinweg. „Sie sind gesund“, so formulierte es mein Gegenüber am Telefon. Eine Feststellung anhand eines Fragenkatalogs: Haben Sie noch Symptome? Können Sie wieder schmecken, wieder riechen? Ja, seit ein paar Tagen ging das endlich wieder.
Ich war zunächst zuversichtlich
Der Tag nach Ende der Quarantäne fühlte sich ganz okay an. Keine Verpflichtungen, endlich wieder sowas wie ein Leben in Aussicht. Vielleicht erklärt das, dass ich zunächst noch zuversichtlich war und wörtlich nahm, was der Mann vom Gesundheitsamt gesagt hatte. Auch, wenn es noch immer ein riesen Kraftakt war, die Treppe vom dritten Stock in den Keller runter zu gehen, um die Wäsche aufzuhängen. Oder auch erstmalig wieder ein paar Meter mit dem Hund nach draußen. Das sind die Muskeln, die sich abgebaut haben, sagte ich mir. Klar: Nach über drei Wochen nichts als Couch und Bett.
Aufs Arbeiten habe ich mich gefreut. Ich bin mit Leib und Seele Hörakustikerin, der Job und die Kunden hatten mir sehr gefehlt. Da ich ein gutes Verhältnis mit meiner Chefin und dem ganzen Team habe, war ich ehrlich, als ich Montag morgen den Laden betrat: „So ganz fit bin ich noch nicht.“ Aber was dann kam, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Keine Viertelstunde war ich vor Ort, hatte gerade eine Kundin bedient und dann ein paar Dinge ins Regal geräumt. Als ich mich im Nebenraum an meinem Arbeitsplatz niederließ, war ich platt. Das passt schon, sagte eine Kollegin, ich mache für dich weiter. Auch meine Chefin sah, was los war und bot an, ich könnte mir jederzeit zwischendurch eine Auszeit nehmen. Bis zur Mittagspause habe ich in Etappen – sitzen, weitermachen, wieder sitzen, wieder weiter – durchgehalten.
Dann bin ich wie üblich für die Mittagspause nach Hause gefahren. Wo ich sonst gemütlich was gegessen und mich ein bisschen mit meinem Hund beschäftigt habe, lag ich jetzt völlig erschossen auf dem Sofa und bin nach wenigen Minuten weggenickt. Und so lief das von da an bestimmt zwei Monate lang: Jeden Mittag bin ich von der Arbeit nach Hause und hab mich sofort hingelegt. Ohne die Stunde Schlaf hätte ich den Nachmittag nicht geschafft. Ich, die Genesene. Die mit dem so genannten „milden“ Verlauf. Ich bin müde, versuchte ich anderen meinen Zustand zu erklären. Inzwischen formuliere ich es anders. Es sind die Spätfolgen meiner Corona-Infektion, die mir zu schaffen machen, sage ich.
Ich fühlte mich lange nicht ernstgenommen
So komisch das klingt: Es war wichtig für mich, dass in genau diese Worte zu fassen. Mich nicht mehr mit diesem „das dauert halt“ zu trösten, mit dem mein Hausarzt mich aus dem Sprechzimmer entlassen hatte, als ich nach drei verzweifelten Arbeitstagen Hilfe suchte. Das wird schon – für mich klingt das ein bisschen wie: „Stell dich nicht so an.“ War ich überempfindlich, in meiner Hilflosigkeit? Oder ist doch mehr die Unwissenheit mancher Mediziner das Problem?
Mit 23 ohne Vorerkrankungen schwer an Covid-19 zu erkranken, schon das passt nicht ins Bild. Als 23-jährige noch Monate nach der Infektion kaum die Treppe rauf zu kommen, das erst recht nicht. Hätte mein Hausarzt es besser wissen müssen? Covid ist eine neuartige Erkrankung. Viel gegoogelt habe ich, nach Erklärungen für meinen Zustand gesucht. Wirklich fündig wurde ich nicht, damals, im Juli. Jetzt, zum Ende des Jahres, ist das anders.
So langsam scheint es ins Bewusstsein zu dringen, dass Corona keineswegs nur ein akutes Problem ist. Sondern ein längerfristiges. Und das nicht nur bei älteren Patienten oder schweren Verläufen. Zwischen zehn und 20 Prozent aller Covid-19-Patienten mit leichten Verläufen sind betroffen, habe ich kürzlich gelesen. Es tut gut, sich endlich ernst genommen zu fühlen. Es ist verstörend, immer nur diese beiden Werte präsentiert zu bekommen: Die Infektionszahlen. Und die Todeszahlen. Als gäbe es nichts dazwischen.
Als gäbe es nicht die, die lange am Weiterkämpfen sind. Und manchmal kurz davor aufzugeben. Ob ich je wieder so würde leben können wie vor der Krankheit? Das habe ich mich manchmal gefragt. Lange konnte ich mir das schlicht nicht vorstellen. Lange habe ich jeden Gang zur Waschmaschine geplant, habe mir dreimal überlegt, ob der Müll jetzt wirklich runter muss. Anfangs habe ich die Treppe bis zu meiner Wohnung im dritten Stock nicht ohne mehrere Pausen geschafft.
Noch bis vor kurze habe ich schwer Luft bekommen, wenn ich oben ankam. Habe ich es nicht geschafft, das Bad am Stück zu putzen. Einen Tag das Waschbecken, einen Tag die Dusche, so ging ich vor. Oft habe ich versucht, mir vorzustellen, wie es war, als ich gesund war. Wie sich das angefüllt hat: Zu atmen. Zu gehen, ohne Anstrengung. Es sich auf dem Sofa bequem zu machen, einfach so – und nicht, weil Batterien aufgeladen werden wollen. So sehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht, das Davor zu erfassen. Man vergisst, wie gesund sein geht.
Es gibt Tage, die werfen einen unerwartet zurück
Wann ist es besser geworden? Das werde ich manchmal gefragt. Schwer zu sagen, denn die Fortschritte werden einem vor allem rückblickend bewusst. Hatte ich es letzte Woche mit dem Hund nicht nur bis zum Briefkasten geschafft? Im Weitergehen, bis zum Waldrand, fällt es einem auf: Es hat sich was getan. Gleichzeitig gibt es Tage, die werfen einen unerwartet zurück. Gestern beispielsweise war so ein Tag. Noch am Morgen hatte ich einer Freundin gesagt: Ich bin jetzt zu 95 Prozent wieder fit. Aber dann, mittags, räumte ich mein Auto aus. Ein paar Einkäufe, ein paar Sachen, die in den Keller mussten, kein großes Ding. Jedoch: Den Rest vom Tag war ich zu nichts mehr zu gebrauchen.